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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Zur Stärkung Kiews will Präsident Selenskyj mit Abkommen in Berlin und Paris eine neue Sicherheitsarchitektur begründen. Die News im Überblick.

Ukraine-Krieg - Charkiw
Reste von russischen Raketen in Charkiw. Foto: Ximena Borrazas/DPA
Reste von russischen Raketen in Charkiw.
Foto: Ximena Borrazas/DPA

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vor seinem heutigen Besuch in Deutschland und Frankreich eine neue Sicherheitsarchitektur für sein Land angekündigt. Es würden mit den Partnern neue Vereinbarungen geschlossen, um die Ukraine langfristig stark zu machen. »So etwas hatte die Ukraine noch nie, obwohl es schon immer gebraucht wurde«, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft, die er diesmal in einem Zugabteil aufnahm. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt Selenskyj heute in Berlin.

Es wird erwartet, dass Deutschland und die Ukraine ein bilaterales Sicherheitsabkommen abschließen. Am Abend wird Selenskyj auch in Paris erwartet, wo er mit seinem französischen Kollegen Emmanuel Macron ebenfalls eine solche Vereinbarung treffen will. Die Abkommen sollen die Zeit überbrücken, bis die Ukraine Mitglied in der Nato wird. Eine Aufnahme in das Militärbündnis ist für das von Russland angegriffene Land bisher nicht in Sicht. Eine erste bilaterale Sicherheitsvereinbarung hatte bereits Großbritannien mit der Ukraine geschlossen.

Selenskyj bei Münchner Sicherheitskonferenz erwartet

»Bald werden wir unsere Verteidigung gegen den russischen Terror noch verstärken«, sagte Selenskyj nach den jüngsten Raketenangriffen, die von den ukrainischen Luftstreitkräften abgewehrt wurden. Der ukrainische Präsident wird auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz erwartet, wo er einmal mehr bei den westlichen Verbündeten um Waffen- und Munitionslieferungen sowie finanzielle Unterstützung werben will.

Seiner Videobotschaft zufolge ließ sich Selenskyj auch vom neuen Oberkommandierenden der Streitkräfte, Olexander Syrskyj, und von Verteidigungsminister Rustem Umjerow über die Lage an der Front unterrichten - besonders in der umkämpften Stadt Awdijiwka und im Osten insgesamt. Awdijiwka könnte bald unter russische Kontrolle geraten. »Wir tun das Maximale, damit unsere Soldaten ausreichend administrative und technologische Möglichkeiten haben, um so viele ukrainische Leben wie möglich zu retten«, sagte Selenskyj. Details zur Lage in Awdijiwka nannte er nicht.

Die Ukraine hatte in dem seit fast zwei Jahren andauernden russischen Angriffskrieg im Osten und Süden des Landes über Teile ihres Staatsgebiets die Kontrolle verloren. Russland will mit der Invasion, die am 24. Februar 2022 begonnen hatte, die bisher teils besetzten Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson komplett einnehmen. Die Ukraine versucht, das mit westlicher Hilfe zu verhindern.

USA warnen vor Fall von ukrainischer Stadt Awdijiwka

Die USA warnen vor einer unmittelbar bevorstehenden Einnahme der seit Monaten umkämpften ukrainischen Stadt Awdijiwka durch die russische Armee. »Awdijiwka läuft Gefahr, in russische Hand zu geraten«, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. »Dies geschieht zu einem großen Teil, weil den ukrainischen Streitkräften vor Ort die Artilleriemunition ausgeht.«

Russland schicke Wellen von Wehrpflichtigen, um ukrainische Stellungen anzugreifen. Da der US-Kongress das entsprechende Zusatzgesetz für weitere Ukraine-Hilfen noch nicht verabschiedet habe, könnten der Ukraine die dringend benötigten Artilleriegeschosse nicht geliefert werden.

Russland: Fünf ukrainische Drohnen abgewehrt

Russland hat in der Nacht fünf ukrainische Drohnenangriffe im Grenzgebiet und über dem Schwarzen Meer gemeldet. Eine Drohne sei in der südwestrussischen Region Belgorod nahe der Grenze zur Ukraine und vier weitere über dem Schwarzen Meer von der russischen Flugabwehr abgeschossen worden, teilte das russische Verteidigungsministerium laut Nachrichtenagentur Tass mit. Über mögliche Opfer und Schäden war zunächst nichts bekannt.

Nato will aus Kriegserfahrungen der Ukrainer lernen

Wohl kaum jemand anders weiß so viel über die Stärken und Schwächen der russischen Streitkräfte wie die Ukraine. Die Nato will dies nun nutzen - auch um der Ukraine noch besser helfen zu können.

Die Nato und die Ukraine bauen dazu gemeinsam ein Zentrum für die Analyse militärischer Erfahrungen aus dem russischen Angriffskrieg auf. Die in der polnischen Stadt Bydgoszcz geplante Einheit soll es ermöglichen, aus dem aktuellen Kriegsgeschehen möglichst effizient gemeinsam zu lernen. Dafür könnten die Ukrainer etwa Erkenntnisse über die Taktik, Fähigkeiten und Schwächen der russischen Angreifer bereitstellen. Zudem wird es nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auch um gemeinsames Training gehen.

Die Entscheidung für das Zentrum mit der Abkürzung JATEC (Joint Analysis, Training and Education Centre) wurde am Donnerstag nach einer Sitzung des Nato-Ukraine-Rats in Brüssel verkündet. Im Idealfall sollen die Staats- und Regierungschefs nun bereits beim Gipfel im Sommer in Washington den Startschuss für die Arbeit geben. Bislang lief der Austausch über die im Abwehrkrieg gegen Russland gewonnenen Erkenntnisse unter anderem über die sogenannte Ukraine-Kontaktgruppe, über die auch die Waffenlieferungen an die Ukraine koordiniert werden.

Details wie die genaue Mitarbeiterstärke des Zentrums sollen noch geklärt werden. Eine komplett neue Nato-Infrastruktur muss in Bydgoszcz nicht geschaffen werden. In der Stadt hat bereits heute das sogenannte Joint Force Training Center (JFTC) der Nato seinen Sitz, das unter anderem für die taktische Ausbildung von Streitkräften zuständig ist.

Ein ranghoher Nato-Vertreter betonte, dass die ukrainischen Streitkräfte Daten und Informationen in bisher beispiellosem Umfang liefern könnten, da es seit dem Zweiten Weltkrieg keinen großen Krieg mehr zwischen einem westlichen Land und Russland gegeben habe. Zudem könne das Zentrum auch psychologisch wertvoll sein. Die Weitergabe von Erfahrungen aus dem Abwehrkampf gegen die russischen Streitkräfte sei eine der wenigen Möglichkeiten, die die Ukrainer derzeit hätten, etwas zurückzugeben, sagte er mit Blick auf die militärische und finanzielle Unterstützung des Westens.

Selenskyj fordert von polnischen Bauern Solidarität

Selenskyj teilte in seiner im Zug aufgenommenen Botschaft auch mit, dass er angesichts der Proteste polnischer Bauern gegen die Einfuhr billiger Agrarprodukte aus der Ukraine seine Regierung angewiesen habe, die Lage dringend mit Warschau zu klären. Was mit ukrainischen Waren in Polen passiere, sei ein Verstoß gegen die Grundsätze der Solidarität, sagte er. Der Präsident reagierte damit auf eine Aktion polnischer Bauern, die an einem Grenzübergang ukrainisches Getreide aus Lastwagen auf den Boden geschüttet hatten.

Gute Nachbarschaft und Solidarität seien nötig, um die europäischen Gesellschaften zu schützen, »damit unser gemeinsamer Feind in Moskau Konflikte in unserem Grenzgebiet nicht gegen unsere Wirtschaft, Grenzen und Souveränität einsetzen kann«, sagte er. Die polnischen Bauern befürchten wegen der Einfuhr günstiger Agrarprodukte aus der Ukraine einen Preisverfall.

© dpa-infocom, dpa:240216-99-08828/9