Bei einem russischen Luftangriff auf einen Markt in der ostukrainischen Stadt Kostjantyniwka sind offiziellen Angaben zufolge mindestens 17 Menschen getötet worden. »Darunter ist auch ein Kind«, teilte Ministerpräsident Denys Schmyhal auf Telegram mit. Weitere 30 Personen seien verletzt worden.
Auf Videos im Internet, die den Augenblick der Explosion zeigen sollen, war zu sehen, wie ein Geschoss mit einem riesigen Feuerball in einer belebten Straße einschlug; Trümmer flogen durch die Luft, Brände brachen aus, Tote auf den Straßen und Menschen, die um ihr Leben rannten. Es war einer der verheerendsten Angriffe seit Wochen. Russland betont stets, es greife nur militärische Ziele an.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bestätigte den russischen Angriff und die vielen Todesopfer in der Stadt im Gebiet Donezk. »Ein normaler Markt. Geschäfte. Eine Apotheke. Menschen, die nichts Falsches getan haben«, schrieb er und sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus.
Er sprach von der »Unverschämtheit des Bösen«. Was genau für ein Geschoss einschlug, war zunächst unklar. Einige lokale Medien gingen von einer S-300-Rakete aus. Die Stadt liegt nur knapp 20 Kilometer südwestlich von Bachmut, das die Russen im Zuge ihres Angriffskriegs besetzt haben, und wurde schon wiederholt zum Ziel russischer Angriffe.
EU verurteilt den Angriff
Die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe in der Ukraine, Denise Brown, teilte mit, der Angriff sei ein weiteres Beispiel »für das Leid, das die russische Invasion den Zivilisten im ganzen Land zufügt.« Auch die EU verurteilte den Angriff. »Vorsätzliche Angriffe auf Zivilisten sind Kriegsverbrechen. Alle Befehlshaber, Täter und Komplizen dieser Gräueltaten werden zur Rechenschaft gezogen werden«, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Brüssel.
Blinken: Fortschritte bei der Gegenoffensive
US-Außenminister Antony Blinken traf unterdessen zu einem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ein. Dort äußerte er sich zuversichtlich über den Kampf der ukrainischen Armee gegen die russischen Invasoren. »Wir haben gute Fortschritte bei der Gegenoffensive gesehen. Wir wollen sicherstellen, dass die Ukraine alles bekommt, was sie für einen Erfolg dieser Offensive benötigt«, sagte Blinken nach Angaben des US-Außenministeriums bei einem Treffen mit seinem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba. »Auf lange Sicht« sei das es das Ziel, die Abschreckungs- und Verteidigungskapazitäten der Ukraine zu stärken. Ein erneuter russischer Überfall wie vor über 18 Monaten solle so verhindert werden.
Neues US-Militärpaket für die Ukraine
Die USA stellen der Ukraine auch weitere Militärhilfen bereit. Das US-Verteidigungsministerium teilte in Washington mit, das neue Paket habe einen Umfang von 175 Millionen Dollar (rund 163 Millionen Euro). Es beinhalte unter anderem Ausrüstung zur Unterstützung der Luftverteidigung, Munition für die Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars und Artilleriemunition. Laut Pentagon haben die USA seit dem Kriegsbeginn Ende Februar 2022 militärische Hilfe im Umfang von mehr als 43 Milliarden US-Dollar (rund 40 Milliarden Euro) bereitgestellt oder zugesagt. Auch Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen reiste nach Kiew und sagte ebenfalls weitere Hilfe ihres Landes zu.
Heftige Kämpfe im Süden und Osten
Die Offensive der ukrainischen Armee im südlichen Gebiet Saporischschja kam unterdessen nach ukrainischen Angaben weiter langsam voran. Strategisches Ziel der Angriffe ist ein Durchstoß zum noch etwa 80 Kilometer entfernten Asowschen Meer, um damit die Landverbindung zur ukrainischen Halbinsel Krim abzuschneiden, die Russland annektiert hat. Russland hat die eigenen Linien in der Region jedoch seit dem vergangenen Jahr stark befestigt und breite Minenfelder und Schützengräben angelegt.
»Wir hatten im Abschnitt Robotyne in Richtung Nowoprokopiwka Erfolg und setzen uns auf den erreichten Positionen fest«, sagte Generalstabssprecher Andrij Kowaljow. Der von Moskau eingesetzte Statthalter für den besetzten Teil des Gebiets Saporischschja, Jewgeni Balizki, räumte den Rückzug der Russen aus dem Dorf Robotyne ein. Auch südlich der umkämpften Stadt Bachmut griff die ukrainische Armee nach eigenen Angaben weiter an.
Toter bei Angriffen Russlands auf Kiew und Odessa
Bei russischen Angriffen mit Drohnen und Raketen auf Kiew und das Gebiet Odessa im Süden der Ukraine in der Nacht zu Mittwoch wurde offiziellen Angaben zufolge ein Mensch getötet. »Ein Mitarbeiter eines Landwirtschaftsbetriebs wurde schwer verletzt und starb im Krankenhaus«, teilte der Militärgouverneur von Odessa, Oleh Kiper, mit. In Kiew hingegen verlief die Attacke weitgehend glimpflich.
Nach Angaben der ukrainischen Luftstreitkräfte wurden insgesamt 23 der insgesamt 33 Flugobjekte abgeschossen. Darunter alle sieben luftgestützten Marschflugkörper und eine umfunktionierte Flugabwehrrakete vom Typ S-300, die Russland seit Monaten auch zum Beschuss von Städten einsetzt. Von 25 gestarteten Drohnen seien 15 abgefangen worden.
Ukrainisches Parlament bestätigt neuen Verteidigungsminister
Das ukrainische Parlament hat die Ernennung des neuen Verteidigungsministers Rustem Umjerow bestätigt. Für den Beschluss stimmten 338 Abgeordnete bei 226 notwendigen Stimmen, meldeten örtliche Medien. Vorgänger Olexij Resnikow war am Dienstag entlassen worden. Umjerow hatte zuvor den Posten des Chefs des Fonds für Staatsvermögen bekleidet. Mit dem Ministerwechsel wurde zum ersten Mal seit dem russischen Einmarsch vor über 18 Monaten das wichtige Ministerium neu besetzt.
London: Lehrplan soll russische Schüler mit Krieg indoktrinieren
Russische Schüler sollen nach Ansicht Großbritanniens in der Schule zielgerichtet auf den Militärdienst vorbereitet werden. »Der neue Lehrplan dient drei Zielen: die Schüler mit der Begründung des Kremls für die «militärische Spezialoperation» zu indoktrinieren, den Schülern eine kriegerische Denkweise einzuimpfen und die Ausbildungszeiten für (...) den Einsatz zu verkürzen«, teilte das britische Verteidigungsministerium heute mit.
Die russische Privatarmee Wagner will London zudem zu einer terroristischen Organisation erklären und verbieten, wie das Innenministerium mitteilte. Damit wird eine Mitgliedschaft bei der Söldnergruppe strafbar und ihr Vermögen kann beschlagnahmt werden.
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