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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Mitten im Krieg entlässt Präsident Selenskyj seinen Verteidigungsminister und setzt auf einen frischen Start. Der Getreide-Deal zwischen Putin und Erdogan scheint geplatzt. Die News im Überblick.

Olexij Resnikow
Der ukrainische Präsident Selenskyj wechselt seinen Verteidigungsminister Olexij Resnikow aus. Foto: Pavel Golovkin/DPA
Der ukrainische Präsident Selenskyj wechselt seinen Verteidigungsminister Olexij Resnikow aus.
Foto: Pavel Golovkin/DPA

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj entlässt seinen Verteidigungsminister und will mitten in der Gegenoffensive nun den jungen Politiker Rustem Umerow in dem Amt sehen.

Er werde dem Parlament den 41 Jahre alten Chef des staatlichen Vermögensfonds als Nachfolger des geschassten Olexij Resnikow vorschlagen, teilte Selenskyj gestern in seiner abendlichen Videobotschaft mit. Resnikows Abgang war seit Längerem erwartet worden.

Unterdessen ersuchte Verteidigungsminister Olexij Resnikow formal um seine Entlassung. »Gemäß der Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj habe ich meinen Rücktritt bei der Obersten Rada der Ukraine eingereicht«, schrieb der Minister bei Facebook. Er sei bereit, dem Parlament Rechenschaft über die geleistete Arbeit abzulegen.

Der Unternehmer und Investor Umerow, der krimtatarischer Abstammung ist, setzt sich seit Jahren für eine Befreiung der bereits 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim ein. Als neuer Verteidigungsminister hätte er weniger auf den Verlauf der aktuellen Gegenoffensive Einfluss, die Verantwortung haben Selenskyj als Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die Generäle. Umerow müsste sich vor allem um die Finanzierung der Armee und um deren Ausstattung mit Waffen und Munition sowie um die Versorgung kümmern.

Umerow gilt als Experte für Finanzwirtschaft

Umerows Eltern waren wie viele Krimtataren unter Sowjetdiktator Josef Stalin von der Krim deportiert worden. Umerow war laut ukrainischen Medien Stipendiat eines US-Programms für künftige Führungskräfte (FLEX) und gilt als Experte für Finanzwirtschaft. Nach seiner Zeit als Abgeordneter im ukrainischen Parlament von 2019 bis 2022 wurde er vor einem Jahr zum Chef der staatlichen Vermögensverwaltung ernannt.

Der Politiker ist auch stellvertretender Vorsitzender der Krim-Plattform, eines jährlichen Forums, das sich der Wiedereingliederung der Halbinsel in die Ukraine widmet. Er setzt sich nicht zuletzt für den Austausch von politischen Häftlingen und Kriegsgefangenen auf der Krim ein, wie ukrainische Medien berichteten. Im August 2021 überreichte Selenskyj ihm einen Orden für Verdienste für das Vaterland.

Resnikows Absetzung wurde seit langem erwartet

Resnikow habe seit Beginn des russischen Angriffskriegs 550 Tage als Verteidigungsminister gedient, sagte Selenskyj gestern. »Ich bin der Meinung, dass das Ministerium neue Herangehensweisen braucht und andere Formate der Zusammenarbeit mit den Soldaten und der Gesellschaft insgesamt«, sagte der Präsident. Resnikow war seit November 2021 Verteidigungsminister. Die Ukraine verteidigt sich seit mehr als 18 Monaten gegen die russische Invasion.

Schon im vergangenen Winter war ein Rücktritt Resnikows im Gespräch gewesen. Der nach Skandalen in seiner Behörde in die Kritik geratene Politiker dachte aber nicht an einen freiwilligen Rücktritt. Er wolle erst zurücktreten, wenn ihn Selenskyj dazu auffordere, sagte Resnikow Anfang Februar. »Kein Beamter bleibt ewig im Amt«, fügte er hinzu.

Zu der Reihe von Skandalen und Affären im Verteidigungsministerium in der Ära Resnikow gehört unter anderem der Rücktritt seines Stellvertreters Wjatscheslaw Schapowalow. Er hatte im Winter im Zusammenhang mit dem Einkauf überteuerter Lebensmittel für Soldaten seinen Hut nehmen müssen. Zudem soll nach Medienberichten beim Bau von Kasernen Geld veruntreut worden sein. Resnikow wies die Vorwürfe stets zurück. Ziel sei es offenbar, das »Vertrauen in das Verteidigungsministerium zu einem sehr wichtigen Zeitpunkt zu untergraben«, erklärte er damals. Die Ukraine gilt als eines der korruptesten Länder Europas.

Ukrainische Medien hatten mehrfach - und verstärkt in den vergangenen Tagen - darüber berichtet, dass eine Ablösung des 57-jährigen Resnikow unmittelbar bevorstehe. Der Minister hatte zuletzt immer wieder erklärt, dass er bereit sei zu gehen, aber ein Ersatz für ihn gefunden werden müsse. Mit Selenskyj habe er über einen anderen Posten gesprochen. Vakant ist etwa die Stelle des Botschafters in London.

Resnikow: 100 Milliarden US-Dollar Militärhilfe

In seinem letzten Interview als Verteidigungsminister bezifferte Resnikow die bisher von den westlichen Verbündeten der Ukraine geleistete Militärhilfe auf rund 100 Milliarden US-Dollar (rund 93 Milliarden Euro), darunter fast 60 Milliarden US-Dollar von den USA. Das sei Geld, das für Waffen, Militärgerät und Munition ausgegeben worden sei, sagte er der staatlichen Nachrichtenagentur Ukrinform.

Darüber hinaus erhält die Ukraine auch Milliardenhilfen des Westens, um etwa ihren Staatshaushalt zu finanzieren. Ferner bekräftigte Resnikow, dass die vom Westen versprochenen F-16-Kampfjets im Frühjahr im Frontgebiet einsatzbereit sein sollen.

Getreide-Deal zwischen Putin und Erdogan gescheitert

Kremlchef Wladimir Putin hat bekräftigt, erst zum Getreideabkommen mit der Ukraine zurückzukehren, wenn alle russischen Forderungen erfüllt worden sind. Zuerst müssten die Beschränkungen für den Export von russischen Agrarprodukten aufgehoben werden, sagte Putin während einer Pressekonferenz mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Montag in Sotschi am Schwarzen Meer. Er beklagte einmal mehr, dass die westlichen Sanktionen den Export von russischem Getreide, von Dünger und Agrartechnik behinderten.

Erdogan fordert die Rückkehr zu dem Abkommen zur Verschiffung von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer, das wichtig für die Versorgung der Welt mit Lebensmitteln ist. Er appellierte einmal mehr: »Wir glauben, dass die Initiative fortgesetzt werden sollte, indem die Mängel behoben werden.« Er zeigte sich zuversichtlich, dass bald eine Lösung gefunden werde.

Die Türkei hatte das Getreideabkommen im Sommer 2022, die die russische Seeblockade ukrainischer Häfen beendete, auch im eigenen Interesse mitvermittelt. Mitte Juli hatte Russland das Abkommen ausgesetzt. Putin hatte für eine Rückkehr Bedingungen gestellt. So sollten die vom Westen im Zuge den russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erlassenen Sanktionen gelockert werden, damit Russland auch eigenes Getreide und Düngemittel ungehindert exportieren kann.

Selenskyj dankt Macron für Unterstützung

Selenskyj dankte bei einem Telefonat mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron für die bisherige Militärhilfe. Selenskyj sagte, es würden auch ukrainische Piloten in Frankreich ausgebildet, was die internationale Kampfjet-Koalition noch schlagkräftiger mache. Besprochen worden seien mit Macron außerdem die nächsten Hilfspakete. Details nannte Selenskyj nicht.

Vereinbart worden sei auch, dass Frankreich und französische Unternehmen am Ukrainischen Forum der Verteidigungsindustrie teilnehmen sollten. Das Land will zu einem der größten Waffenproduzenten der Welt werden. Die Ukraine produziert inzwischen nach offiziellen Angaben auch Raketen mit größerer Reichweite sowie schlagkräftige Drohnen und will diese nach Kriegsende auch exportieren.

Russland startet neue Drohnenattacken

Russland hat in der Nacht und am frühen Montagmorgen erneut schwere Drohnenangriffe auf Ziele im Süden und im Zentrum der Ukraine gestartet. Zwar seien 17 Drohnen abgeschossen worden, es gebe aber auch mehrere Einschläge, schrieb der Militärgouverneur der Region, Oleh Kiper, bei Telegram. So seien im Landkreis Ismajil Lagerräume, Produktionshallen, Industriebetriebe und landwirtschaftliche Geräte beschädigt worden.

Nach Angaben russischer Militärblogger wurde im Gebiet Odessa erneut die Hafeninfrastruktur im Donaudelta attackiert. Dabei sei in der Hafenstadt Reni eine Ölanlage beschädigt worden. Unabhängig ließen sich diese Angaben zunächst nicht überprüfen.

Kiew: Ukrainische Armee rückt bei Bachmut vor

Das Verteidigungsministerium meldete in dem Zusammenhang weitere Geländegewinne. Im Laufe der vergangenen Woche habe die Ukraine weitere drei Quadratkilometer im Umland der umkämpften Stadt Bachmut im Osten des Landes zurückgewonnen, schrieb Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar auf Telegram. Insgesamt hätten ukrainische Soldaten seit dem Beginn der Gegenoffensive im Juni bereits 47 Quadratkilometer um Bachmut zurückerobert. Im Süden rücken die ukrainischen Truppen unterdessen ihren Angaben nach weiterhin in Richtung der strategisch wichtigen Stadt Melitopol am Asowschen Meer vor.

Ukrainequote an Unis für russische Kriegsveteranen

Russland erleichtert den Zugang zu Unis für Kriegsveteranen: 8500 im Krieg gegen die Ukraine kämpfende Soldaten oder deren Kinder haben sich nach offiziellen Angaben aufgrund einer speziellen Quote zum Studium eingeschrieben. Auch um Freiwillige für ihren Krieg gegen die Ukraine zu gewinnen, hat die russische Führung den Soldaten eine Reihe von Vergünstigungen zugesichert.

So haben Freiwillige und Mobilisierte das Recht, ihre Kredite während des Kriegsdienstes nicht zu zahlen. Arbeitgeber dürfen Soldaten nicht entlassen, die Soldaten selbst müssen auf ihren für russische Verhältnisse hohen Sold keine Einkommenssteuer zahlen.

Britisches Ministerium: Russland setzt Cyberkrieg fort

Auch seinen Cyberkrieg setzt Russland nach britischer Einschätzung gegen die Ukraine fort. Die russische Hackergruppe »Sandworm« habe eine Schadsoftware namens »Infamous Chisel« eingesetzt, teilte das Verteidigungsministerium in London mit. Sie ermögliche den dauerhaften Zugriff auf kompromittierte Android-Geräte und das Abgreifen von Daten. Damit würden auch Anwendungen des ukrainischen Militärs ins Visier genommen.

Prozess gegen mutmaßlichen russischen Spion in Schweden

In Schweden hat ein Verfahren gegen einen mutmaßlichen russischen Geheimdienstagenten begonnen. Ein gebürtiger Russe ist wegen illegaler Geheimdiensttätigkeiten gegen Schweden und die USA angeklagt. Er soll im Auftrag des Militärgeheimdienstes GRU Russland dabei geholfen haben, moderne Technologie zu beschaffen. Der zuständige Staatsanwalt Henrik Olin sagte zum Prozessauftakt am Stockholmer Amtsgericht, man könne den Mann als »Beschaffungsagenten« bezeichnen. Dem 60-jährigen Angeklagten drohen mehrere Jahre Gefängnis.

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