Nach dem Ende des Abkommens über die Ausfuhr ukrainischen Getreides will Russland bestimmte Schiffe in Teilen des Schwarzen Meeres als mögliche Gegner behandeln. Ab Donnerstag um Mitternacht (Mittwoch, 23.00 Uhr MESZ) würden Schiffe, die ukrainische Häfen ansteuern, als »potenzielle Träger militärischer Fracht« gewertet, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit.
Es sei eine Warnung an die Schifffahrt herausgegeben worden im Zusammenhang mit dem Ende der Schwarzmeer-Initiative. Demnach seien Bereiche des Nordwestens und des Südostens der internationalen Gewässer des Schwarzen Meeres als gefährlich für die Schifffahrt eingestuft worden.
Unter großer internationaler Kritik hatte der Kreml das Getreide-Abkommen am Montag nach rund einjähriger Laufzeit nicht mehr verlängert. Als Grund führte er Forderungen an, die angeblich nicht erfüllt worden seien. Damit wurden auch die Sicherheitsgarantien für einen sicheren Transport von Agrargütern aus drei ukrainischen Schwarzmeerhäfen aufgekündigt.
Dazu und zu den Angriffen auf Odessa sagte Andrij Jermak, Leiter des Präsidialamtes in Kiew: »Der russische Terror bei Odessa beweist ein weiteres Mal: Sie brauchen Hunger und Probleme in den Ländern des Globalen Südens. Sie möchten eine Flüchtlingskrise für den Westen schaffen.«
Angriffe auf Odessa
Mit Dutzenden Raketen und Drohnen griffen russische Truppen die zweite Nacht in Folge die südukrainische Metropole Odessa an. Es war die schwerste Attacke seit Kriegsbeginn vor 17 Monaten, wie Bürgermeister Hennadij Truchanow auf Facebook schrieb. Über den Schwarzmeerhafen liefen viele ukrainische Agrarexporte im Rahmen des aufgekündigten Getreideabkommens. Präsident Wolodymyr Selenskyj beklagte, Russland ziele »absolut bewusst« auf Hafenanlagen und Getreidelager.
Bei den russischen Attacken wurden nach Behördenangaben mehrere Gebäude durch Explosionen beschädigt, mindestens sechs Menschen erlitten Verletzungen. Dem Südkommando der ukrainischen Streitkräfte zufolge wurden unter anderem Hafenanlagen mit einem Getreide- und einem Speiseölterminal getroffen.
Die ukrainische Luftwaffe teilte mit, insgesamt habe die russische Armee am Mittwochmorgen über 31 Raketen unterschiedlicher Typen eingesetzt. Etwas mehr als die Hälfte habe nicht abgefangen werden können. Von 32 eingesetzten russischen Kampfdrohnen wurden demnach 23 abgeschossen. Berichte über abgefangene Flugobjekte gab es auch aus den Gebieten Kiew, Mykolajiw und Sumy.
In Moskau bestätigte das Verteidigungsministerium die neuen Angriffe auf Odessa - von Flugzeugen und Kriegsschiffen aus. Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow behauptete allerdings, es seien im Bereich der Stadt Objekte der Militärindustrie, Treibstoffanlagen und Munitionsdepots unter Beschuss genommen worden.
Schon in der Nacht zum Dienstag war Odessa Hauptziel der russischen Angriffe gewesen. Dies wurde vom Verteidigungsministerium in Moskau ausdrücklich als Reaktion auf die Beschädigung der 19 Kilometer langen Krim-Brücke am Tag zuvor bezeichnet.
Auf einem russischen Militärgelände der von Moskau annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim flogen über viele Stunden große Mengen Munition in die Luft. Aus vier Dörfern wurden nach Behördenangaben etwa 2200 Menschen in Sicherheit gebracht. Die Ukraine hat auf der Krim schon mehrfach russische Militärziele angegriffen, aber ohne sich klar dazu zu bekennen. Kiew will die Halbinsel zurückholen, die Russland sich 2014 einverleibt hat und nun als Aufmarschgebiet für den Angriffskrieg nutzt.
Putin kommt nicht zum Brics-Gipfel nach Südafrika
Für Kreml-Chef Wladimir Putin gibt es Ende August keinen Auftritt auf großer Bühne: Er reist nicht zum Gipfel der Brics-Staaten in Südafrika, wie die dortige Regierung mitteilte.
Hintergrund ist, dass Südafrika Putin wegen eines internationalen Haftbefehls aus Den Haag eigentlich hätte festnehmen müssen. Der Internationale Strafgerichtshof dort wirft dem 70-Jährigen Kriegsverbrechen vor.
Der Gipfel der aufstrebenden Brics-Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika findet vom 22. bis 24. August in Johannesburg statt. Putin wird sich dort aber per Video zuschalten. »Das wird eine vollwertige Teilnahme sein«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Vor Ort wird anstelle Putins Außenminister Sergej Lawrow teilnehmen.
FDP-Verteidigungsexpertin: »Tür zum Frieden einen Spalt breit auf«
Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht den russischen Präsidenten Putin durch den Aufstand der Söldner-Gruppe Wagner »nachhaltig geschwächt«. Aus Sicht der Vorsitzenden des Bundestags-Verteidigungsausschusses erhöht sich damit die Chance auf ein Ende des Angriffskrieges. »Meine persönliche Einschätzung ist: Zum ersten Mal geht die Tür zum Frieden einen Spalt breit auf«, sagte sie dem »Stern«.
Rotkreuz-Föderation verurteilt Belarus-Rotkreuz-Aktion
Der Dachverband der Rotkreuzgesellschaften hat sich von der Rotkreuz-Gesellschaft des autoritär geführten Belarus distanziert. Deren Chef Dmitri Schewzow hatte kürzlich eine von Russland besetzte Region in der Ostukraine besucht und dort eingeräumt, dass das belarussische Rote Kreuz ukrainische Kinder von dort nach Belarus gebracht hat. Die Ex-Sowjetrepublik Belarus ist im Angriffskrieg gegen die Ukraine ein enger Verbündeter Russlands.
»Solche Aktionen bergen die Gefahr, das Vertrauen in unsere Arbeit zur Unterstützung von Menschen in Not zu untergraben«, teilte die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) mit. »Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle Komponenten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung ihre Unabhängigkeit von Regierungen und Waffenträgern wahren.«
Schewzow hatte das Wegbringen ukrainischer Kinder in einem Fernsehinterview als angeblichen Erholungsurlaub dargestellt. »Daran waren wir, sind wir und werden wir beteiligt sein«, sagte er. Die Ukraine sieht seine Aussagen als Beleg dafür, dass Belarus an russischen Deportationen ukrainischer Kinder beteiligt ist. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba forderte deshalb den Internationalen Strafgerichtshof dazu auf, einen Haftbefehl gegen Schewzow zu erlassen.
Einen solchen Haftbefehl wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder hat das Gericht in Den Haag bereits gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin erlassen. Nach internationalen Einschätzungen gehört die Unterbringung von verschleppten Kindern in vermeintlichen »Erholungseinrichtungen« zum systematischen Programm ihrer Umerziehung und Zwangsadoption, das Moskau verfolgt. Belarussische Oppositionelle gehen davon aus, dass seit Kriegsbeginn bereits mehr als 2000 ukrainische Kinder unter Zwang nach Belarus gebracht worden sein könnten.
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