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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Die ukrainische Armee trifft eine wichtige Krim-Brücke. Und der russische Söldnerchef Prigoschin wirft Moskau »Lügen« vor. Die News im Überblick.

Donezk
Ukrainische Soldaten der 28. Brigade sitzen in ihrer Stellung an der Frontlinie in der Region Donezk. Foto: Evgeniy Maloletka/DPA
Ukrainische Soldaten der 28. Brigade sitzen in ihrer Stellung an der Frontlinie in der Region Donezk.
Foto: Evgeniy Maloletka/DPA

Die ukrainische Armee hat nach Angaben der russischen Besatzungsmacht bei ihrer Gegenoffensive eine wichtige Brücke zur Halbinsel Krim schwer beschädigt.

Die Tschonhar-Brücke, die die Krim mit dem Festlandgebiet Cherson verbindet, sei auf Wochen hinaus nicht mehr zu benutzen, schrieb der örtliche Besatzungschef Wladimir Saldo am Donnerstag auf Telegram. In Aufnahmen waren Krater und zumindest ein Loch zu erkennen. Unterdessen warf der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, der eigenen Militärführung Lügen über die Lage an der Front vor.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert an diesem Samstag bereits genau 16 Monate. Die Halbinsel Krim, die zur Ukraine gehört, hatte Russland gegen internationale Regeln allerdings schon 2014 besetzt. Seit diesem Monat läuft mit Unterstützung des Westens eine Gegenoffensive der ukrainischen Armee. Zu deren Erfolg gibt es von den beiden Kriegsparteien unterschiedliche Angaben. Unabhängig überprüfen lassen sich die Berichte in vielen Fällen nicht.

UN-Bericht: Mindestens 477 Kinder getötet

Die Vereinten Nationen machten sowohl Russland als auch die Ukraine für die Tötung von Kindern im Krieg verantwortlich. Nach einem internen UN-Bericht, den die Deutsche Presse-Agentur dpa in New York einsehen konnte, wurden vergangenes Jahr in der Ukraine erwiesenermaßen insgesamt 477 Kinder getötet: 136 Fälle werden den russischen Streitkräften und Verbündeten zugeordnet, 80 den ukrainischen Truppen. Für die restlichen Opfer könne keine der beiden Kriegsparteien mit Sicherheit die Schuld gegeben werden, hieß es.

UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich »schockiert«. Zudem wurde die russische Armee erstmals auf eine UN-Liste von Organisationen aufgenommen, die schwere Vergehen gegen Kinder in bewaffneten Konflikten begehen.

Besatzungschef: Ukraine griff Krim-Brücke mit britischen Raketen an

Bei dem Angriff auf die Tschonhar-Brücke setzten die Ukrainer nach Angaben von Besatzungschef Saldo Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow ein. Großbritannien hat der Ukraine solche Raketen mit mehr als 250 Kilometern Reichweite zur Verfügung gestellt. Die Tschonhar-Brücke ist eine von drei Anfahrtsrouten von der Krim ins ebenfalls zu Teilen okkupierte Gebiet Cherson. Die Halbinsel ist zudem über die Kertsch-Brücke mit dem russischen Festland verbunden. Sie wurde im Herbst bei einem Angriff beschädigt.

Prigoschin: Putin wird belogen

Söldnerchef Prigoschin warf Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow vor, Präsident Wladimir Putin »Blödsinn« auftischen - in der Hoffnung, dass solche »Lügen« nur schrecklich genug sein müssten, damit Putin sie glaube. Die ukrainischen Streitkräfte hätten bereits erhebliche Erfolge erzielt. Prigoschin kann sich nach Einschätzung von Beobachtern solche Kritik leisten, weil als Vertrauter Putins gilt. Andere Russen müssten dafür wahrscheinlich in Haft.

»Das sind große Gebiete, die wir verloren haben«, sagte Prigoschin in einer Sprachnachricht auf Telegram. Auch die Verluste in den russischen Reihen seien groß. »Kolossale Probleme«, würden verheimlicht. Der Chef der Söldnertruppe forderte einmal mehr eine Mobilmachung, um eine russische Niederlage zu verhindern.

Verteidigungsminister berichtet von vielen Toten

Dagegen berichtete die russische Armeeführung über angeblich massenhaft Tote und vernichtete Technik auf ukrainischer Seite. Verteidigungsminister Schoigu sagte bei einem Treffen mit Putin, das Tempo von Kiews Gegenoffensive habe sich nach 16 Tagen verlangsamt. Auf eine Nachfrage Putins zu Risiken für die eigenen Streitkräfte durch die Lieferung schwerer Waffen aus dem Westen an die Ukraine sagte Schoigu: »Wir sehen hier nicht irgendwelche Bedrohungen - auch, weil bei uns eine Formierung von Reserven läuft.«. Bis zum Monatsende werde eine »Reservearmee« mit mehr als 3000 Einheiten von Kampftechnik aufgestellt.

Ukrainischer Regierungschef: »Riesiges Territorium« befreit

Nach Worten des ukrainischen Regierungschefs Denys Schmyhal haben die ukrainischen Truppen inzwischen acht Dörfer und 113 Quadratkilometer besetzten Gebiets befreit. »Das ist ein riesiges Territorium«, sagte er bei einer Ukraine-Konferenz in London. 113 Quadratkilometer entsprechen allerdings nur knapp dem Stadtgebiet der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel.

Schmyhal mahnte zu Geduld bei der Gegenoffensive. Manchmal seien taktische Pausen notwendig. Verlangsamt werde das Vorrücken durch russische Minenfelder. »Wir werden unsere Soldaten nicht verfeuern, wie die Russen das tun«, betonte Schmyhal. Man sei jedoch »absolut optimistisch«, das gesamte besetzte Gebiet zurückzuerobern.

Selenskyj warnt vor »Terrorakt« in AKW Saporischschja

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland erneut vor, im besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja einen »Terrorakt« zu planen. »Sie haben dafür alles vorbereitet«, sagte er in einem Video. Zugleich warnte Selenskyj, dass ein solcher Angriff auf Europas größtes AKW Folgen weit über die Ukraine hinaus haben könnte. »Radioaktivität kennt keine Grenzen.« Moskau hat solche Vorwürfe stets zurückgewiesen. Das AKW war von Russland gleich nach dem Einmarsch ins Nachbarland vor 16 Monaten besetzt worden.

EU-Kommission: Ukraine macht Fortschritte hin zu Beitrittsgesprächen

Die Ukraine erzielt nach Angaben der EU-Kommission auf ihrem Weg zu Gesprächen über den Beitritt zur Europäischen Union Fortschritte. Von den sieben Voraussetzungen für den Beginn von Beitrittsverhandlungen habe die Ukraine bislang zwei erfüllt, teilte der zuständige Kommissar Oliver Varhelyi am Donnerstag in Stockholm mit. Neben Reformen in zwei wichtigen Organen der Justizverwaltung seien entscheidende Änderungen im Medienbereich vorgenommen worden. Bei den anderen fünf Punkten sei die Ukraine auf dem richtigen Weg, die Fortschritte würden fristgerecht umgesetzt.

© dpa-infocom, dpa:230622-99-142166/10