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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Für US-Militärexperten ist die Sache klar: Moskau selbst hat den Drohnen-Vorfall inszeniert. Moskau zeigt in der Angelegenheit auf Washington. Die Entwicklungen im Überblick.

Bachmut
Ukrainische Soldaten feuern eine Kanone auf russische Stellungen an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut, in der Region Donezk. Foto: LIBKOS
Ukrainische Soldaten feuern eine Kanone auf russische Stellungen an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut, in der Region Donezk.
Foto: LIBKOS

Einen Tag nach dem mysteriösen Drohnen-Vorfall am Kreml in Russland sind die Hintergründe weiter offen. Während US-Militärexperten dahinter einen von Moskau aus taktischen Gründen inszenierten Scheinangriff vermuten, beschuldigt Russland die USA als eigentlichen Auftraggeber.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich besorgt über eine mögliche weitere Eskalation. Unterdessen wurde die ukrainische Hafenstadt Odessa Hauptziel erneuter Drohnenangriffe des russischen Militärs. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte auf seiner Europareise eine strafrechtliche Verfolgung Russlands wegen des Aggressionskrieges und wegen Kriegsverbrechen.

Drohnen-Attacke: Militärexperten sehen Anzeichen für Inszenierung

Nach Einschätzung internationaler Militärexperten hat Russland zwei angebliche ukrainische Drohnenangriffe auf den Kreml wahrscheinlich selbst inszeniert. Mehrere Indizien deuteten darauf hin, dass der Angriff von innen geführt und gezielt inszeniert worden sei, schrieb das in Washington ansässige Institut für Kriegsstudien (ISW). Laut der US-Denkfabrik haben die russischen Behörden in letzter Zeit Schritte unternommen, um die Luftverteidigung zu verstärken. Es sei äußerst unwahrscheinlich, dass Drohnen mehrere Luftverteidigungsringe hätten durchdringen können. Die sofortige und koordinierte russische Reaktion deute darauf hin, dass der Angriff intern so vorbereitet wurde, dass seine beabsichtigten politischen Auswirkungen die Peinlichkeit überlagert, die ein Einschlag am Kreml bedeuten würde.

Russland: USA sind Drahtzieher der Drohnen-Attacke

Russland hat den USA vorgeworfen, hinter dem angeblichen Drohnen-Anschlag auf den Kreml zu stecken. »Wir wissen, dass die Entscheidung über solche Handlungen und Terrorakte nicht in Kiew getroffen wird, sondern in Washington. Und Kiew führt aus, was ihnen gesagt wird«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge, ohne dafür irgendwelche Beweise vorzulegen. Die US-Regierung wies den Vorwurf als »lächerlich« zurück. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby sagte: »Herr Peskow lügt.«

EU besorgt wegen möglicher Eskalation nach Drohnen-Vorfall

»Was uns Sorgen macht, ist, dass dies als Rechtfertigung für weitere Angriffe auf die Ukraine genutzt werden kann«, sagte der EU-Außenbeauftragte Borrell am Rande eines Treffens der EU-Entwicklungsminister in Brüssel. »Wir fordern Russland auf, diesen angeblichen Angriff nicht als Vorwand für eine weitere Eskalation des Krieges zu nutzen.«

Russische Drohnenangriffe auf Odessa

Russland hat bei neuen schweren Drohnenangriffen gegen die Ukraine in der Nacht vornehmlich die Hafenstadt Odessa ins Visier genommen. »Der Feind hat in der Nacht 15 Shahed-131/136 (iranisches unbemanntes Luftfahrzeug) auf Odessa gelenkt«, teilte der Kommandostab Süd der ukrainischen Streitkräfte mit. Zwölf Drohnen seien abgeschossen worden, drei hätten in einem Wohnheim einen Brand ausgelöst, der aber schnell und ohne Opfer gelöscht werden konnte, hieß es. Insgesamt sind nach Angaben der Luftstreitkräfte 18 von 24 auf die Ukraine gelenkten Drohnen abgeschossen worden. Neben Odessa meldete auch die Hauptstadt Kiew Drohnenangriffe. Nach Angaben der Militärverwaltung sind dort aber alle Flugobjekte noch beim Anflug zerstört worden.

Selenskyj fordert Tribunal nach Vorbild der Nürnberger Prozesse

Ohne Gerechtigkeit sei kein Friede möglich, sagte Selenskyj am Donnerstag in Den Haag. Als Vorbild eines Tribunals nannte er die Nürnberger Prozesse gegen die deutschen Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg. »Ein dauerhafter Frieden ist nur möglich, wenn wir die Aggressoren auch zur Verantwortung ziehen«, sagte Selenskyj. »Natürlich hätten wir alle heute lieber einen anderen Wladimir hier in Den Haag gesehen«, sagte er zu Beginn seiner Rede und verwies damit auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Selenskyjs Vorname ist die ukrainische Form des Namens.

OSZE-Bericht: Verschleppung ukrainischer Kinder ist Kriegsverbrechen

Russland hat laut einer Untersuchung im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) durch die Verschleppung von ukrainischen Kindern Kriegsverbrechen begangen. In dem Abschlussbericht, der am Donnerstag in Wien vorgestellt wurde, hieß es außerdem, dass Deportationen nach Russland und in russisch kontrollierte Gebiete möglicherweise auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten seien.

Selenskyj hält Nato-Beitritt in Kriegszeiten für unrealistisch

Für Selenskyj ist ein Nato-Beitritt seines Landes während des Krieges mit Russland unrealistisch. »Aber während des Krieges wollen wir eine sehr klare Botschaft, dass wir nach dem Krieg in der Nato sein werden«, betonte der 45-Jährige in Den Haag. Dabei habe Kiew im Hinblick auf den Gipfel der Militärallianz in Vilnius im Juli »positive Botschaften« von einigen Ländern erhalten. Welche Staaten dem osteuropäischen Land mehr als nur eine »offene Tür« signalisieren wollen, sagte er nicht. Der niederländische Premier Mark Rutte signalisierte Unterstützung. »Wir unterstützen die Nato-Ambitionen der Ukraine«, sagte Rutte.

Die Niederlande beraten zur Zeit mit Dänemark und Großbritannien über die Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine. Die Lieferung der Kampfjets F-16 sei »kein Tabu«, sagte Rutte in Den Haag. Eine Einigung sei dabei noch nicht erzielt worden. Doch das sei eine Frage der Zeit.

© dpa-infocom, dpa:230504-99-551844/8