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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Auf beiden Seiten sollen Gefangene getötet worden sein, UN-Beobachter bekommen aber nur von Kiew Zugang. Die Zahl getöteter Zivilisten wird höher geschätzt als bisher bekannt. Die News im Überblick.

Wolodymyr Selenskyj
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war beim EU-Gipfel per Video zugeschaltet. Foto: Ukrainian Presidential Office
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war beim EU-Gipfel per Video zugeschaltet.
Foto: Ukrainian Presidential Office

Die Vereinten Nationen haben sich am Freitag besorgt gezeigt über Hinrichtungen von Kriegsgefangenen während des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Unterdessen starben weitere Zivilisten in dem Land durch russische Angriffe. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj soll in Aachen mit dem Karlspreis ausgezeichnet werden.

Tiefe Besorgnis über hingerichtete Kriegsgefangene bei der UN

Die Vereinten Nationen sind »zutiefst besorgt« über bekannt gewordene Hinrichtungen von bis zu 25 russischen und 15 ukrainischen Kriegsgefangenen in der Ukraine. Das sagte die Leiterin der UN-Menschenrechtskommission in der Ukraine, Matilda Bogner, am Freitag auf einer Pressekonferenz in Kiew. Die Taten seien »oft unmittelbar nach der Gefangennahme auf dem Schlachtfeld« verübt worden, sagte Bogner. Der UN seien dazu laufende Ermittlungen von ukrainischer Seite in fünf Fällen mit 22 Opfern bekannt. Es seien jedoch keine Verurteilungen von Tätern bekannt.

Der ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Dmytro Lubinez widersprach den Angaben der Vereinten Nationen, es gebe keine Beweise für die Tötung russischer Kriegsgefangener. Die Ukraine verletzte die Rechte der Gefangenen nicht und halte sich an internationale Abkommen, teilte er im Nachrichtenkanal Telegram mit. Bogner und ihre Kollegen hätten die Vorwürfe bei Treffen mit ihm nie angesprochen. Zugleich wies Lubinez auf eine Vielzahl russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine hin.

Auf russischer Seite sind nach UN-Angaben 11 der 15 bekannten Hinrichtungen durch die Wagner-Söldnergruppe verübt worden. Anfang März hatte ein Video einer mutmaßlichen Hinrichtung eines ukrainischen Kriegsgefangenen weltweit für große Empörung gesorgt.

Russland gewährt keinen Zugang zu Kriegsgefangenen

Von der UN seien zudem über 400 Kriegsgefangene interviewt worden, so Bogner weiter. Es seien zwar Gefangene von beiden Seiten befragt worden, doch gebe Russland den UN keinen Zugang zu ukrainischen Kriegsgefangenen.

Von etwas über 200 interviewten ehemaligen Gefangenen Russlands habe die Mehrzahl von Misshandlungen vor ihrer Internierung berichtet. Bei Verhören seien die Gefangenen vom russischen Militär und Geheimdienst geschlagen, an Strom angeschlossen, angeschossen, mit Messern verletzt und mit Scheinhinrichtungen bedroht worden. Die Haftbedingungen seien zudem auf russischer Seite sehr schlecht. Mindestens fünf Kriegsgefangene seien jeweils wegen unzureichender medizinischer Behandlung oder an den Misshandlungen gestorben.

Neun ukrainische Zivilisten innerhalb eines Tages getötet

In der Ukraine sind unterdessen innerhalb eines einzigen Tages mindestens neun Zivilisten bei russischen Angriffen getötet worden. Weitere 26 seien verletzt worden, teilte der Pressedienst des ukrainischen Militärs am Freitag im Nachrichtenkanal Telegram mit. Betroffen von Angriffen waren demnach acht Gebiete des Landes, dabei insbesondere das östliche Donezker Gebiet. Behördenangaben zufolge wurden dort allein bei einem Angriff auf ein Obdachlosenheim in der Stadt Kostjantyniwka drei Menschen getötet und zwei weitere verletzt.

Mehr als 8300 tote Zivilisten seit Kriegsbeginn registriert

Die Vereinten Nationen haben in dem inzwischen mehr als 13 Monate andauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mehr als 8300 getötete Zivilisten registriert. Die Organisation geht aber aufgrund des fehlenden Zugangs zu den russisch besetzten Gebieten von weitaus höheren Opferzahlen aus.

Von den Todesfällen bei Zivilisten seien »mehr als 90 Prozent durch Raketen, Sprengstoffwaffen, Minen und explosive Rückstände verursacht worden«, sagte Bogner. In den von Russland besetzten Gebieten seien Hinrichtungen von Zivilisten und willkürliche Festnahmen dokumentiert worden. Mindestens 621 Menschen seien entweder verschwunden oder gewaltsam von den russischen Besatzern festgenommen worden. Die Freigelassenen berichteten zu 90 Prozent von Folter und Misshandlungen.

Selenskyj soll Karlspreis am 14. Mai erhalten

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj soll am 14. Mai den Karlspreis überreicht bekommen. »Wir arbeiten auf diesen Termin hin«, sagte eine Sprecherin der Stadt Aachen am Freitag. Ob es wirklich dabei bleibe, hänge von der weiteren Entwicklung in der Ukraine ab. Traditionell findet die Karlspreis-Verleihung eigentlich am Feiertag Christi Himmelfahrt (18. Mai) statt, dies sei aber wegen Terminkollisionen nicht möglich.

Ob Selenskyj persönlich komme oder per Video zugeschaltet werde, werde sich möglicherweise erst sehr kurzfristig entscheiden, sagte die Sprecherin. Zuvor hatte die »Aachener Zeitung« berichtet.

Selenskyj und das ukrainische Volk erhalten den Karlspreis 2023 für ihre Verdienste um Europa. In der Begründung des Karlspreisdirektoriums hieß es, dass das ukrainische Volk unter Selenskyjs Führung nicht nur die Souveränität seines Landes und das Leben seiner Bürger verteidige, »sondern auch Europa und die europäischen Werte«. Mit der Verleihung werde unterstrichen, dass die Ukraine Teil Europas sei.

Medwedew liest Rüstungsvertretern Stalin-Telegramm vor

Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew griff unterdessen zu einer aufsehenerregenden Maßnahme, in der Hoffnung die heimische Waffenproduktion zu steigern: Vor Vertretern einer nationalen Rüstungskommission zitierte der 57-Jährige den Sowjetdiktator Josef Stalin (1879-1953), wie aus einem von mehreren Videos hervorgeht, die Medwedew selbst in sozialen Netzwerken veröffentlichte. Medwedew gilt als glühender Verfechter des brutalen russischen Angriffskriegs auf das Nachbarland.

In dem Video ist zu hören, wie er - am Kopfende eines langen Tisches sitzend - aus einem Telegramm Stalins aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs vorliest, in dem dieser eine Fabrik in der Stadt Tscheljabinsk zur pünktlichen Produktion von Panzerteilen aufruft. »Sollte sich in ein paar Tagen herausstellen, dass Sie Ihre Pflicht gegenüber dem Vaterland verletzen, so werde ich damit beginnen, Sie wie Verbrecher zu zerschlagen«, heißt es in dem Schreiben aus dem Jahr 1941 weiter. Anschließend sagt Medwedew, der mittlerweile Vize-Chef des russischen Sicherheitsrats ist, in die Runde: »Kollegen, ich will, dass Sie mir zuhören und sich an die Worte des Generalissimus erinnern.«

© dpa-infocom, dpa:230324-99-68161/8