In der schwer umkämpften Stadt Bachmut im Osten der Ukraine geraten die ukrainischen Streitkräfte immer stärker unter Druck. Die russische Privatarmee Wagner behauptete am Sonntag, einen Vorort eingenommen zu haben und nun weiter aufs Zentrum vorzurücken.
Aus Kiew gab es dazu zunächst keine Stellungnahme. Die ukrainische Seite hatte zuvor jedoch schon betont, dass Bachmut weiter unter ihrer Kontrolle sei. In der Stadt mit einst mehr als 70.000 Einwohnern harren nun nur noch wenige Tausend aus. Der russische Angriffskrieg geht in wenigen Tagen bereits ins zweite Jahr.
Angesichts der Dauer-Debatten um weitere Waffenlieferungen aus dem Westen für die Ukraine mahnte Außenministerin Annalena Baerbock zu gründlichem Nachdenken. Wichtig sei, »immer wieder sorgfältig abzuwägen«, sagte die Grünen-Politikerin dem »Tagesspiegel« (Sonntag) aus Berlin.
Russen berichten von Einnahme eines Vororts
Der Kampf um Bachmut ist derzeit die blutigste Schlacht in der Ukraine. Nach Angaben beider Seiten gibt es dort hohe Verluste. Mit einer Eroberung der Stadt käme Kremlchef Wladimir Putin seinem Ziel näher, die gesamte Region Donezk unter seine Kontrolle zu bringen. Am 24. Februar ist es genau ein Jahr her, dass der Krieg begann. Die Ukrainer argwöhnen, dass Putin mit neuen Offensiven noch vor dem Jahrestag Fakten schaffen will. Die Angaben aus dem Kriegsgebiet sind von unabhängiger Seite in den meisten Fällen kaum zu überprüfen.
Der Chef der Wagner-Truppen, der Putin-Vertraute Jewgeni Prigoschin, berichtete, dass seine Kämpfer nach der Erstürmung des Vorortes Krasna Hora nun auf das sieben Kilometer entfernte Bachmut vorrückten. Auch nach Darstellung des Verteidigungsministeriums in Moskau kommen die Truppen voran. Der ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj betonte jedoch: »Trotz konstantem Druck des Feindes halten wir Bachmut weiter unter Kontrolle und ergreifen Maßnahmen, um die Frontlinie um diese Stadt herum zu stabilisieren.« Zugleich sprach er von schweren Kämpfen um die Städte Wuhledar und Marjinka.
Briten sehen so hohe russische Verluste wie lange nicht
Russland verliert nach britischen Angaben so viele Soldaten wie seit den Anfangstagen des Kriegs nicht mehr. »In den vergangenen zwei Wochen hat Russland wahrscheinlich die höchste Verlustrate seit der ersten Woche des Einmarsches in die Ukraine erlitten«, erklärte das britische Verteidigungsministerium unter Berufung auf Statistiken des ukrainischen Generalstabs. London könne die Methodologie bei der Erhebung der Zahlen nicht im Detail prüfen, gehe aber davon aus, dass der »von den Daten illustrierte Trend wohl zutreffend ist«. Im Durchschnitt der vergangenen sieben Tage habe es den Daten zufolge 824 russische Tote oder Verletzte täglich gegeben, was mehr als dem Vierfachen des Wertes der Monate Juni und Juli entspreche.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lobte den Widerstand der eigenen Soldaten am Samstagabend in einer Videobotschaft. Seit Mitte Oktober greift Russland mit Raketen auch die Energieanlagen des Nachbarlandes an. Zuletzt gab es solche Attacken am Freitag. Wegen der Zerstörungen gab es auch am Wochenende vielerorts Probleme mit der Stromversorgung. Energieminister Herman Haluschtschenko sagte am Sonntag: »Es gibt Probleme, allen Kunden den Strom zu liefern.« Inzwischen seien aber alle neun Reaktorblöcke der ukrainischen Atomkraftkraftwerke wieder am Netz. Das größte AKW des Landes nahe Saporischschja ist jedoch von russischen Kräften besetzt.
Baerbock: Kampfjets »keine Debatte, die wir führen«
Erneut bat die Ukraine um mehr Unterstützung aus dem Westen. Oberbefehlshaber Saluschnyj zeigte sich in einem Gespräch mit US-Generalstabschef Mark Milley besorgt über den Einsatz russischer Marine-Drohnen. Die USA unterstützen die Ukraine militärisch so stark wie kein anderes Land. Kiew fordert nach der Zusage des Westens für Kampfpanzer nun auch Düsenjäger. Darüber gibt es in mehreren Ländern seit Tagen große Debatten. Polens Präsident Andrzej Duda schloss in der BBC aus, dass sein Land im Alleingang Kampfjets liefern könnte. Eine solche Entscheidung müsse von den Nato-Verbündeten gemeinsam getroffen werden. Polen gehört zu den Ländern, die dafür sind.
Außenministerin Baerbock sagte zu dem Thema knapp: »Das ist keine Debatte, die wir führen.« Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte nach einem EU-Gipfel in Brüssel berichtet, die ukrainische Bitte um Kampfjets sei »kein Gesprächsthema« gewesen. Andere Delegationen bekräftigten aber auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, dass dies beim Gipfel in großer Runde durchaus angesprochen worden sei.
Selenskyj will sein Land möglichst schnell in die Europäische Union führen. Dazu sollen nach seinen Vorstellungen noch in diesem Jahr Verhandlungen beginnen. Die EU nennt bislang keinen Termin - auch, weil die Staatsverwaltung in der Ukraine vielfach noch von Korruption und Machtmissbrauch geprägt ist. Selenskyj versprach in seiner Videobotschaft: »Der Staat wird die Modernisierung der Institutionen, ihrer Abläufe und Verfahren fortsetzen.«
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