Mit Spannung wird an diesem Freitag international - vor allem aber in der Ukraine - auf ein Treffen der westlichen Alliierten im rheinland-pfälzischen Ramstein geblickt.
Im Fokus steht die Frage, ob Deutschland dort der Lieferung von Kampfpanzern zustimmt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj appellierte noch einmal eindringlich an die Bundesregierung, sein von Russland vor fast elf Monaten angegriffenes Land endlich mit den modernen Leopard-Panzern zu unterstützen.
Der neuer Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius blieb derweil vor dem Treffen noch bei der eher vorsichtigen Linie. Aus den USA hieß es, die Lieferung amerikanischer Abrams-Kampfpanzer sei derzeit nicht sinnvoll - Deutschland aber treffe eine »souveräne Entscheidung«. Am Donnerstagabend kündigte das US-Verteidigungsministerium in Washington (Ortszeit) umfangreiche Waffenlieferungen im Umfang von bis zu 2,5 Milliarden US-Dollar an - allerdings keine Abrams.
Selenskyj: »Kannst du Leoparden liefern? Dann gib' sie her!«
In einem am Donnerstagabend ausgestrahlten ARD-Interview kritisierte Selenskyj Deutschlands zögerliche Haltung bei der Frage nach möglichen Kampfpanzer-Lieferungen scharf. »Ihr seid doch erwachsene Leute. Sie können gerne noch sechs Monate lang so reden, aber bei uns sterben Menschen - jeden Tag.« Dann fügte er hinzu: »Im Klartext: Kannst du Leoparden liefern oder nicht? Dann gib' sie her!«
»Es ist ja nicht so, dass wir angreifen, falls sich da jemand Sorgen macht«, so Selenskyj. »Diese Leoparden werden nicht durch Russland fahren. Wir verteidigen uns.« Zugleich betonte er mit Blick auf bereits geleistete Militärhilfe: »Wir sind dankbar. Ich will, dass alle das hören: Wir sind Deutschland dankbar.«
USA sagen Ukraine weitere Milliarden-Militärhilfe zu
Die US-Regierung kündigte bereits kurz vor dem Treffen in Ramstein weitere milliardenschwere Militärhilfen für die Ukraine an. Das Pentagon veröffentlichte am Donnerstagabend (Ortszeit) eine Liste mit umfangreichen Waffenlieferungen. Das Paket enthält unter anderem 59 Schützenpanzer vom Typ Bradley und erstmals 90 Radschützenpanzer des Typs Stryker - aber keine Abrams-Kampfpanzer. Es ist das bislang zweitgrößte Einzelpaket dieser Art.
Das Ministerium hält die Lieferung amerikanischer Abrams-Kampfpanzer nach eigenen Angaben derzeit nicht für sinnvoll. Der Abrams benötige anderen Treibstoff als etwa die Kampfpanzer Leopard 2 oder der Challenger 2 und sei aufwendig in der Instandhaltung, sagte Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh am Donnerstag. Über den Abrams war diskutiert worden, nachdem berichtet worden war, Bundeskanzler Olaf Scholz habe die Lieferung des US-Kampfpanzers zur Bedingung für eine mögliche Entsendung deutscher Kampfpanzer gemacht.
Mit dem neuen Paket haben die USA der Ukraine nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums seit Beginn der Amtszeit von Präsident Joe Biden militärische Hilfe im Umfang von mehr als 27,4 Milliarden US-Dollar bereitgestellt oder zugesagt, mehr als 26,7 Milliarden US-Dollar davon seit Beginn des russischen Angriffskrieges Ende Februar.
Pistorius: Kein Junktim für Lieferung von US- und Leopard-Panzern
Bundesverteidigungsminister Pistorius hatte zuvor erklärt, die Lieferung von US-Kampfpanzern vom Typ Abrams in die Ukraine nicht als Bedingung für die mögliche Entsendung deutscher Kampfpanzer anzusehen: »Ein solches Junktim ist mir nicht bekannt«, sagte der SPD-Politiker in einem ARD-»Brennpunkt«.
Auf die Nachfrage, ob Deutschland ohne die USA Kampfpanzer liefern würde, sagte Pistorius, das sei eine Frage, die Scholz mit US-Präsident Joe Biden bespreche. »Ich bin ziemlich sicher, dass wir in den nächsten Tagen eine Entscheidung dazu bekommen werden. Wie die aussehen wird, kann ich Ihnen aber heute noch nicht sagen«.
Auf die Frage, ob Deutschland bei der Ramstein-Konferenz der westlichen Ukraine-Unterstützer am Freitag anderen Ländern grünes Licht geben würde, Leopard-Panzer aus deutscher Produktion zu exportieren, sagte Pistorius: »Das wird sich in den nächsten Stunden oder morgen früh herausstellen.«
Großbritannien will 600 weitere Raketen an die Ukraine liefern
Großbritannien wiederum will 600 weitere Raketen vom Typ Brimstone in die Ukraine schicken, um das Land in seinem Kampf gegen Russland zu unterstützen. Das kündigte Verteidigungsminister Ben Wallace auf dem estnischen Militärstützpunkt Tapa an. Nähere Angaben zum Zeitpunkt der Lieferung machte er zunächst nicht.
Wallace nahm in Tapa an einem Treffen von Verteidigungsministern mehrerer europäischer Länder teil, das von seinem estnischen Kollegen Hanno Pevkur und ihm initiiert worden war. Bei dem Treffen auf der rund 150 Kilometer von der russischen Grenze entfernten Truppenbasis verabschiedeten die Teilnehmer eine gemeinsame Erklärung für Militärhilfe für die Ukraine; neben Wallace stellten auch andere Minister weitere Hilfen für Kiew vor.
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