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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Nach den jüngsten verheerenden Angriffen Russlands ist das Entsetzen international weiter groß. Präsident Selenskyj macht den Ukrainern Mut - und stellt rasche Reparaturen in Aussicht. Der Überblick.

Ukraine-Krieg - Saporischschja
Feuerwehrleute bekämpfen einen Brand nach russischen Raketenangriffen. Foto: State Emergency Service Of Ukrai
Feuerwehrleute bekämpfen einen Brand nach russischen Raketenangriffen.
Foto: State Emergency Service Of Ukrai

Nach den schweren Angriffen zum Wochenbeginn hat Russland die Ukraine erneut mit weitflächigen Angriffen überzogen. Ungeachtet dessen versprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seinen Landsleuten einen baldigen Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur.

Durch den Beschuss, der offensichtlich insbesondere auf Energieinfrastruktur abzielte, waren etwa in Lwiw im Westen des Landes mehrere Umspannwerke komplett zerstört worden. Viele Bewohner waren von der Stromversorgung abgeschnitten.

Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow bedankte sich unterdessen in der Nacht zum Mittwoch für Rüstungslieferungen aus den USA und Deutschland und verkündete, »eine neue Ära der Luftverteidigung« für sein Land.

Trotz der jüngsten Eskalation Moskaus kam zwischen den beiden Ländern laut Angaben aus Kiew ein weiterer Gefangenenaustausch zustande. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, traf den russischen Präsidenten Wladimir Putin - und forderte einmal mehr eine Schutzzone um das besetzte ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja. Die G7-Staaten sicherten der Ukraine unterdessen weitere Unterstützung zu. Mittwoch ist der 231. Tag des Krieges.

Selenskyj: Angriffe können Wiederaufbau lediglich verzögern

Der Beschuss am Dienstag habe die Reparatur zuvor beschädigter Objekte lediglich verzögert, sagte Selenskyj nach der zweiten Welle russischer Angriffe in seiner Videoansprache in der Nacht zum Mittwoch. »Wo es Verluste gab, gibt es bereits unseren Willen zum Aufbau. Wo es irgendwelche Hoffnungen des Feindes gab, wird es nur noch Ruinen der russischen Staatlichkeit geben.« Russland habe am Dienstag 28 Raketen auf sein Land abgefeuert, sagte Selenskyj. Davon habe die ukrainische Luftverteidigung 20 abgefangen. Von 15 Drohnen seien fast alle abgeschossen worden.

Biden: Putin hat sich »erheblich verkalkuliert«

Kremlchef Putin hat sich mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine nach Ansicht von US-Präsident Joe Biden verschätzt. »Ich denke, er ist ein rationaler Akteur, der sich erheblich verkalkuliert hat«, sagte Biden dem US-Sender CNN in einem am Dienstagabend (Ortszeit) ausgestrahlten Interview. Putin sei fälschlicherweise davon ausgegangen, die Ukrainer würden sich einer russischen Invasion unterwerfen. »Ich glaube, er dachte, er würde mit offenen Armen empfangen werden«, sagte Biden. »Ich glaube, er hat sich einfach völlig verkalkuliert.«

G7 will Putin für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft ziehen

Die sieben führenden demokratischen Wirtschaftsmächte haben die jüngsten russischen Raketenangriffe auf die Ukraine aufs Schärfste verurteilt und den ukrainischen Streitkräften weitere militärische Unterstützung zugesichert. Nach einer Videokonferenz mit Selenskyj erinnerten die Staats- und Regierungschefs der G7 in einer gemeinsamen Erklärung daran, dass »wahllose Angriffe auf unschuldige Zivilisten ein Kriegsverbrechen« darstellten. Sie drohten Russland mit weiteren Sanktionen gegen Einzelpersonen und Institutionen innerhalb und außerhalb des Landes, die den Angriffskrieg politisch oder wirtschaftlich unterstützten. Der Ukraine sicherte die G7 weitere finanzielle, humanitäre und militärische Hilfe zu.

Stoltenberg droht mit Konsequenzen bei Atomwaffeneinsatz

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat Russland für den Fall eines Einsatzes von Atomwaffen im Ukraine-Krieg erneut mit Konsequenzen gedroht. »Wenn Russland Atomwaffen einsetzt, wird das verschiedene Konsequenzen haben, auch beim Gebrauch kleinerer atomarer Waffen«, sagte der Norweger dem Nachrichtenportal »ZDFheute.de«. Er wolle nicht zu sehr ins Detail gehen. »Das Wichtigste ist, zu verhindern, dass dies geschieht.« Das Risiko eines Einsatzes von Atomwaffen durch Russland sei nach wie vor gering, so Stoltenberg. »Aber die Eskalation in der Ukraine und die nukleare Bedrohung Russlands macht es notwendig, dass wir sie ernst nehmen und vorbereitet sind.«

Lambrecht verurteilt Raketenangriffe auf Zivilbevölkerung

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat vor einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister am Mittwoch die russischen Raketenangriffe in der Ukraine scharf verurteilt. »Mit dem Raketenbeschuss ukrainischer Städte terrorisiert Putin unverhohlen die Zivilbevölkerung. Seine Verachtung gegenüber den Menschen steigt offensichtlich mit dem Scheitern seiner Pläne«, sagte Lambrecht den Zeitungen der Funke Mediengruppe. »Unsere Unterstützung für die Ukraine müssen wir unvermindert fortsetzen.« Gerade die Lieferung von Flugabwehrsystemen sei deshalb der richtige Schritt.

Der ukrainische Verteidigungsminister Resnikow bedankte sich in der Nacht zum Mittwoch bei Twitter für Rüstungslieferungen aus den USA und Deutschland. »Eine neue Ära der Luftverteidigung« habe in der Ukraine begonnen, schrieb Resnikow. Das Luftabwehrsystem Iris-T aus Deutschland sei bereits angekommen. Raketenwerfersysteme des Typs Nasams aus den USA seien unterwegs. »Das ist erst der Anfang. Und wir brauchen mehr. Zweifellos ist Russland ein Terror-Staat«, schrieb der Minister. Er dankte Lambrecht für ihre »starke Bereitschaft«, die Ukraine zu unterstützen. »Wir werden gewinnen«, twitterte Resnikow.

Russland setzt iranische Drohnen in der Ukraine ein

Bei seinen massiven Raketenangriffen auf ukrainische Städte hat Russland nach britischen Informationen auch iranische Kampfdrohnen eingesetzt. Die unbemannten Flugkörper vom Typ Shahed seien langsam und flögen sehr niedrig, wodurch sie für die Flugabwehr leicht zu treffen seien, teilte das Verteidigungsministerium in London mit. Allerdings bestehe eine »realistische Möglichkeit«, dass Russland mit dem Einsatz mehrerer Drohnen zugleich einigen Erfolg gehabt habe, hieß es unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse weiter.

Die russischen Truppen setzten die iranischen Drohnen, darunter sogenannte Kamikazedrohnen vom Typ Shahed-136, mindestens seit August ein, so das Ministerium. »Trotz einer gemeldeten Reichweite von 2500 Kilometern hat die Shahed-136 nur eine geringe explosive Nutzlast.« Daher sei unwahrscheinlich, dass die Drohne den gewünschten Effekt erziele.

Da russische Kampfflugzeuge wegen der ukrainischen Flugabwehr nur eine begrenzte Wirkung erzielten, fehle den Russen weiterhin eine Waffe für Angriffe aus der Luft, die eine zuverlässige, nachhaltige und genaue Schlagfähigkeit biete. Dies sei eine der bedeutendsten Lücken im russischen Krieg gegen die Ukraine, hieß es in London.

Rekrutierung von Soldaten im Gefängnis

Nach der Rekrutierung von Gefangenen für russische Söldnertruppen wirbt nun auch die reguläre russische Armee laut Bürgerrechtlern und Medien Soldaten für den Ukrainekrieg im Gefängnis an. »Seit Ende September hat das Verteidigungsministerium mit der Anwerbung von Verurteilten begonnen«, teilte das Internetportal »Waschnyje Istorii« mit. Das kremlkritische Medium berichtete von Besuchen der Militärs in Strafkolonien im Gebiet Rjasan bei Moskau und in Stawropol im Nordkaukasus. Zuvor hatten bereits die Bürgerrechtler von Gulagu.net über Abwerbungsversuche im Gebiet Nischni Nowgorod berichtet.

Neuerlicher Stromausfall im AKW Saporischschja

Das umkämpfte ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja ist innerhalb weniger Tage erneut von der externen Stromversorgung abgeschnitten worden. Die derzeit stillgelegten Reaktoren und die nuklearen Brennstofflager in dem russisch besetzten AKW müssen deshalb wieder mit Notstrom aus Dieselgeneratoren gekühlt werden, wie Beobachter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) vor Ort am Mittwoch berichteten.

»Dieser wiederholte Netzausfall im AKW Saporischschja ist eine zutiefst beunruhigende Entwicklung«, schrieb IAEA-Chef Rafael Grossi auf Twitter. Laut IAEA verfügt das größte Atomkraftwerk Europas über Dieselvorräte, um die Kühlsysteme etwa 10 Tage lang auch ohne externen Strom zu betreiben und einen Atomunfall zu verhindern.

© dpa-infocom, dpa:221012-99-94773/7