Der ukrainische Verteidigungsminister Olekxij Resnikow hat die USA und andere westliche Staaten zur Hilfe bei der Verfolgung russischer Kriegsverbrechen aufgefordert. Die Ukraine brauche Experten für Militärrecht und Spezialisten für die Aufklärung von Kriegsverbrechen, um die russischen Angreifer zu bestrafen, teilte Resnikow am Samstag bei Facebook mit.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bekräftigte zugleich seine Forderung nach einem Reisebann von Russen in der EU. »Es muss gewährleistet sein, dass russische Mörder und Helfer des Staatsterrors nicht Schengen-Visa nutzen«, sagte er am Freitagabend in Kiew. Unterdessen hat die Ukraine mit der Zerstörung wichtiger Brücken nach Einschätzung westlicher Geheimdienste Moskaus Offensive spürbar beeinträchtigt.
Kiew will Verfolgung russischer Kriegsverbrechen vorantreiben
Verteidigungsminister Resnikow richtete eine Bitte um Hilfe für die Verfolgung der Verbrechen über das Außenministerium in Kiew an die Ukraine-Kontaktgruppe, zu der neben den USA auch Deutschland und Großbritannien gehören. Es müsse eine internationale Koalition gebildet werden, um die blutigen Taten zu verfolgen, betonte der Minister. Resnikow bezog sich besonders auch auf das Schicksal von ukrainischen Kriegsgefangenen, die in russischer Haft massenhaft getötet und gefoltert würden. »Ich zweifele nicht daran, dass wir nach dem Sieg der Ukraine in diesem Krieg auf dem einen oder anderen Weg jeden aufspüren werden, der an den barbarischen Morden und der Folter beteiligt ist«, sagte Resnikow. Dabei sollten nicht nur die Täter selbst, sondern die Befehlsgeber und jene, die solche Verbrechen rechtfertigten, bestraft werden.
London sieht russische Position geschwächt
Die russische Position im besetzten südukrainischen Cherson ist nach Einschätzung britischer Geheimdienste durch Gegenangriffe auf strategisch wichtige Flussquerungen deutlich geschwächt. Über die zwei Hauptstraßenbrücken über den Dnipro könne mutmaßlich keine erhebliche militärische Ausrüstung mehr in die russisch besetzen Gebiete westlich des Flusses transportiert werden, hieß es am Samstag vom britischen Verteidigungsministerium. An der wichtigen Antoniwka-Brücke seien den Russen in den vergangenen Tagen nur oberflächliche Reparaturen gelungen. Die andere wichtige Brücke sei durch ukrainische Angriffe mit Präzisionswaffen in den vergangenen Tagen für schwere Militärfahrzeuge unbefahrbar geworden.
Amnesty kündigt Prüfung seines Ukraine-Reports an
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International will nach heftiger Kritik an ihrem Bericht zur Kriegsführung der ukrainischen Armee dessen Entstehungsprozess aufarbeiten. Man werde von externen Experten eine gründliche Prüfung des Vorgangs durchführen lassen, heißt es in einem der Deutschen Presse-Agentur am Samstag vorliegenden Statement der Organisation. In dem Bericht hatte Amnesty der ukrainischen Armee vorgeworfen, sich in Wohnvierteln zu verschanzen und damit Zivilisten unnötig in Gefahr zu bringen. Kiew kritisierte, die Nichtregierungsorganisation habe durch den Fokus auf Verfehlungen der Armee des angegriffenen Landes eine Täter-Opfer-Verkehrung betrieben. Kritiker stellten auch die Methodik des Berichts teilweise in Frage.
EU für Demilitarisierung von AKW Saporischschja
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte einen sofortigen Abzug russischer Truppen aus dem besetzten Atomkraftwerk Saporischschja in der Südukraine. Das AKW dürfe nicht in militärische Auseinandersetzungen hineingezogen werden, schrieb Borrell am Freitagabend auf Twitter. Er unterstütze Forderungen nach einer Demilitarisierung des Gebietes und dringe auf einen Besuch von Experten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Die internationale Gemeinschaft ist besorgt, weil das seit März von russischen Truppen besetzte größte AKW Europas mehrfach beschossen wurde. Die Ukraine und Russland sehen die Verantwortung jeweils bei der anderen Seite.
Ukraine meldet neue Raketenangriffe im Süden und im Osten
Das ukrainische Militär berichtete am Samstag über neue schwere russische Raketenangriffe im Osten des Landes. So seien die Stadt und die Region Charkiw massiv beschossen worden, teilten die ukrainischen Behörden am Samstag mit. Drei Menschen, darunter ein 13 Jahre alter Junge, seien im Gebiet Charkiw verletzt und ins Krankenhaus gebracht worden, hieß es. Auch die Stadt Kramatorsk im Donbass wurde nach Behördenangaben am Freitagabend beschossen. Dabei seien mindestens zwei Zivilisten getötet und 13 verletzt worden. Der Donbass ist weiterhin das Hauptschlachtfeld.
Das Verteidigungsministerium in Moskau bestätigte in seinem Lagebericht den Raketen- und Artilleriebeschuss unter anderem in den Gebieten Charkiw und Cherson. Der Schwerpunkt lag demnach weiter im Gebiet Donezk, das im Zuge des russischen Angriffskriegs als nächstes Ziel Moskaus komplett der ukrainischen Kontrolle entrissen werden soll. Eingenommen worden sei nun der Donezker Vorort Pisky im Nordwesten der Großstadt, hieß es. Eine Bestätigung von ukrainischer Seite gab es zunächst nicht.
In der Region Saporischschja warnten die Behörden am Samstag davor, auf die Straße zu gehen, weil russische Truppen in Richtung des Atomkraftwerks schießen würden. Die Angaben waren von unabhängiger Seite nicht überprüfbar. In der Luftlinie etwa 45 Kilometer vom Atomkraftwerk entfernten Gebietshauptstadt Saporischschja schlugen am Freitagabend fünf russische Raketen ein. Dabei seien Gebäude der Infrastruktur zerstört worden, teilte Gouverneur Olexander Staruch mit. Mindestens eine Frau sei verletzt worden. Die sechstgrößte Stadt der Ukraine ist in ukrainischer Hand. Der südliche Teil des Gebietes Saporischschja ist aber russisch besetzt.
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