Logo
Aktuell Ausland

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

In der umkämpften Ostukraine steht die Auseinandersetzung auf Messers Schneide, Russlands Angriffe halten an. Doch Moskau sieht sich wieder düpiert vom Westen. Die Entwicklungen im Überblick.

Selfie mit dem Präsidenten
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (M) besucht Soldaten an der Front. Foto: Uncredited
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (M) besucht Soldaten an der Front.
Foto: Uncredited

In der Ostukraine leisten ukrainische Truppen unvermindert Widerstand gegen die russischen Angriffe, doch die Situation spitzt sich immer mehr zu.

»Wir halten die Lage, halten eben die Lage«, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj der Agentur Interfax-Ukraine zufolge mit Blick auf die Stadt Sjewjerodonezk. »Dennoch haben wir alle Chancen, in dieser Richtung weiter zu kämpfen«, betonte der 44-Jährige.

Die russische Führung griff den Westen wegen seiner Haltung im Ukraine-Krieg erneut scharf an. Der russische Außenminister Sergej Lawrow kann aufgrund von Luftraumsperrungen seine geplante Reise nach Serbien nicht antreten - er kritisierte die Blockade durch einige »Nato-Mitglieder« als »ungeheuerlich«. Großbritannien kündigte neue Waffenlieferungen an die Ukraine an. Kulturstaatsministerin Claudia Roth traf am Montagnachmittag zu einem zweitägigen Besuch in der ukrainischen Hafenstadt Odessa ein.

Der ukrainische Armeesprecher Olexander Motusjanyk berichtete von intensiven Kämpfen »praktisch entlang der gesamten Frontlinie in den Gebieten Luhansk und Donezk«. Die russische Luftwaffe habe 39 Einsätze für Luftschläge auch außerhalb der Ostukraine geflogen. Selenskyj betonte, für die ukrainischen Truppen gebe es »schrittweise« Erfolge im angrenzenden Gebiet Charkiw. Am bedrohlichsten sei die Situation jedoch im Gebiet Saporischschja, in dem die russische Armee die Gebietshauptstadt bedrohe. Selenskyj hatte die Region am Sonntag besucht und sich auch unmittelbar an der Front aufgehalten.

Das ukrainische Militär tötete nach eigenen Angaben einen weiteren hochrangigen russischen Offizier im Generalsrang nahe Popasna im Gebiet Luhansk. Darüber hatte zuvor auch ein Korrespondent des russischen Staatsfernsehens berichtet. Der Kreml zeigte sich jedoch mit dem Kriegsverlauf zufrieden. Er schaue »optimistisch« auf die Entwicklung der »militärischen Spezialoperation in der Ukraine«, sagte Sprecher Dmitri Peskow laut der Nachrichtenagentur Interfax.

Selenskyj: EU-Beitritt entscheidet über Zukunft Europas

Präsident Selenskyj rechnet fest mit einem EU-Kandidatenstatus für sein Land innerhalb der nächsten Wochen. »Ich meine, das wird nicht nur eine Entscheidung für die Ukraine, sondern für das gesamte europäische Projekt sein«, sagte das Staatsoberhaupt in seiner täglichen Videobotschaft am Montag. Das werde auch darüber entscheiden, ob die EU eine Zukunft habe oder nicht, meinte Selenskyj.

Die EU-Kommission will dazu noch im Juni entscheiden, wie es mit den Ambitionen des von Russland angegriffenen Landes weitergeht. Die Bundesregierung hat sich zu dieser Frage noch nicht positioniert.

»Am 103. Tag hält der ukrainische Donbass kräftig stand«, sagte der 44-jährige Selenskyj im Hinblick auf die Situation in der Ostukraine. Es werde zudem alles dafür getan, dass die Front in den Gebieten Saporischschja und Mykolajiw standhalte. Schwere Kämpfe gebe es weiter um Sjewjerodonezk, Lyssytschansk, Slowjansk, Bachmut, Swjatohirsk, Awdijiwka, Kurachowe in den Gebieten Luhansk und Donezk.

Moskau: Swjatohirsk praktisch eingenommen

Das russische Militär und die von Moskau unterstützten Separatisten schließen die Einnahme der ukrainischen Stadt Swjatohirsk (Swjatogorsk) mit ihrem historischen Kloster nun ab. »Swjatogorsk ist praktisch befreit. Und es läuft die Säuberung«, sagte der Anführer der Separatistenregion Donezk, Denis Puschilin, im russischen Stadtfernsehen. Dort liegt das zuletzt auch beschossene Erzkloster Mariä-Entschlafung, das zu den wichtigsten Heiligtümern der russischen Orthodoxie gehört.

Der Moskauer Patriarch Kirill, der den Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützt, steht seit langem im Ruf, die alten religiösen Stätten in der Ukraine für die russisch-orthodoxe Kirche unter seinem Einfluss halten zu wollen. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, hatte zuvor erklärt, dass die Eroberung der Stadt in den letzten Zügen sei.

Die letzten Soldaten der ukrainischen Streitkräfte hätten die Militärtechnik und Waffen zurückgelassen und seien selbst geflüchtet. Nach Darstellung von Konaschenkow überquerten rund 80 ukrainische Soldaten den Fluss der Stadt, die russische Seite habe sie fliehen lassen und nicht das Feuer eröffnet, sagte er.

Eine Bestätigung von ukrainischer Seite, dass Swjatohirsk aufgegeben ist, gab es zunächst nicht. Allerdings hatte der ukrainische Generalstab am Morgen über schwere Kämpfe im Donezker Gebiet um die Stadt berichtet.

Lawrow findet keinen Weg nach Serbien

Weil Bulgarien, Nordmazedonien und Montenegro den Luftraum für das Flugzeug des russischen Außenministers gesperrt haben, musste Lawrow seinen zweitägigen Besuch in Belgrad absagen. Wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine ist auch der Außenminister mit westlichen Sanktionen belegt.

Die EU und die Nato versuchten, Serbien in der freien Wahl seiner Partner zu behindern, sagte Lawrow am Montag in einer Videokonferenz mit ausländischen Journalisten in Moskau. Der Westen wolle den Balkan für sich, so wie er die Ukraine beanspruche. Zuvor hatte ein Kremlsprecher die Sperrung des europäischen Luftraums als »feindliche Handlung« kritisiert.

Roth: Kultur wird angegriffen - Scholz in Litauen

Kulturstaatsministerin Roth reiste auf Einladung ihres ukrainischen Amtskollegen in die Kulturmetropole Odessa am Schwarzen Meer. »Wir wollen zeigen, dass wir da sind«, sagte die Grünen-Politikerin zum Auftakt der Reise, »wir wollen zeigen, wie die Kultur angegriffen wird«. Humanitäre Hilfsangebote kämen in den Debatten noch zu selten vor. Erstmals seit Beginn des Ukraine-Kriegs besucht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag mit Litauen ein Nato-Land, das an Russland grenzt und sich durch die Atommacht besonders stark bedroht fühlt.

Großbritannien liefert Raketenwerfer

Großbritannien will der Ukraine im Kampf gegen die russische Aggression erstmals Mehrfachraketenwerfer mit hoher Reichweite liefern. Die britische Regierung gab an, mehrere Raketensysteme des Typs M270 mit bis zu 80 Kilometern Reichweite in das Land zu schicken, nach BBC-Informationen sollen es zunächst drei sein.

Die hochpräzisen Waffen würden es der Ukraine ermöglichen, sich besser gegen die brutalen Angriffe Russlands zu wehren, die mit Langstreckenartillerie Städte dem Erdboden gleichmachten. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte gedroht, im Fall einer Lieferung von Waffen mit hoher Reichweite weitere Ziele in der Ukraine anzugreifen.

Die spanische Verteidigungsministerin Margarita Robles wollte eine Lieferung deutscher Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 und von Luftabwehrraketen an die Ukraine am Montag weder bestätigen noch dementieren. Dies sei ein »extrem delikates Thema« und bedürfe »größter Diskretion«, sagte sie auf eine Frage einer Journalistin des TV-Sender Telecinco. Die gewöhnlich sehr gut informierte Zeitung »El País« hatte zuvor unter Berufung auf Quellen im Verteidigungsministerium berichtet, Spanien bereite die Lieferung von etwa 40 Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 A4 sowie von bodengestützten Luftabwehrraketen vor.

Die 1995 gebraucht aus Deutschland übernommenen Panzer seien zurzeit eingemottet und müssten noch einsatzbereit gemacht werden. Es wäre das erste Mal, dass die Ukraine im Kampf gegen die russische Armee westliche Kampfpanzer erhielte. In Deutschland haben Politiker der Regierungspartei SPD bisher betont, es gebe eine informelle Übereinkunft zwischen Nato-Staaten, solche Waffen nicht zu liefern.

Getreidelieferungen über das Schwarze Meer?

Die russische Führung hat einem Medienbericht zufolge mit Kiew und Ankara ein Schema zur Freigabe von Getreidelieferungen aus dem bisher blockierten Hafen von Odessa abgestimmt. »In den Hoheitsgewässern des Nachbarlands übernehmen türkische Militärs die Minenräumung, und sie werden auch die Schiffe bis in neutrale Gewässer begleiten«, beschrieb die kremlnahe Tageszeitung »Iswestija« am Montag unter Berufung auf Regierungskreise den geplanten Ablauf. Dem Vorschlag werden von Beobachtern aber nur geringe Chancen auf eine Umsetzung eingeräumt. Die russische Blockade ukrainischer Häfen führte speziell in den armen Ländern Afrikas zu Befürchtungen einer Hungersnot, da das Land zu den größten Exporteuren von Getreide zählt.

© dpa-infocom, dpa:220606-99-560715/13