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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Die russischen Streitkräfte haben laut Kiew das Tempo ihrer Angriffe im Osten der Ukraine deutlich erhöht. Russland bestätigt weitere schwere Luftangriffe. Die Entwicklungen im Überblick.

Saporischschja
Rettungskräfte und Anwohner von Saporischschja entfernen Trümmer zerstörter Häuser. Foto: Francisco Seco
Rettungskräfte und Anwohner von Saporischschja entfernen Trümmer zerstörter Häuser.
Foto: Francisco Seco

Das russische Militär hat nach eigenen Angaben erneut schwere Luftangriffe gegen die Ukraine geführt. »Die taktische Luftwaffe der russischen Streitkräfte hat 76 Militärobjekte beschossen«, teilte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Donnerstag mit.

Dabei seien zwei Munitionsdepots und eine Reihe von Truppenansammlungen und Militärkonvois getroffen worden. Die gegnerischen Verluste bezifferte Konaschenkow dabei auf mehr als 320 Soldaten.

Durch Raketen wurden demnach weitere 38 Militärobjekte angegriffen. Unter anderem seien dadurch sechs Munitionsdepots vernichtet, aber auch mehrere ukrainische Raketen des Typs Totschka-U abgeschossen worden. Unabhängig ließen sich diese Berichte nicht überprüfen.

Verstärkte russische Angriffe im Osten

Die russischen Streitkräfte haben nach Angaben des Generalstabs in Kiew das Tempo ihrer Angriffe im Osten der Ukraine deutlich erhöht. Die russischen Besatzer würden praktisch von allen Seiten intensiv angreifen und Ziele unter Beschuss nehmen, teilte der Stab am Donnerstag in der ukrainischen Hauptstadt mit. Moskau ziehe zusätzliche Kräfte in die Nähe von Isjum im Gebiet Charkiw zusammen - mit dem Ziel, die Verteidiger der Ukraine im Osten einzukreisen, hieß es weiter.

Der Gegner strebe vor allem weiter nach voller Kontrolle über die Gebiete Luhansk und Donezk, um einen Landkorridor zur Schwarzmeer-Halbinsel Krim zu etablieren. Nach Darstellung des Generalstabs in Kiew nutzen die russischen Streitkräfte auch weiter den Flughafen von Melitopol im Gebiet Saporischschja als Basis für ihre Kampfflugzeuge und –hubschrauber.

Der Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, berichtete im Nachrichtenkanal Telegram von schweren Zerstörungen in den umkämpften Städten Lyssytschansk und Popasna. Vier Menschen seien bei russischen Angriffen im Gebiet Luhansk innerhalb eines Tages getötet und vier weitere verletzt worden. Die russische Armee habe mit Luftschlägen und Artillerie Dutzende Male zivile Ziele beschossen, sagte Hajdaj.

Städte in Südukraine melden russischen Beschuss

Die südukrainische Hafenstadt Odessa ist am Donnerstagabend unter Raketenbeschuss geraten. Dabei habe die Luftabwehr drei russische Raketen abgeschossen, sagte der örtliche Militärvertreter Maxim Martschenko. »Wir haben den Himmel unter Kontrolle.« Zuvor sei bereits eine russische Aufklärungsdrohne zerstört worden. In der Stadt seien am Abend jedoch mehrere Explosionen zu hören gewesen, berichtete unter anderem die »Ukrajinska Prawda«.

Tote und Verletzte durch weiteren Beschuss

Ukrainischen Angaben zufolge wurden durch neuen Beschuss in der Region Charkiw mindestens drei Menschen getötet und sechs verletzt, darunter ein 14 Jahre altes Kind. Die örtliche Verwaltung machte Russland für die zivilen Opfer verantwortlich. Aus der Stadt Cherson, deren Einnahme Russland gemeldet hatte, wurden mehrere Explosionen berichtet. Die Detonationen hätten sich unweit des Fernsehzentrums ereignet, teilten ukrainische Medien mit. Danach sei ein Feuer ausgebrochen. In der Nähe von Odessa schoss die Luftabwehr eine russische Spionagedrohne ab, wie die ukrainische Armee mitteilte. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig geprüft werden.

Kiew hat »Brückenkopf« Transnistrien im Blick

»Wir haben Transnistrien immer als Brückenkopf betrachtet, von dem gewisse Risiken für uns ausgehen können«, sagte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak nach Angaben der Agentur Unian am Mittwochabend. Die ukrainische Führung sei sich der von Transnistrien ausgehenden Gefahren bewusst, weshalb in den ukrainischen Regionen Odessa und Winnyzja »unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung alles gut durchdacht« sei. Die jüngsten Explosionen bezeichnete er als Versuch der Provokation. »Es ist alles so, wie es die Russische Föderation immer macht.« Rückhalt der Separatisten in der von Moldau abtrünnigen Region ist ein Kontingent dort stationierter russischer Soldaten.

Kiew: Verwaltungschefs in Cherson von Russen entführt

Während der russischen Besatzung wurden im südukrainischen Gebiet Cherson nach Angaben aus Kiew die Chefs von 35 der 49 Verwaltungseinheiten entführt. »17 von ihnen wurden freigelassen, aber viele sind in Gefangenschaft«, schrieb die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denisowa, am Donnerstag im Nachrichtenkanal Telegram. Die russischen Truppen »entführen und foltern die Bewohner der vorübergehend besetzten ukrainischen Gebiete, sie plündern Weltkulturerbestätten«.

Das Gebiet Cherson ist fast vollständig von Russland besetzt. Seit Kriegsbeginn gibt es immer wieder Berichte über Verschleppungen von demokratisch gewählten Bürgermeistern und Gebietsvorstehern in besetzten Gebieten, die eine Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht verweigern. Besonders bekannt wurde vor einigen Wochen der Fall des Stadtoberhaupts von Melitopol im Gebiet Saporischschja, der von den Ukrainern gegen mehrere russische Kriegsgefangene freigetauscht wurde.

»Russland betrachtet jeglichen Handel als Waffe«

Präsident Selenskyj kritisierte unterdessen den russischen Lieferstopp für Gas an Polen und Bulgarien scharf. »In dieser Woche hat die russische Führung eine neue Serie von Energieerpressungen gegenüber den Europäern begonnen«, sagte er in einer Videobotschaft. »Russland betrachtet nicht nur Gas, sondern auch jeden anderen Handel als Waffe.« Dafür warte Moskau nur auf einen günstigen Moment.

»Entweder um die Europäer damit politisch zu erpressen. Oder um die russische Kriegsmaschinerie zu stärken, die ein geeintes Europa als Ziel ansieht«, meinte Selenskyj. Je früher Europa erkenne, dass es im Handel nicht von Russland abhängig sein könne, desto eher werde die Stabilität der europäischen Märkte gewährleistet sein.

UN-Generalsekretär fordert Aufklärung von Kriegsgräueln

UN-Generalsekretär António Guterres unterstützte bei einem Besuch in der ukrainischen Stadt Butscha die Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofs zu den dortigen Kriegsgräueln. Es sei wichtig, den Horror »sorgfältig aufzuklären« und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sagte Guterres in der Vorortgemeinde von Kiew. Er appellierte an Russland, mit dem Gericht zusammenzuarbeiten. Die Bilder getöteter ukrainischer Zivilisten aus Butscha hatten Anfang des Monats rund um die Welt für Entsetzen gesorgt.

© dpa-infocom, dpa:220428-99-72926/12