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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Russland hat angekündigt, die Kämpfe im Nordwesten der Ukraine zurückzufahren. Ist dem zu trauen? Kiew gibt an, Siedlungen nahe Cherson zurückerobert zu haben. Die weitere Entwicklung im Überblick:

Charkiw
Ein Gebäude wurde durch russischen Beschuss im Bezirk Saltovka zerstört. Foto: Aziz Karimov
Ein Gebäude wurde durch russischen Beschuss im Bezirk Saltovka zerstört.
Foto: Aziz Karimov

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht noch keine konkreten Ergebnisse der Gespräche mit Russland über ein mögliches Ende des Kriegs. Den schönen Worten aus Moskau sei nicht zu trauen, sagte Selenskyj in der Nacht zum Donnerstag.

Die Ukraine meldete auch weitere russische Angriffe. Abermals ringen beide Seiten um eine Feuerpause für die umkämpfte Stadt Mariupol. Moskau müsse dort Fluchtkorridore und Hilfen für Zivilisten zulassen, forderte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Die Bundesregierung hofft zudem auf mehr Klarheit, ob und wie Russland weiter Gas liefert.

Russische Truppen setzen Angriffe fort

Die russischen Truppen setzen eigenen Angaben zufolge ihre Angriffe im Osten der Ukraine fort. Die Ortschaft Solota Nywa südwestlich von Donezk sei nun unter russischer Kontrolle, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Donnerstag laut Agentur Interfax. Dort seien russische Einheiten seit Mittwoch sechs Kilometer vorgerückt. Bis zu 60 Gegner seien getötet worden. Diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Einheiten des von Russland als unabhängig anerkannten Separatistengebietes Luhansk seien unterdessen fünf Kilometer vorgerückt und lieferten sich Kämpfe mit ukrainischen »Nationalisten« bei der Ortschaft Kreminna nordwestlich von Luhansk.

Seit Mittwoch wurden nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums insgesamt 53 ukrainische Militärpunkte durch Luftschläge zerstört, darunter Flugabwehr-Raketensysteme sowie Munitions- und Waffenlager.

Kiew: Siedlungen im Gebiet Cherson zurückerobert

Ukrainische Truppen haben nach eigenen Angaben in den vergangenen Tagen elf Siedlungen im südukrainischen Gebiet Cherson zurückerobert. Beim Vormarsch im Norden der Region sei ihnen auch schwere russische Militärtechnik in die Hände gefallen, darunter Panzer vom Typ T-64, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. Dank des Erfolgs könnten die Einwohnerinnen und Einwohner nun Lebensmittel und Medikamente erhalten. Die Zivilbevölkerung habe die ukrainischen Kräfte freudig begrüßt. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.

Russland hatte mitgeteilt, das Gebiet Cherson vollständig erobert zu haben. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte gewarnt, Moskau wolle in der Region eine russlandtreue »Volksrepublik« nach dem Vorbild der ostukrainischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk errichten.

Zu den zurückeroberten Siedlungen gehört den Angaben zufolge auch Nowoworonzowka. Der Ort liegt strategisch günstig am rechten Ufer des Flusses Dnipro, der hier zum Kachowkaer Stausee aufgestaut ist. Ein Vordringen ukrainischer Truppen ins Gebiet Cherson würde auch die Großstadt Krywyj Rih entlasten und zudem verhindern, dass russische Einheiten die strategisch wichtige Stadt Mykolajiw vom Nachschub abschneiden.Ukraine berichtet von weiteren Kämpfen

Russland will nach Ansicht des ukrainischen Generalstabs seine militärische Präsenz in der Ost- und Südukraine aufrechterhalten. Es gebe Versuche, eine Verwaltung in den besetzten Regionen der Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson aufzubauen, teilte der Generalstab in der Nacht zum Freitag mit. Im Zuge dessen werde damit gerechnet, dass es dort weiterhin zu Kampfhandlungen kommen werde. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte bereits gewarnt, Russland plane im südukrainischen Gebiet Cherson ein Pseudo-Referendum über die Bildung einer »Volksrepublik« wie in den ostukrainischen Separatistengebieten.

Nach Angaben des Generalstabs in Kiew konnten russischen Einheiten an keiner Stelle Geländegewinne verzeichnen. Die ostukrainische Großstadt Charkiw werde weiter beschossen, ein Durchbruchsversuch nahe der Stadt Isjum sei aber gescheitert. Auch ein russischer Vorstoß im südukrainischen Gebiet Mykolajiw sei nicht erfolgreich gewesen. Im Norden hätten sich einige russische Einheiten zurückgezogen. Moskau hatte angekündigt, die Angriffe auf Kiew zu reduzieren und sich auf die Offensive im ostukrainischen Kohlerevier Donbass zu konzentrieren.

Der ukrainische Präsident Selenskyj zeigte sich vorsichtig optimistisch. »Ich bin sicher, dass es für jeden von Ihnen sehr angenehm ist, die Nachrichten zu lesen und zu sehen, dass unsere ukrainischen Städte allmählich von den Besatzern befreit werden«, sagte der Staatschef in einer Videobotschaft. Zugleich warnte Selenskyj, es gebe keine Entspannung. Er rief die Bevölkerung auf, Gefühle und Emotionen zurückzuhalten. »Wir wollen alle gleichermaßen den Sieg«, sagte Selenskyj. »Aber es wird weitere Kämpfe geben. Es liegt noch ein sehr schwieriger Weg vor uns, um alles zu bekommen, was wir anstreben.«

Neue Pläne für humanitären Korridor in Mariupol

Nach Forderungen Deutschlands und Frankreichs will Russland nach eigenen Angaben an diesem Freitag einen neuen Anlauf für einen humanitären Korridor aus der umkämpften Hafenstadt Mariupol nehmen. Das russische Verteidigungsministerium in Moskau kündigte am Donnerstagabend eine Feuerpause für den Morgen und den geplanten Beginn der Evakuierung von 9.00 Uhr MESZ an. Die Menschen sollten unter Beteiligung des Roten Kreuzes und des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen aus der Stadt herausgebracht werden, sagte der Generalmajor Michail Misinzew.

Biden: Putin scheint »sich selbst zu isolieren«

Der russische Präsident Wladimir Putin hat nach Einschätzung der US-Regierung im Ukraine-Krieg womöglich einige seiner Berater von ihren Aufgaben entbunden und sich selber isoliert. »Es gibt Anzeichen dafür, dass er einige seiner Berater entlassen oder unter Hausarrest gestellt hat«, sagte US-Präsident Joe Biden am Donnerstag im Weißen Haus. Es gebe aber »nicht so viele handfeste Beweise«. Auf die Frage, ob Putin von seinen Beratern falsch informiert werde, antwortete Biden: »Es gibt eine Menge Spekulationen. Aber er scheint - ich sage das nicht mit Gewissheit - er scheint sich selbst zu isolieren.«

Das Weiße Haus hatte am Mittwoch unter Berufung auf Geheimdienstinformationen berichtet, dass Putin nicht richtig über die Lage informiert werde. Der Kreml wies das am Donnerstag zurück und warf der US-Regierung vor, weder Putin noch die Vorgänge oder die Entscheidungsmechanismen der Regierung in Moskau zu verstehen.

Italien setzt auf China

Derweil traut Italiens Ministerpräsident Mario Draghi im Ringen um einen Frieden in der Ukraine China eine entscheidende Rolle zu. Vor einem Online-Gipfel zwischen der EU und China an diesem Freitag gab sich der Regierungschef in Rom optimistisch. »China könnte einer der Hauptakteure werden, wenn es darum geht, beide Seiten anzunähern.« Die Chinesen sind Verbündete Russlands und haben den Angriff Moskaus auf die Ukraine bislang nicht verurteilt. Im Gegenteil: Peking kritisierte zuletzt immer wieder den Westen, etwa wegen der Osterweiterung der Nato.

Auch Italien selbst will bei der Suche nach einer diplomatischen Lösung und im Anschluss bei der Wahrung eines Friedens helfen. Draghi sprach diesbezüglich von einem »positiven Aspekt« für sein Land, dass es in den Verhandlungen sowohl von Russen wie auch Ukrainern als ein möglicher »Garant« für die Zeit nach dem Krieg gesehen werde.

Lawrow in Neu Delhi

Russlands Außenminister Sergej Lawrow ist unterdessen zu einem offiziellen Besuch in Indien eingetroffen. Dort soll er am Freitag Premierminister Narendra Modi treffen, wie eine Sprecherin des russischen Außenministeriums sagte. Auch ein Treffen mit dem indischen Außenminister Subrahmanyam Jaishankar ist nach Angaben beider Länder geplant. Lawrow besucht Indien nach China. Dabei handelt es sich um die zwei bevölkerungsreichsten Länder der Welt, die im Ukraine-Krieg bislang weder westliche Sanktionen mitgetragen noch Russland verurteilt haben.

Einreiseverbote gegen EU-Vertreter

Als Antwort auf europäische Sanktionen hat Moskau Einreiseverbote gegen führende Vertreter der Europäischen Union verhängt. »Die Beschränkungen gelten für die höchste Führung der Europäischen Union (...) sowie für die Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments«, teilte das Außenministerium in Moskau mit. Die »schwarze Liste« umfasse auch Vertreter von Regierungen und Parlamenten einzelner EU-Staaten. Namen wurden keine genannt. Die EU hatte noch vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine vor fünf Wochen Sanktionen unter anderem gegen 351 Abgeordnete des russischen Parlaments erlassen.

Weitere US-Sanktionen gegen russische Firmen

Die US-Regierung verhängt wiederum weitere Sanktionen gegen russische Firmen und Personen. Das US-Außenministerium und das US-Finanzministerium teilten in Washington mit, 21 Unternehmen und 13 Personen würden mit Strafmaßnahmen belegt. Es gehe darum, Moskau die Möglichkeit zu nehmen, bereits verhängte Sanktionen über ein Netzwerk von Einrichtungen und Akteuren zu umgehen. Außerdem solle Russland weiter der Zugang zu westlichen Technologien verwehrt werden. Sanktionen ergingen demnach auch gegen drei Personen, denen Cyber-Angriffe zur Last gelegt würden. Vermögenswerte der Betroffenen in den USA werden demnach eingefroren, und jegliche Geschäfte oder Transaktionen mit ihnen in den USA oder durch US-Bürger werden untersagt.

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