Mit dem Satz »Nicht Kreuzberg ist Deutschland« hat CDU-Chef Friedrich Merz in Berlin großen Unmut ausgelöst. Die Bürgermeisterin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann (Grüne), reagierte empört: »Friedrich Merz spricht nicht nur den 152.000 Kreuzberger*innen ab, ein Teil Deutschlands zu sein. Er sagt Kreuzberg und meint in Wirklichkeit alle Orte mit Vielfalt. Damit spaltet er aus Kalkül die Gesellschaft. Das ist unsäglich.«
Merz hatte am Montag bei einem Bierzeltauftritt auf dem Volksfest Gillamoos im niederbayerischen Abensberg gesagt: »Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland.«
Von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (ebenfalls CDU) gab es dazu zunächst wenig. Seine Sprecherin Christine Richter sagte dem »Tagesspiegel« nur: »Wir mögen Kreuzberg, und Deutschland, und das Sauerland, und Gillamoos. Und ein bisschen Kreuzberg für alle wäre auch gut.«
Bezirksbürgermeisterin: »Unwürdige Aussage«
Bezirksbürgermeisterin Herrmann sagte der Zeitung zunächst: »Auch im Sauerland sind mehr Leute mit dem Fahrrad unterwegs als mit dem Privatjet« - offenbar eine Anspielung darauf, dass Merz bisweilen mit dem eigenen Flugzeug reist. Schriftlich kritisierte die Grünen-Politikerin Merz dann aber deutlich: »Für den Parteivorsitzenden einer deutschen Partei ist das eine unwürdige Aussage.«
In Kreuzberg leben viele Berlinerinnen und Berliner mit ausländischen Wurzeln zusammen mit Menschen ohne Migrationshintergrund. Der Stadtteil ist bekannt für bunte Kieze, Künstler, Kultur und Kneipen, aber auch für Armut und soziale Probleme. Merz hat das Viertel bereits wiederholt ins Visier genommen. Erst vor wenigen Tagen schrieb er zum Auftakt einer Unionsklausur im Sauerland auf der Plattform X, früher Twitter: »Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht Berlin-Kreuzberg. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt in kleinen und mittleren Städten wie hier, im Sauerland.«
Debatte um Stadt- und Landpolitik
Der CDU-Politiker Helge Braun wurde dazu im Deutschlandfunk gefragt und erläuterte Merz' Aussagen so: Die Ampel-Koalition mache sehr viel Politik für städtische Regionen mit einem Menschenbild, das vielen Menschen Sorgen mache. Viele in ländlichen Räumen fühlten sich nicht mitgenommen. Als Beispiele nannte Braun die Cannabis-Legalisierung oder die freie Wahl des Geschlechts. Dies könne die CDU so nicht mittragen.
So will es auch Merz verstanden wissen, wie es aus CDU-Parteikreisen hieß. Die Aussage vom Gillamoos beziehe sich darauf, dass ausweislich der offiziellen Bevölkerungsstatistik etwa sieben von zehn Bürgern in Deutschland in Dörfern und Städten unter 100.000 Einwohnern lebten. Deren Lebensrealität sei eine andere als die von Großstadtbewohnern, die zum Beispiel weniger auf das Auto angewiesen seien. Aus dem Kontext der Rede gehe das klar hervor.
Merz hatte in der Rede ausführlich die Politik der bayerischen Schwesterpartei CSU gelobt, die in Bayern am 8. Oktober eine Landtagswahl bestreitet. Im Wahlkampf hatte zuletzt auch Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger mit drastischen Worten auf Bundespolitiker in Berlin geschimpft. Die Debatte, dass dort Politik zu sehr für Menschen in der Stadt und zu wenig für jene auf dem Land gemacht werde, läuft aber schon länger.
CDU im Kreuzberger Wahlkreis abgeschlagen
Sie hat auch einen parteipolitischen Aspekt: Die CDU tut sich in großen Städten oft schwerer als in ländlichen Gebieten. Im Wahlkreis 83 Berlin Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost erreichte die CDU 2021 bei der Bundestagswahl 7 Prozent der Zweitstimmen, die Grünen 36,7 Prozent.
In sozialen Netzwerken wird Merz' Ausspruch diskutiert. #Gillamoos, #Kreuzberg und #Merz waren zeitweise unter den am meisten genutzten Hashtags. Der CDU-Politiker und frühere Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier brach eine Lanze für den Stadtteil: »Kreuzberg ist kein neues Metropolis - da denke ich an London - aber es hat sich großartig entwickelt: Alte & neue Deutsche, Zugereiste, viel sanierte Bausubstanz für modernes Leben von heute, tolle Gastronomie von Currywurst über Döner & Pizza bis Sterne-Restaurants. Und Kultur!«
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