Bei vielfach als Farce kritisierten Abstimmungen hat die Kremlpartei Geeintes Russland ihre Machtbasis vor der Präsidentenwahl im März deutlich gestärkt. In der russischen Hauptstadt ließ sich Bürgermeister Sergej Sobjanin, ein Vertrauter von Kremlchef Wladimir Putin, mit einem Stimmenzuwachs fast in Millionenhöhe im Amt bestätigen.
Kremlsprecher Dmitri Peskow wertete das Wahlergebnis als Vertrauensbeweis für Putin. Er sieht den Präsidenten gestärkt.
Zwar sagte Peskow, dass Putin für die im März 2024 anstehende Präsidentenwahl noch nicht als Kandidat aufgestellt sei: »Doch wenn wir annehmen, dass der Präsident seine Kandidatur erklärt, dann ist eins offensichtlich: Reale Konkurrenz kann ihm in unserem Land in der derzeitigen Lage niemand machen.«
Kreml wertet Wahlen als gelungenen Stimmungstest
Für den Kreml gelten die Regionalwahlen gut 18 Monate nach dem von Putin befohlenen Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine als gelungener Stimmungstest - und als Zeichen, dass der Machtapparat die Lage im Land kontrolliert. Putin hatte 2018 bei der Wahl 76,69 Prozent erzielt, bei einer Beteiligung von 67,54 Prozent. Politische Beobachter gehen davon aus, dass die Präsidialverwaltung alles daran setzt, dieses Ergebnis deutlich zu übertreffen. Einen Vorgeschmack darauf gaben nun die von der Wahlleitung verkündeten Ergebnisse für die in der Regel weniger beliebten Politiker in den Regionen.
In Moskau kam der 65 Jahre alte Sobjanin auf 76,39 Prozent der Stimmen, wie die zentrale russische Wahlkommission mitteilte. Das waren gut sechs Prozentpunkte mehr als bei der Abstimmung 2018 (70,17 Prozent). Sobjanin war für die Kremlpartei Geeintes Russland angetreten, die sich auch in den meisten anderen regionalen Abstimmungen in Russland zur Siegerin erklären ließ.
Insgesamt stimmten für den Rathauschef in Europas größter Stadt rund 2,5 Millionen Menschen, knapp eine Million mehr als vor fünf Jahren. Die Wahlbeteiligung lag demnach deutlich höher bei 42,5 Prozent nach 31 Prozent im Jahr 2018. An zweiter Stelle lag mit 8,11 Prozent der Kommunist Leonid Sjuganow, ein Enkel des Chefs der russischen Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow. Die anderen drei Kandidaten erhielten jeweils noch weniger Stimmen.
Ergebnis in Moskau allenfalls durchschnittlich
Das Ergebnis in Moskau war dabei für russische Verhältnisse allenfalls durchschnittlich. Das beste Resultat bei den Gouverneuren holte der Chef der nordwestrussischen Region Pskow, Michail Wedernikow, mit 86,3 Prozent. Aber auch im Moskauer Umland erzielte Gouverneur Andrej Worobjow mit 83,68 Prozent geradezu einen Wert, wie er in der kommunistischen Sowjetdiktatur vor mehr als 30 Jahren üblich war.
Die Wahlleiterin Ella Pamfilowa freute sich über eine »hohe Wahlbeteiligung«, die ihren Angaben nach russlandweit bei 43,5 Prozent lag. Das sei auf regionaler Ebene die regste Beteiligung seit 2017, meinte sie.
Experten befürchten, dass die Angaben zur Wahlbeteiligung etwa durch die in der Vergangenheit immer wieder beklagten Mehrfachabstimmungen künstlich in die Höhe getrieben werden könnten. Zudem setzte die russische Führung auf Online-Abstimmungen, deren Auszählung unabhängig noch schwerer zu kontrollieren ist als die traditionellen Urnengänge mit Wahlschein.
Die Leichtigkeit, mit der der Kreml sein Wunschresultat erhalten habe, dürfte dort zu Euphorie führen und Putins Entscheidung beschleunigen, noch einmal anzutreten, vermutet der Politologe Abbas Galljamow.
Experten bezeichnen Wahlen als Farce
Experten sehen aber andere Ursachen für die Ergebnisse als echte Unterstützung für die Kremlkandidaten. Sie hatten die Wahlen als Farce und weder fair noch frei bezeichnet. Als Gründe wurden fehlende Medienfreiheit, mangelnde Vielfalt an Parteien mit echten politischen Programmen und beispiellose Repressionen gegen Andersdenkende genannt.
Trotz internationalem Protest ließ der Kreml auch Scheinwahlen in den besetzten Gebieten in der Ukraine abhalten. Auch dort erklärte sich erwartungsgemäß Geeintes Russland zur stärksten Kraft. Im nur teilweise von Moskau besetzten Gebiet Saporischschja soll sie 83 Prozent der Stimmen auf sich vereint haben; in den drei übrigen nach Kriegsbeginn annektierten Gebieten waren es in den nicht von Kiew kontrollierten Regionen zwischen 74 und gut 78 Prozent. Unabhängige Beobachter waren dort nicht zugelassen.
Die ukrainische Führung hat die illegalen Wahlen in den Gebieten als wertlos bezeichnet. Auch die EU und die USA hatten angekündigt, die Ergebnisse in den besetzten Gebieten nicht anzuerkennen. Vor Ort berichteten Bürger davon, zur Stimmabgabe genötigt worden zu sein.
Der Chef der Kremlpartei, Andrej Turtschak, sprach am Morgen trotz politischen Drucks auf Wähler, der Nichtzulassung von Oppositionskandidaten und der Manipulation durch die Behörden und durch das Staatsfernsehen von einem »überzeugenden allgemeinen Sieg«.
Experten hatten zuvor beklagt, dass es mit Blick auf den russischen Krieg gegen die Ukraine im Grunde keine Wahldebatten gegeben habe. Auch in Moskau war von Wahlkampf nichts zu spüren.
Die unabhängige Wahlbeobachterorganisation Golos teilte am Morgen mit, dass es unter den rund 4000 verschiedenen Abstimmungen vereinzelt Vertreter der liberalen Oppositionspartei Jabloko in nur fünf Stadtparlamente oder Dorfräte geschafft hätten.
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