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Kreml: Große Gefahr einer Sabotage um AKW Saporischschja

Inmitten der Spannungen zwischen Russland und der Ukraine, steht Europas größtes Atomkraftwerk im Fokus der Konfliktparteien. Moskau und Kiew beschuldigen sich gegenseitig eines bevorstehenden Anschlags.

Kernkraftwerk Saporischschja
Das Kernkraftwerk Saporischschja aus der Luft. Foto: Maxar Technologies/DPA
Das Kernkraftwerk Saporischschja aus der Luft.
Foto: Maxar Technologies/DPA

Der Kreml hat die Lage um das von Russland besetzte ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja als »ziemlich angespannt« bezeichnet.

»Die Gefahr einer Sabotage vonseiten des Kiewer Regimes ist groß, was von den Folgen her katastrophal sein kann«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Russland werde alle Maßnahmen ergreifen, um einer solchen Gefahr entgegenzuwirken. Dagegen hatte die Ukraine zuvor Russland erneut vorgeworfen, Sprengsätze in Europas größtem Atomkraftwerk zu verlegen.

Die Ukraine warnt immer wieder vor einem angeblich von Russland vorbereiteten Terroranschlag auf das AKW. Moskau hatte am Dienstag wiederum Kiew vorgeworfen, das Atomkraftwerk mit Raketen und Kamikazedrohnen angreifen zu wollen, um einen atomaren Unfall zu verursachen.

Experte: Ukraine könnte AKW nicht von außen sprengen

Einem deutschen Experten zufolge hat die Ukraine nicht die militärischen Fähigkeiten, das Atomkraftwerk von außen zu sprengen. Carlo Masala, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr München, sagte der Deutschen Presse-Agentur, eine solche »Sprengung ist extrem kompliziert«. Russland hingegen könnte mit einer Sprengung an dem von Moskaus Truppen kontrollierten AKW »Chaos stiften«, sagte er.

»Ein AKW von Außen zu sprengen ist extrem schwierig und dazu haben die Ukrainer nicht die Kapazitäten«, sagte Masala. »Wenn sie die hätten, bräuchten sie so lange, dass sie leichte Opfer für die russische Luftabwehr wären«, fügte er hinzu. Die Anschuldigungen von russischer Seite seien daher sehr unrealistisch.

Zu möglichen Motiven einer Sabotage des Kraftwerks durch Moskau sagte Masala: »Es ist wie mit der Sprengung des Staudamms. Politik der verbrannten Erde - das ist die Logik dahinter.« Im Juni wurde der Kachowka-Staudamm in der Südukraine zerstört, viele Experten gehen von einer Sprengung durch russische Kräfte aus. Wie wahrscheinlich eine Sprengung des Atomkraftwerks sei, könne keiner sagen, so Masala. »Es ist nur auffällig, dass, wenn die Russische Föderation anfängt, die Ukrainer und den Westen zu beschuldigen, irgendwelche Anschläge zu planen, dies meistens die Vorbereitung für eigene Aktionen ist.« Daraus könne jedoch nicht abgeleitet werden, dass eine Sprengung von Saporischschja unmittelbar bevorsteht, schränkte er ein.

Kiew äußert Unmut über Grossi

Der Chef der Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) muss sich derweil Kritik aus Kiew anhören. Mit Blick auf Rafael Grossi sagte der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak: »Der Mensch ist absolut unwirksam beim Management des Schlüsselrisikos.« Die IAEA habe »klare Einflusshebel« auf Russland, sagte er in der Nacht im ukrainischen Nachrichtenfernsehen. Druck auf den staatlichen Atomkonzern Rosatom hätte einen Abzug der Russen und eine Minenräumung erzwingen können, argumentierte er.

Podoljak sprach dabei von einer »Clownerie« und bezeichnete Grossi als »dieser Mensch« und »das Subjekt Grossi«. Die vor knapp einem Monat gestartete ukrainische Gegenoffensive hat auch eine Rückeroberung des Kraftwerks Saporischschja zum Ziel. Das mit einer Bruttoleistung von 6000 Megawatt größte Atomkraftwerk Europas steht seit Anfang März 2022 unter russischer Kontrolle. Alle sechs Reaktoren sind seit vorigem September heruntergefahren.

»Prekäre nukleare Sicherheitslage«

Laut IAEA hat das Kernkraftwerk erneut den Anschluss an seine externe Hauptstromleitung verloren. Das Atomkraftwerk sei daher auf die erst kürzlich wiederhergestellte Ersatzversorgung durch eine weniger leistungsstarke Leitung angewiesen, erklärte Grossi in Wien.

Die einzige verbliebene 750-Kilovolt-(kV)-Stromleitung - von vier vor dem Konflikt verfügbaren - sei am Dienstag um 01:21 Uhr (Ortszeit) unterbrochen worden. »Es war nicht sofort bekannt, was den Stromausfall verursacht hat und wie lange er dauert«, so die IAEA weiter. Der Strom werde beispielsweise zum Pumpen von Kühlwasser für die Anlage benötigt. »Diesmal konnte das Kraftwerk einen völligen Ausfall der gesamten externen Stromversorgung vermeiden - was bereits sieben Mal während des Konflikts vorgekommen war -, aber die jüngste Stromleitungsunterbrechung verdeutlicht erneut die prekäre nukleare Sicherheitslage im Kraftwerk«, so Grossi.

© dpa-infocom, dpa:230705-99-290539/5