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Kramp-Karrenbauer kündigt Rückzug an

Die Regierungskrise in Thüringen hat dramatische Folgen für die Spitze der Bundes-CDU. Die Parteichefin gibt auf. Was bedeutet das für die Union und die große Koalition? Und wie gefährlich ist der nun drohende Machtkampf für die Kanzlerin?

Gremiensitzung - CDU
Annegret Kramp-Karrenbauer, Vorsitzende der CDU, äußert sich bei einer Pressekonferenz nach den Gremiensitzungen der CDU im Konrad-Adenauer-Haus. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Annegret Kramp-Karrenbauer, Vorsitzende der CDU, äußert sich bei einer Pressekonferenz nach den Gremiensitzungen der CDU im Konrad-Adenauer-Haus. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin (dpa) - CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat ihren Verzicht auf Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz angekündigt und die Union damit in eine tiefe Krise gestürzt.

Mit diesem überraschenden Schritt zog die 57-Jährige auch die Konsequenzen aus dem Debakel bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen mit den Stimmen der AfD. Sie räumte ein, dass die - von Kanzlerin Angela Merkel beförderte - Aufteilung der Ämter ein Fehler gewesen sei. Merkel bedauerte die Entscheidung, zollte Kramp-Karrenbauer aber Respekt. Die SPD forderte die CDU auf, sich klar gegen Rechtsextremisten abzugrenzen und ihren Kurs zu klären.

»Ich werde mich nicht um eine Kanzlerkandidatur bewerben«, sagte Kramp-Karrenbauer nach einer Sitzung der CDU-Gremien. »Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur müssen aus meiner Sicht am Ende aber in einer Hand liegen.« Deswegen werde sie nach der Entscheidung über die Kanzlerkandidatur das Parteiamt in die entsprechenden Hände abgeben. »Die Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz, die offene Frage der Kanzlerkandidatur schwächt die CDU in einer Phase, in der die Politik in Deutschland (...) auf eine starke CDU angewiesen ist«, sagte Kramp-Karrenbauer.

Sie kündigte an, den Prozess zur Bestimmung der Kanzlerkandidatur als Parteivorsitzende »weiter von vorne« zu führen. Verteidigungsministerin werde sie auf Wunsch der Kanzlerin bleiben.

Damit droht der CDU nur 14 Monate nach der Wahl Kramp-Karrenbauers an die Parteispitze ein neuer Machtkampf, der auch Merkel in Bedrängnis bringen und Auswirkungen auf die große Koalition haben könnte.

Merkel sagte in Berlin: »Ich habe diese Entscheidung heute mit allergrößtem Respekt zur Kenntnis genommen, sage allerdings auch, dass ich sie bedauere. Ich kann mir vorstellen, dass das Annegret Kramp-Karrenbauer nicht einfach gefallen ist.«

Die SPD forderte umgehend Klarheit über den weiteren Kurs des Koalitionspartners. "Die Vorgänge an der Spitze der CDU sind sehr besorgniserregend", sagte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans. "Die CDU befindet sich in einem Richtungsstreit, und sie ist seit längerem erkennbar führungslos." Sie müsse ihr Verhältnis zu Rechtsextremisten klären. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verlangte via Twitter, dass die Arbeit der Koalition durch die innerparteilichen Fragen der CDU nicht aufgehalten werde." Kramp-Karrenbauer betonte, sie sehe keine Auswirkungen auf die Stabilität der großen Koalition.

Auslöser der jüngsten Verwerfungen in der CDU war die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten vergangene Woche. Dabei wurde der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen von Liberalen, CDU und AfD gewählt, was Kramp-Karrenbauer und Merkel scharf kritisiert hatten. Die Parteichefin konnte sich aber bei der Thüringer CDU nicht mit der Forderung nach einer raschen Neuwahl durchsetzen. Kemmerich ist inzwischen zurückgetreten und nur noch geschäftsführend im Amt.

Kramp-Karrenbauer erklärte allerdings, ihre Entscheidung zum Rückzug sei bereits »seit einer geraumen Zeit« gereift. Im CDU-Präsidium sagte sie nach Angaben aus Parteikreisen, es gebe »ein ungeklärtes Verhältnis von Teilen der CDU mit AfD und Linken«. Vor Journalisten erklärte sie, die Parteispitze habe ihre Position eindeutig unterstützt, es gebe »keine Annäherung und keine Zusammenarbeit mit der AfD und der Linken«.

Das CDU-Präsidium reagierte nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur anfangs mit Schweigen auf die Rückzugsankündigung. Der NRW-Ministerpräsident und CDU-Vize Armin Laschet, der auch als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt wird, war wegen des Orkans »Sabine« nicht anwesend.

Kramp-Karrenbauer ist seit Dezember 2018 Bundesvorsitzende der CDU. Sie hatte sich damals auf einem Parteitag knapp gegen den früheren Unionsfraktionschef Friedrich Merz und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn durchgesetzt. Als Kanzlerkandidat gehandelt wurde zuletzt neben Laschet, Merz und Spahn auch CSU-Chef Markus Söder.

Dieser bekräftigte, nicht nach Berlin gehen zu wollen. »In Bayern ist mein Standort und mein Anker, ich bin bei den bayerischen Wählerinnen und Wählern im Wort«, sagte der Ministerpräsident dem Bayerischen Fernsehen. Auf Twitter verlangte er, »die inhaltliche und personelle Aufstellung der CDU grundsätzlich zu klären«.

Merz zollte Kramp-Karrenbauer Respekt und versprach auf Twitter: »Ich gebe ihr jede Unterstützung dabei, den Prozess ihrer Nachfolge und der Kanzlerkandidatur als gewählte Parteivorsitzende von vorn zu führen.«

Laschet appellierte an die Geschlossenheit der Union. »Die Herausforderungen für unser Land von außen und innen sind gewaltig«, sagte er der dpa. Zu einer möglichen eigenen Bewerbung um die Kanzlerkandidatur oder den Parteivorsitz äußerte er sich nicht. Der CDU-Vizevorsitzende Volker Bouffier sagte: »Wichtig ist, dass die Union jetzt zusammensteht, entschlossen agiert, um als Volkspartei der Mitte Deutschland auch in Zukunft zu gestalten.«

Auch Spahn bekundete auf Twitter »großen Respekt«. Die Trennung von Parteiführung und Kanzleramt sei eine schwierige Situation gewesen. Es sei Kramp-Karrenbauers Verdienst, CDU und CSU wieder zusammengeführt zu haben. »Der Zusammenhalt unserer Partei muss auch jetzt unsere Leitschnur sein«, forderte Spahn.

CDU, CSU und SPD hatten sich am Samstag im Koalitionsausschuss in Berlin für die umgehende Wahl eines neuen Ministerpräsidenten in Thüringen und dann eine baldige Neuwahl ausgesprochen. Dies peilen dort auch Linke, SPD und Grüne an. Die Landes-CDU sieht keinen Ausweg in einer überstürzten Neuwahl, die AfD findet sie generell unnötig.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock sprach von einer »dramatischen Situation« fürs Land. »Es gibt die Gefahr, dass ein noch größeres Machtvakuum entsteht. Die Union muss klären, wie sie unter diesen Bedingungen eine stabile Regierung tragen kann. Alle Parteien sind jetzt gefragt, nicht parteistrategisch zu taktieren, sondern eine klare Brandmauer gegen die AfD hochzuhalten«, sagte sie der dpa.

Die Linke sieht die CDU vor einer Richtungsentscheidung: »Rechtsoffen à la Merz oder konsequent gegen Rechtsbündnisse«, schrieb Parteichef Bernd Riexinger auf Twitter. Die Co-Vorsitzende Katja Kipping wertete Kramp-Karrenbauers Schritt auch als »ein Zeichen dafür, dass die GroKo wieder heftig wackelt«. Alexander Gauland, der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, erklärte, Kramp-Karrenbauer habe die CDU mit ihrem »Ausgrenzungskurs« ins Chaos gestürzt.

Eine große Mehrheit der Bundesbürger findet einer Umfrage zufolge den Rückzug Annegret Kramp-Karrenbauers gut. Den Vorstoß befürworten 77 Prozent der Befragten, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der RTL/ntv-Redaktion ergab.

Bei der Frage, wer alternativ als Kanzlerkandidat in Frage käme, sehen die Befragten am ehesten Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz (27 Prozent) vorne. Danach folgen der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (18 Prozent), CSU-Chef Markus Söder (11 Prozent) und Gesundheitsminister Jens Spahn (8 Prozent).

Allerdings sind 36 Prozent der Befragten der Meinung, dass keiner der vier geeignet wäre.