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Konflikt um Seegrenze: Israel verkündet Einigung mit Libanon

Offiziell gibt es kaum Kontakt zwischen den Feinden Libanon und Israel. Aussichten auf Erdgas-Ressourcen bringen sie im Streit über ihre Seegrenzen nun aber zusammen. Fließt bald Gas in die EU?

Israel
Die israelische Plattform Leviathan zur Förderung von Erdgas im Mittelmeer. Foto: Ariel Schalit
Die israelische Plattform Leviathan zur Förderung von Erdgas im Mittelmeer.
Foto: Ariel Schalit

Die Nachbarstaaten Libanon und Israel haben nach israelischen Angaben ihren langwierigen Streit um Gasförderung im Mittelmeer beigelegt. Sie einigten sich unter US-Vermittlung auf eine gemeinsame Seegrenze, wie der israelische Ministerpräsident Jair Lapid mitteilte. »Dies ist eine historische Errungenschaft«, erklärte er. Beide Seiten beanspruchen in Mittelmeer Gasvorkommen für sich. Israel könnte damit für die EU als Gaslieferant an Bedeutung gewinnen.

Auch von libanesischer Seite kamen positive Signale. Die endgültige Fassung des Abkommens stelle den Libanon zufrieden, erfülle seine Forderungen und wahre seine Rechte an seinen Ressourcen, teilte das Büro von Präsident Michael Aoun über Twitter mit. Eine abschließende Bestätigung aus Beirut stand aber zunächst noch aus. »Ich bin optimistisch«, sagte Libanons Chefunterhändler Elias Bu Saab. »Wir glauben, dass dies ein faires Abkommen ist.«

Das Weiße Haus habe zugleich eine feste Zusicherung der libanesischen Regierung, dass sie die Einigung einhalten wolle, sagte ein ranghoher US-Beamter in Washington. Er nannte die Vereinbarung historisch und betonte, dass die USA für weitere Vermittlung offenstünden, wenn es Probleme bei ihrer Umsetzung geben sollte.

Ein jahrzehntelanger Streit

Hintergrund des jahrzehntelangen Streits ist eine umstrittene 860 Quadratkilometer große Fläche vor der Küste, die beide Seiten als ihre ausschließliche Wirtschaftszone beanspruchen. Der Konflikt um den Grenzverlauf hatte sich nach der Entdeckung von großen Mengen Erdgas verschärft. Die Nachbarn erhoffen sich wirtschaftliche Vorteile.

Lapid teilte auf Twitter mit: »Dieses beispiellose Abkommen wird Israels Sicherheit stärken, unsere Wirtschaft fördern und Ländern auf der ganzen Welt saubere und erschwingliche Energie liefern.« Er dankte US-Vermittler Amos Hochstein für »seine harte Arbeit zum Zustandekommen dieses historischen Abkommens«. Am Mittwoch soll es dem israelischen Sicherheitskabinett sowie in einer Sondersitzung der Regierung vorgelegt werden.

Das Gas aus Israel könnte auch zur Linderung der Energiekrise in Europa beitragen. Seit der russischen Invasion in der Ukraine sucht die EU verstärkt nach anderen Energiequellen. Lapid hatte vor einiger Zeit angekündigt, Gasexporte nach Europa erhöhen zu wollen.

Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts in Berlin teilte am Dienstag mit, die politische Einigung auf ein Abkommen sei ein historischer Erfolg. »Dieser Durchbruch zeigt, was Diplomatie auch in scheinbar festgefahrenen Konflikten leisten kann.« Die Festlegung der Seegrenzen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu größerer regionaler Stabilität und Sicherheit, so die Sprecherin. Er biete wirtschaftliche Chancen sowohl für Israel als auch für den Libanon.

Noch keine Details zum Abkommen

Dem Libanon soll mit dem Abkommen nach israelischen Medienberichten die Erschließung des Offshore-Gasfeldes Kana ermöglicht werden. Israel behält demnach die Hoheit über das Gebiet rund um die Karisch-Gasplattform, nordöstlich der israelischen Hafenstadt Haifa. Details zu dem Abkommen wurden bisher jedoch nicht offiziell bekannt gegeben.

Am Sonntag war Karisch bereits an Israels Fördersystem angeschlossen worden. Das Unternehmen Energean teilte mit, es handele sich nicht um den Beginn der Gasförderung, sondern eine Prüfung der Systeme.

Beobachter hatten gewarnt, dass ein Scheitern der Verhandlungen zu neuer Gewalt zwischen beiden Ländern führen könnte. Die im Libanon einflussreiche Schiitenmiliz Hisbollah ist mit Israel verfeindet. Ohne deren Zustimmung ist eine Einigung in dem Konflikt unmöglich.

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hielt sich mit einer eindeutigen Bewertung zurück, deutete aber auch keinen Widerstand an. »Wir warten zunächst ab, dass der (libanesische) Präsident die offizielle Haltung verkündet«, sagte er am Dienstagabend in einer Fernsehansprache. Erst wenn das Abkommen unterzeichnet sei, sei die Angelegenheit erledigt. »Bis dahin müssen wir wachsam sein«, erklärte Nasrallah.

Keine Normalisierung der Beziehungen

Eine weitergehende diplomatische Annäherung der verfeinden Staaten Libanon und Israel ist jedoch in naher Zukunft nicht zu erwarten. Vor der Einigung hatten beide Seiten betont, dass mit den Gesprächen keine Normalisierung der Beziehungen einhergehe. Es gehe ausschließlich um die gemeinsame Seegrenze.

Offiziell befinden sich Israel und der Libanon noch immer im Krieg. Die Verhandlungen über den umstrittenen Grenzverlauf waren im Oktober 2020 in einem ungewöhnlichen Schritt aufgenommen worden. Es war der erste Kontakt seit Jahrzehnten, der sich nicht um das Thema Sicherheit drehte.

Der Libanon steckt derzeit in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte, die unter anderem die Energieversorgung schwer getroffen hat. Viele Libanesen haben am Tag nur noch ein oder zwei Stunden Strom. Privat betriebene Generatoren können sich wegen steigender Ölpreise nur wenige Menschen leisten. Von der künftigen Gasförderung erhoffen sich viele Libanesen einen Aufschwung. Allerdings ist noch unklar, ob und welche Mengen Gas das Land überhaupt fördern kann.

Der Wettlauf um Erdgas im Mittelmeer hatte sich in den letzten Jahren zugespitzt. Laut der US-Forschungsbehörde Geological Survey enthält das sogenannte Levante-Becken, das vom Osten Ägyptens bis zum Norden Syriens und zur Türkei führt, rund 3,5 Billionen Kubikmeter förderbares Erdgas. In der Region konkurrieren neben Israel und dem Libanon auch Ägypten, Zypern und die Türkei um Erdgas-Ressourcen.

Die internationale Grenze Israels und des Libanons führt entlang der sogenannten blauen Linie. Nördlich von ihr, im Südlibanon, wurde eine internationale Sicherheitstruppe mit UN-Mandat und Soldaten der libanesischen Armee stationiert, um den Frieden zu gewährleisten.

© dpa-infocom, dpa:221011-99-85070/8