Nach einem Raketeneinschlag in einem Krankenhaus im Gazastreifen mit mutmaßlich zahlreichen Opfern hat Jordanien ein für den heutigen Mittwoch geplantes Treffen zwischen König Abdullah II. und US-Präsident Joe Biden abgesagt. Das Treffen, an dem auch Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi teilnehmen sollte, werde erst stattfinden, wenn es eine Einigung gebe, den Krieg zu beenden und »diese Massaker« zu stoppen, sagte Außenminister Aiman al-Safadi dem jordanischen TV-Sender Al-Mamlaka.
Die von der islamistischen Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde machte die israelische Armee für den Raketeneinschlag verantwortlich. Die israelische Armee hingegen gab einer militanten Palästinenserorganisation im Gazastreifen die Schuld. Die genaue Zahl der Todesopfer war unklar. Unabhängig waren diese Informationen nicht zu überprüfen.
Das der islamistischen Hamas unterstellte Gesundheitsministerium im Gazastreifen teilte mit, in der Klinik seien Tausende Flüchtlinge aus dem Norden der Küstenenklave untergebracht. Die Ereignisse lösten spontane Proteste in der arabischen Welt aus. Saudi-Arabien verurteilte das »abscheuliche Verbrechen« aufs Schärfste. Das Land machte Israel für den Angriff verantwortlich, wie aus einer Erklärung des saudischen Außenministeriums hervorging. Riad verurteile die »anhaltenden Angriffe der israelischen Besatzung« auf Zivilisten.
Israels Militär: »Haben Krankenhaus nicht getroffen«
Israels Militär wies die Verantwortung für den Raketeneinschlag klar zurück. »Das Krankenhaus wurde durch eine fehlgeschlagene Rakete der Terrororganisation Islamischer Dschihad getroffen«, teilte die Armee in der Nacht mit.
Zuvor hatte es noch vom Militär genießen, alles »deute darauf hin«, dass die militante Palästinenserorganisation verantwortlich sei. Eine zusätzliche Überprüfung der operativen und nachrichtendienstlichen Systeme habe nun ergeben, »das israelische Militär hat das Krankenhaus in Gaza nicht getroffen«. Militärsprecher Daniel Hagari kündigte an, Beweise für die Annahme öffentlich machen zu wollen.
Frankreich verurteilt »Angriff auf Krankenhaus«
Der französische Präsident Emmanuel Macron verurteilte den Raketeneinschlag im Gazastreifen. »Nichts kann einen Angriff auf ein Krankenhaus rechtfertigen«, schrieb er auf der Plattform X (früher Twitter). »Nichts kann es rechtfertigen, Zivilisten ins Visier zu nehmen.«
Die Umstände müssten in vollem Umfang aufgeklärt werden. Seine Gedanken seien bei den Opfern. Konkrete Schuldzuweisungen sprach er nicht aus. In einem weiteren Tweet forderte er, der Zugang für humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen müsse unverzüglich wieder geöffnet werden.
Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu Gaza
Der Weltsicherheitsrat soll sich heute mit dem Raketeneinschlag beschäftigen. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland beantragten gestern eine Dringlichkeitssitzung des mächtigsten UN-Gremiums für Mittwochvormittag New Yorker Zeit, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Diplomatenkreisen erfuhr.
Brasilien, das dem Gremium momentan vorsitzt, bestätigte zudem, dass der Rat in der Sitzung ab 10 Uhr New Yorker Zeit (16 Uhr MESZ) über einen vorliegenden Entwurf für eine Nahostresolution abstimmen soll. Der Text auf Initiative Brasiliens verlangt neben dem Zugang für humanitäre Hilfe im Gazastreifen unter anderem, dass Israel - ohne das Land direkt zu nennen - seine Aufforderung zur Evakuierung der Zivilbevölkerung aus dem nördlichen Teil der Küstenregion rückgängig macht. Alle Konfliktparteien müssten sich zudem an internationales Recht halten.
In Vorbereitung einer möglichen Bodenoffensive gegen die Hamas nach dem verheerenden Terrorangriff auf Israel hatte das Militär die Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen wiederholt aufgefordert, das Gebiet Richtung Süden zu verlassen. Nach UN-Angaben sind bisher rund eine Million Menschen in den Süden geflohen, die israelische Armee spricht von rund 600.000 Menschen.
Krisendiplomatie: Scholz und Biden in Israel
Die Diplomatie zur Eindämmung des Konflikts lief auf Hochtouren. Als einer der ersten Regierungschefs nach den Attacken besuchte Kanzler Olaf Scholz am heutigen Dienstag Tel Aviv - noch vor US-Präsident Joe Biden, der am Mittwoch in Israel erwartet wird.
Scholz versicherte Israel die volle Solidarität Deutschlands. ""Unsere aus dem Holocaust erwachsene Verantwortung macht es zu unserer Aufgabe, für die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel einzustehen", sagte der SPD-Politiker bei einem Treffen mit Ministerpräsident Netanjahu in Tel Aviv. Dieser verglich die Morde der Hamas mit den Massakern der Nazis: "Die Hamas sind die neuen Nazis." Der Besuch wurde zweimal von Raketenalarm unterbrochen. Der Kanzler musste jeweils für mehrere Minuten in einen Schutzraum.
Später am Abend musste Scholz' Delegation vor dem Abflug von Tel Aviv nach Kairo wegen eines erneuten Raketenalarms schlagartig das Flugzeug verlassen. Scholz wurde mit einem Auto in ein Gebäude gefahren, die anderen Passagiere wurden aufgefordert, sich auf dem Flugfeld auf den Boden zu legen. Es wurden zwei Flugabwehrraketen abgefeuert, die auf dem Flugfeld deutlich zu hören waren. Nach wenigen Minuten konnten die Passagiere wieder in das Flugzeug steigen, die Maschine konnte schließlich starten.
Scholz bemüht sich um Freilassung der Geiseln
Terroristen im Auftrag der Hamas hatten am Samstag vor einer Woche ein Massaker an israelischen Zivilisten in Grenzorten und auf einem Musikfestival angerichtet. Es war das schlimmste Blutbad der israelischen Geschichte. Mehr als 1400 Menschen kamen dabei und bei weiterem Blutvergießen in den folgenden Tagen ums Leben. Militante Palästinenser verschleppten zudem mindestens 199 Menschen, darunter auch deutsche Staatsbürger. In Scholz' Gesprächen in Israel ging es auch darum, wie die Geiseln befreit werden können - ähnlich wie am Mittwoch bei der nächsten Station seiner Nahost-Reise in Ägypten.
Während zehn Tage nach Beginn des Krieges weiter Raketen vom Gazastreifen auf Israel flogen, setzte die israelische Luftwaffe ihre Angriffe auf Ziele in dem dicht besiedelten Küstenstreifen fort. Nach UN-Angaben sind bisher rund eine Million Menschen in den Süden geflohen, die israelische Armee spricht von rund 600 000 Menschen. In Vorbereitung weiterer militärischer Schritte gegen die Hamas hatte Israels Militär die Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen aufgefordert, das Gebiet Richtung Süden zu verlassen.
Zahl der Toten steigt
Nach den Worten eines Armeesprechers erwägt Israel auch Alternativen zu einer allgemein erwarteten Bodenoffensive. Das Land bereite sich im Gazastreifen auf »die nächsten Stufen des Krieges« gegen die dort herrschende Palästinenserorganisation Hamas vor. »Alle sprechen von einer Bodenoffensive, aber es könnte etwas anderes sein.«
Die Zahl der Toten durch die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen bezifferte das palästinensische Gesundheitsministerium auf 3000. Die Zahlen vom späteren Raketeneinschlag im Krankenhaus waren darin noch nicht enthalten.
Israel: Wieder führendes Hamas-Mitglied getötet
Ein Armeesprecher erklärt, das israelische Militär attackiere weiter die Infrastruktur der Hamas und suche nach den Verstecken ihrer Führungsleute. So wurde bei einem Luftangriff der Chef des Schura-Rats der Hamas, Osama Mazini, getötet, wie das Militär bekanntgab. Dieser sei für die Gefangenen der Hamas verantwortlich gewesen und habe terroristische Aktivitäten angeleitet.
Türkei als Vermittler bei Geisel-Verhandlungen
Die Türkei bemüht sich weiter um die Freilassung der Geiseln. »Bislang haben wir aus verschiedenen Ländern insbesondere bezüglich der Freilassung ihrer Staatsbürger Anfragen erhalten. Daraufhin haben wir insbesondere mit dem politischen Flügel der Hamas Verhandlungen begonnen«, sagte der türkische Außenminister Hakan Fidan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in Beirut.
Derweil hat Israel seine Staatsbürger aus Angst vor Vergeltungsschlägen zum Verlassen der Türkei aufgefordert. Die Alarmstufe für das Land sei auf die höchste Warnstufe (hohe Bedrohung) erhöht worden, teilte der Nationale Sicherheitsrat mit.
Hamas veröffentlicht Video mit Geisel
Die Hamas veröffentlichte erstmals ein Video mit einer mutmaßlichen Geisel. In einem am Montag verbreiteten Video sieht man, wie einer jungen Frau eine Wunde am Arm verbunden wird, anschließend spricht sie direkt in die Kamera. »Ich bin 21 Jahre alt und komme aus Schoham«, sagt die Frau. Sie sei in Gaza und dort in einem Krankenhaus behandelt worden. Medienberichten zufolge soll es sich um eine Israelin handeln, die auch die französische Staatsangehörigkeit hat. Das israelische Militär teilte mit, sie sei entführt worden. Die Armee stehe in Kontakt mit der Familie.
Auch UN-Generalsekretär Guterres reist in Region
In die diplomatischen Bemühungen schaltet sich auch UN-Generalsekretär António Guterres ein. In Kairo will sich der Portugiese laut UN-Angaben ab Donnerstag mit Staatschef Abdel Fattah al-Sisi treffen, um eine Öffnung des geschlossenen Grenzübergangs Rafah von der ägyptischen Sinai-Halbinsel in den Gazastreifen zu erwirken. Rafah gilt als einziger Weg, dringend benötigte Hilfe in den von Israel abgeriegelten Küstenstreifen zu bringen.
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