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Klingbeil: Söder hat den »Buckel gemacht vor dem Aiwanger«

Hat sich Hubert Aiwanger richtig verhalten bei seiner Aufarbeitung der Flugblatt-Affäre? Hat Markus Söder richtig gehandelt? Über beide Fragen debattiert das Land. Erste Umfragen zeichnen ein erstes Bild.

Hubert Aiwanger
Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger sieht sich selbst als Opfer. Foto: Sven Hoppe/DPA
Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger sieht sich selbst als Opfer.
Foto: Sven Hoppe/DPA

Nach der Entscheidung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), an seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) festzuhalten, bleiben die bundesweiten Reaktionen von jüdischen Vertretern bis hin zum Bundeskanzler gespalten.

»In der Gesamtbetrachtung ist die Entscheidung des Ministerpräsidenten für mich nachvollziehbar«, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, laut Mitteilung.

Kritik an Kommunikation Aiwangers

Der Umgang Aiwangers mit den Vorwürfen um ein antisemitisches Flugblatt aus den 1980er Jahren bleibe aber irritierend. »Ich vermisse bisher bei Hubert Aiwanger eine wirkliche innere Auseinandersetzung mit den Vorwürfen und seinem Verhalten zur Schulzeit.«

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, lehnte nach eigenen Worten sogar eine Entschuldigung Aiwangers ab. Im Deutschlandfunk sagte sie, der Freie-Wähler-Vorsitzende habe sich bei ihr gemeldet.

»Ich habe ihm meine Meinung zu ihm, zu seiner Person ganz klar erklärt. Ich habe die Entschuldigung nicht angenommen.« Es seien »entsetzliche Worte«, die im Raum stünden. Knobloch sagte aber auch, dass sie die Entscheidung Söders, Aiwanger im Amt zu belassen, akzeptiere. Eine Entlassung hätte der bayerische Wirtschaftsminister ihrer Einschätzung nach im Wahlkampf für sich ausgenutzt.

Söder hatte am Sonntag verkündet, Aiwanger trotz der Flugblatt-Affäre nicht zu entlassen und die Koalition mit den Freien Wählern auch nach der Landtagswahl am 8. Oktober fortsetzen zu wollen. Er legte Aiwanger nahe, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und etwa Gespräche mit jüdischen Gemeinden zu suchen.

Kanzler nüchtern, SPD-Chef kritisch

Eher ausgleichend war die Reaktion von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Der Kanzler habe Söders Entscheidung »zur Kenntnis genommen«, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf Nachfrage bei der Regierungspressekonferenz in Berlin. »Markus Söder ist offensichtlich der Ansicht, dass die Angaben von Herrn Aiwanger ausreichen, und er möchte ungeachtet der erhobenen Vorwürfe der letzten Tage und Wochen weiterhin mit ihm zusammenarbeiten.«

Wesentlich kritischer zeigte sich SPD-Chef Lars Klingbeil auf dem Volksfest Gillamoos im niederbayerischen Abensberg: »Der hat den Buckel gemacht vor dem Aiwanger«, sagte Klingbeil mit Blick auf Söder.

Auf dem mehr als 700 Jahre alten Fest auf dem Gillamoos, das für die politischen Reden am letzten Tag überregional bekannt ist, meldete sich am heuigen Montag die Politik-Prominenz zu Wort. Während Söder und Aiwanger in ihren Beiträgen nicht mehr direkt auf die Affäre eingingen, lobte CDU-Chef Friedrich Merz beim gemeinsamen Auftritt mit dem Ministerpräsidenten dessen Krisenmanagement: »Sehr gut, genauso war's richtig, das so zu machen.«

Kritik auch von FDP und Grünen

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nannte das Verhalten Aiwangers »nicht überzeugend«. »Es geht hier nicht um die Vergangenheit von Herrn Aiwanger, sondern es geht darum, wie er damit heute umgeht«, sagte Djir-Sarai am Montag in Berlin.

Kritik kam auch von den Grünen: Der Parteivorsitzende Omid Nouripour forderte eine bessere Aufklärung in der Affäre. »Es geht darum, dass er sich lieber als Opfer inszeniert, als dass er Reue zeigt«, sagte Nouripour mit Blick auf Aiwanger in Berlin.

Söder hatte am Sonntag erklärt, eine Entlassung wäre nicht verhältnismäßig gewesen. Aiwanger hätte die Vorwürfe aber früher, entschlossener und umfassender aufklären müssen. Am Donnerstag beschäftigt sich ein Ausschuss im bayerischen Landtag in einer von Grünen, SPD und FDP beantragten Sondersitzung mit dem Thema.

Umfrage: Mehrheit findet Söder-Entscheidung richtig

58 Prozent der Deutschen finden einer Umfrage zufolge die Entscheidung von Söder, Aiwanger im Amt zu belassen, richtig. 34 Prozent sind der Meinung, Söder hätte Aiwanger entlassen sollen, wie eine Forsa-Umfrage für den »Stern« ergab. 8 Prozent machten demnach keine Angaben. Die Daten wurden vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa für die RTL-Gruppe Deutschland erhoben, wie es in einer Mitteilung hieß.

Besonders groß ist die Zustimmung der Umfrage nach bei den Wählern der CSU (92 Prozent), der AfD (86 Prozent), der CDU (77 Prozent) und der FDP (72 Prozent). Dagegen hätten die Anhänger von SPD (65 Prozent) und Grünen (71 Prozent) mehrheitlich eine Entlassung des Freie-Wähler-Politikers für richtig gehalten.

© dpa-infocom, dpa:230904-99-73490/4