So gut wie alle Eltern kennen das - und stöhnen jedes Mal auf: Das Kind ist plötzlich krank, zur Kita oder Schule kann es nicht. Die Eltern müssen schnell entscheiden: Wer von beiden soll sich beim Arbeitgeber entschuldigen, um das Kind betreuen zu können?
Dann heißt es oft: jetzt sofort zum Kinderarzt, um sich eine Kinderkrankenbescheinigung ausstellen zu lassen. Eine Praxis, von der viele ohnehin belastete Kinderärzte zunehmend genervt sind. Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Michael Hubmann, fordert deshalb, diese Art von Bescheinigungen bei leichten Erkrankungen der Kinder ganz abzuschaffen. Es komme einem »unnötigen Einsatz von pädiatrischen Ressourcen« gleich, wenn Kinderärzte eine harmlose Krankheit bescheinigen müssten, sagte er der »Ärzte Zeitung«.
Ungeeignete »Verfolgungsbehörden der Arbeitgeberverbände«
Die Kinderärztinnen und -ärzte könnten schlichtweg »nicht beurteilen, ob zur Betreuung eines Kindes ein Elternteil zu Hause bleiben muss oder ob das innerfamiliär anders geregelt werden könnte. Absurderweise wird aber genau das von uns gesetzlich verlangt«, schimpft der Pädiater. Arztpraxen seien als »Verfolgungsbehörden der Arbeitgeberverbände denkbar ungeeignet«. Als unnötige Arbeit wertete Hubmann auch Atteste, die notwendig seien, damit Kinder bei kleineren gesundheitlichen Leiden wieder zurück in die Kita oder die Schule könnten. Er führte dazu folgendes Beispiel an: »Ein Kind hat einen Mückenstich. Die Kita sagt: Das Kind hat einen Hautausschlag. Also hole ich den Papa aus seiner Redaktionskonferenz. Der holt seinen Sohn ab und kommt zu mir in die Praxis.« Ein solches Szenario sei »kein Witz, das ist Alltag und ein gesellschaftlicher Schaden«.
Wenn ein Kind unter zwölf Jahren krank wird, können sich Eltern von der Arbeit freistellen lassen. Voraussetzung ist in der Regel ein ärztliches Attest, das die Erkrankung, aber auch das Fehlen alternativer Betreuungsmöglichkeiten bestätigt. Die Kinderkrankschreibung kann jeweils für bis zu fünf Tage erfolgen - bei längerem Ausfall müssen also Folgebescheinigungen ausgestellt werden.
Für gesetzlich Versicherte zahlt die Krankenkasse im Falle eines Verdienstausfalls auf Antrag Kinderkrankengeld - in der Regel 90 Prozent des Nettolohns. Denn das müssen Eltern bedenken: Arbeitgeber sind im Falle von Fehlzeiten wegen eines kranken Kindes oftmals nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Insgesamt besteht für jedes gesetzlich versicherte Kind ein Anspruch auf den Lohnersatz für längstens 15 Arbeitstage jedes Elternteils im Kalenderjahr. Alleinerziehende Versicherte können das für 30 Tage nutzen. Leben mehrere Kinder unter 12 im Haus, wird das Kinderkrankengeld jedem Elternteil für höchstens 35 Tage im Jahr gezahlt.
Hoher bürokratischer Aufwand
Durch kranke Kinder und Elternteile, die sich kümmern müssen, kann den Arztpraxen viel Bürokratie entstehen. Mit wie vielen Kinderkrankenbescheinigung es Kinderärztinnen und -ärzte jährlich im Schnitt zu tun haben, kann nur geschätzt werden. Dazu lägen keine Zahlen vor, erklärte der Sprecher des Kinderärzteverbands, Jakob Maske. Maske ist selbst Kinderarzt in Berlin. In seiner Praxis werden seinen Angaben zufolge, je nach Infektlage, täglich fünf bis zehn Bescheinigungen dieser Art ausgestellt.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will bürokratische Lasten in Arztpraxen reduzieren. Generell gilt seit Dezember bereits, dass sich Patientinnen und Patienten bei leichteren Erkrankungen nicht mehr in Praxen schleppen müssen - eine Krankschreibung gibt es auch per Telefon. Bedingung ist, dass man in der Praxis bekannt ist und keine schweren Symptome hat.
Kinderkrankenbescheinigungen für Eltern sind ebenfalls seit Dezember telefonisch möglich - darauf verweist Lauterbachs Ministerium. Eltern müssten also nicht zum Arzt laufen, sondern könnten sich um ihre Kinder kümmern und die Krankschreibung zu einem späteren Zeitpunkt abholen, sagte ein Sprecher auf Anfrage.
Keine weiteren Vereinfachungen in Sicht
Lauterbach hatte ursprünglich auch eine Regelung angepeilt, die vorsieht, dass Eltern überhaupt erst ab dem vierten Tag eine Krankschreibung für ein Kind beim Arbeitgeber vorlegen müssen. Dies sei aber wegen Einwänden der FDP nicht Konsens in der Regierung gewesen, hieß es aus Regierungskreisen. Der Arbeitgeberverband, der pauschale Vorgaben zur Vorlage von Krankschreibungen naturgemäß kritisch sehen dürfte, wollte sich am Donnerstag auf Anfrage nicht zum Thema äußern.
Dass sich Eltern also schon demnächst über weitere Vereinfachungen freuen können, ist eher unwahrscheinlich. Und das, obwohl das Thema nicht nur bei genervten Eltern und Kinderärzten auf Unterstützung stößt. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) signalisierte am Donnerstag große Zustimmung. »Wenn nicht mehr jeder kleine Schnupfen ab dem ersten Tag ärztlich attestiert werden muss, entlastet das überfüllte Kinderarztpraxen und gestresste Eltern enorm«, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Es sei zu hoffen, dass Minister Lauterbach den Vorstoß doch noch aufgreife.
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