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Kiews Bürgermeister Klitschko dankt deutscher Hilfe

Als Ex-Boxweltmeister ist Vitali Klitschko weltberühmt, nun kämpft er als Bürgermeister in Kiew gegen Russlands Krieg. Zum Jahrestag der Invasion äußert er sich auch zur Kritik an der deutschen Hilfe.

Vitali Klitschko
Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, nach einem Interview mit Journalisten der Deutschen Presse-Agentur in seinem Büro im Rataus der ukrainischen Hauptstadt. Foto: Kay Nietfeld
Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, nach einem Interview mit Journalisten der Deutschen Presse-Agentur in seinem Büro im Rataus der ukrainischen Hauptstadt.
Foto: Kay Nietfeld

In seinem Büro in der Stadtverwaltung in Kiew zeigt sich Bürgermeister Klitschko auch ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges kämpferisch - und dankbar. So habe Deutschland geholfen, das Leben vieler Menschen zu retten, etwa durch das Flugabwehrsystem Iris-T. Dadurch sei das Leben sicherer geworden.

»Ich möchte im Namen von unserem Militär sagen: 1000 Mal Danke. Sie sind überrascht, wie gut es ist. Wie man sagt: Jeder Schuss ein Treffer. Dieses System hat viele Leben auf unserem Boden gerettet«, sagte der 51-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch in seinem Büro in der ukrainischen Hauptstadt.

Ganz oben in der Stadtverwaltung hat er sein Arbeitszimmer - mit vielen Telefonen, Modellen für Stadtprojekte, einem Golfschläger und einer Hantel mit der Aufschrift »Udar«. Das steht für Klitschkos Partei. Der Zwei-Meter-Mann in dem militärgrünen Outfit erzählt, dass er sich auch in Kriegszeiten weiter mit Sport fit halte - aber nicht mehr mit Faustkampf. »Leider habe ich vom Boxen die Schnauze voll«, sagt er.

»Als ehemaliger Sportler versuche ich immer, Sport zu machen, weil das der beste Stressabbau ist. Es gibt viele Methoden zum Stressabbau. Bei mir passt nur Sport.« Vor allem jogge er und fahre mit dem Rad oder mache auch mal, wenn wenig Zeit sei, zuhause Liegestütze.

Klitschko: Ohne Hilfe des Westens überlebt Ukraine nicht

Klitschko erlebt als Bürgermeister der Millionenstadt Kiew immer wieder russische Raketen- und Drohnenangriffe und ist verantwortlich für das Funktionieren der größten Metropole des Landes. Aktuell hat Kiew trotz Schäden an der Infrastruktur die Stromversorgung weitgehend im Griff. Von den einst fast vier Millionen Menschen seien heute 3,6 Millionen wieder in der Hauptstadt, wo es auch am Mittwoch Luftalarm gab. Russland hatte am 24. Februar 2022 seinen Krieg gegen die Ukraine begonnen und die Stadt immer wieder angegriffen.

Klitschko betont, dass das Überleben der Ukraine von Deutschland, vom Westen abhängig sei. »Ohne Unterstützung des Westens können wir nicht überleben.« Er dankte Deutschland ausdrücklich auch für die humanitäre Hilfe zur Überwindung der Kriegsfolgen.

Auf die Frage, ob er die Kritik an einer langsamen Hilfe Deutschlands nachvollziehen kann, sagte Klitschko, der Deutsch spricht: »Jein!« Teils sei die Kritik berechtigt gewesen, weil Entscheidungen »zu zögerlich« getroffen worden seien. »Trotzdem will ich Danke sagen. Deutschland ist einer der größten Unterstützer der Ukraine, ein Land, das mehr getan hat als alle anderen europäischen Länder«, betonte er. »Deutschland hat als Lokomotive eine besondere Rolle und trägt Verantwortung für den Frieden in ganz Europa.«

Moderne Waffen könnten helfen, schneller zum Sieg zu kommen. Nötig seien neben modernen Waffen und Munition auch Flugzeuge. »Wie viel und wann es genug ist, können wir dann sagen, wenn das Land frei vom russischen Aggressor ist. Wir brauchen sehr viel«, sagte er.

Er kenne die Diskussion über immer neue Forderungen der Ukraine. »Ich verstehe, dass es eine große Belastung für die Wirtschaft jedes Landes ist. Aber jeder in Deutschland muss verstehen: Wir verteidigen nicht nur unser Land und unsere Leute, wir verteidigen auch die gleichen Werte.« Dann fügte er hinzu: »Es ist ein Riesenfehler zu denken: Der Krieg ist weit weg, das berührt mich nicht.«

Bürgermeister sieht Gefahr eines neuen Angriffs auf Kiew

Er sehe auch die Gefahr, dass russische Truppen erneut die Hauptstadt angreifen werden, meinte Klitschko. Zugleich rechnet er aber damit, dass sie scheitern werden. »Ich glaube nicht, dass Russland gewinnt.« Im vergangenen Jahr waren die russischen Truppen bereits in den Vororten und an den Stadträndern von Kiew, zogen dann aber wieder ab. Es gebe heute eine breite Koalition, die der Ukraine bei der Verteidigung des Landes helfe. Niemand müsse mehr überzeugt werden, sagte Klitschko.

Zum Jahrestag des Krieges an diesem Freitag will Klitschko auch an die vielen Toten erinnern. »Eltern haben ihre Kinder verloren, Kinder haben ihre Eltern verloren und sind als Waisen zurückgeblieben«, sagte er. Mindestens 8000 Zivilisten sind bisher nach UN-Angaben in dem Krieg gestorben. Zur aktuellen Zahl der getöteten Soldaten macht die Ukraine keine Angaben. »Es sind Tausende und Tausende. Es ist eine riesige Zahl«, sagte Klitschko, der als Bürgermeister auch für das Beerdigungswesen der Stadt zuständig ist. Auch viele seiner Bekannten seien mittlerweile tot.

Zukunft mit Nachbar Russland? - »Wunde ist groß«

Ob eine Aussöhnung möglich ist - nach dem Krieg und ohne einen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau? »Die Wunde ist groß. Es ist schwierig, weil Tausende Menschen gestorben sind«, sagt Klitschko, der selbst eine russische Mutter hat. Er wisse um die Spannungen in vielen ukrainisch-russischen Familien und um die Probleme mit der Moskauer Kriegspropaganda, die viele Menschen dort indoktriniere.

Allerdings müssten beide Länder irgendwie zusammenleben. »Wie lange es dauert, ist schwer zu sagen. Aber wir brauchen lange Zeit.« Verstehen müsse Russland, dass die Ukraine Teil der Europäischen Union sein wolle. »Das passt nicht in die Vision von Putin, weil er wieder ein riesiges russisches Imperium aufbauen will.«

Klitschko will keine Debatte über Präsidentenamt

Was auch auffällt in Klitschkos Büro - es gibt kein Foto von Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Amtsstube, sondern eins vom Oberkommandierenden der Streitkräfte, Walerij Saluschnyj. Ein Zeichen? Vor der Präsidentenwahl in der Ukraine im kommenden Jahr lässt der Kiewer Bürgermeister weiter offen, ob er als Kandidat antreten wird. Es gehe heute um das Überleben der Ukraine und nicht darum, wer das Land regiert, sagte er. Das Land müsse geeint stehen.

Auf die Frage, warum es etwa keinen Schulterschluss mit Selenskyj gibt, sagt Klitschko nach kurzem Zögern: »Ich mache meine Arbeit. Ich bin bereit: Meine Schulter ist immer bereit für jeden Patrioten, für jeden Verteidiger.« Klitschko und Selenskyj gehören unterschiedlichen Parteien an. »Schulter an Schulter, das schaffen wir nicht. Das passt von der Größe her nicht - das ist ein Witz«, sagte Klitschko mit einem Lachen. Zwischen ihm und dem 1,70 Meter großen Selenskyj liegen gut 30 Zentimeter Unterschied.

Aber traut er sich dennoch zu, das Land zu führen? »Das ist eine provokative Frage, jetzt im Moment denke ich nicht darüber nach«, sagt er - schiebt jedoch nach: »Aber wenn das Land mich braucht, dann habe ich keine andere Wahl.«

© dpa-infocom, dpa:230222-99-699331/3