Europa muss nach Überzeugung des ehemaligen grünen Außenministers Joschka Fischer schnell »abschreckungsfähig werden, damit jeder potenzielle Aggressor nicht mal dran denkt, uns anzugreifen«. Es sei jetzt nicht die Zeit, auf ausgeglichene Haushalte zu setzen. »Wir müssen abschreckungsfähig, wir müssen verteidigungsfähig werden«, forderte der 75-Jährige beim Literaturfestival Lit.Cologne in Köln.
Schon Anfang November könne sich Europa im Osten dem revisionistischen, nach Weltmacht strebenden Russland und im Westen einem isolationistischen Amerika unter Donald Trump gegenübersehen. »Das ist eine sehr, sehr ungemütliche - wenn ich das mal verharmlosend so nennen darf - strategische Situation, in der wir uns dann befinden würden. Sind wir in der Lage, uns selbst zu schützen als Europäer? Ich sage Ihnen ganz ehrlich meine Überzeugung: Wir sind es zum momentanen Zeitpunkt nicht. Wir müssen alles tun, damit wir es werden.«
Fischer: »Zeiten haben sich dramatisch geändert«
Er hätte nie gedacht, dass er eines Tages solche Sätze von sich geben würde, sagte Fischer. Aber: »Die Zeiten haben sich dramatisch geändert.« Zur derzeitigen Diskussion über die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus an die Ukraine sagte der Ex-Politiker, es empfehle sich nicht, endlos öffentlich darüber zu debattieren, denn das werde den russischen Präsidenten Wladimir Putin wenig beeindrucken. »Man muss es machen oder nicht, aber nicht lange diskutieren«, sagte er. »Machen Sie sich keine Illusionen: Wenn die Ukraine ihre Unabhängigkeit nicht bewahren kann, hört Putin nicht auf. Appeasement ist keine Option, sondern es wird weitergehen, nur mit dem Unterschied, es kommt immer näher an unsere Ostgrenze. Insofern sind wir in einer sehr gefährlichen Situation.«
Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler sagte in der Gesprächsrunde, wenn es Putin gelingen sollte, den Ukraine-Krieg mit einem Sieg oder einem Diktatfrieden zu beenden, dann werde das zu einem Massenexodus aus dem Land mit fünf bis zehn Millionen Flüchtlingen führen. Es sei auffällig, dass die Parteien, die in Deutschland die Militärhilfe für die Ukraine stoppen wollten - die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht - gleichzeitig die seien, die keine Flüchtlinge wollten. »Das ist ein struktureller Widerspruch.«
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