Im Juli 2012 als Zeltlager für einige Dutzend Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien gegründet, hat sich Saatari zu einer Containerstadt entwickelt, in der heute rund 80.000 Menschen leben. Damit hat das zum Dauer-Provisorium gewordene Flüchtlingslager etwa so viele Einwohner wie die Stadt Bamberg. Eine Rückkehr-Perspektive für die insgesamt rund 1,3 Millionen Syrer, die vor Folter und Krieg nach Jordanien geflüchtet sind, ist derzeit nicht zu erkennen.
Mit ihren Krücken humpelt Howeida al-Jakub über die staubigen Wege zwischen den Wohncontainern. Die 40-Jährige lebt mit ihrem Ehemann und drei Kindern seit 2013 in Saatari, dem größten Flüchtlingslager für Syrer. Deutschland hat hier eine große Solaranlage aufgebaut. Die Kinder gehen in die Schule. Im Libanon, wo viele syrische Flüchtlingskinder keine Schule besuchen, ist die Situation noch schlimmer. Aus Sicht der deutschen Entwicklungshilfe ist Saatari also insgesamt ein Ort, an dem Vieles richtig gemacht wurde.
Doch die Familie von Howeida al-Jakub will trotzdem weg von hier. Europa ist ihr Traum. Die zwölfjährige Tochter Bisan, die in den Schulferien gerne Fußball spielt, träumt davon eines Tages Ärztin zu werden. Ihre krebskranke Mutter hofft auf eine modere Prothese. Ihr musste 2018 ein Bein amputiert werden. Seitdem ist sie im Alltag stark auf ihren drei Jahre jüngeren Mann, Tarek al-Hawandah, angewiesen. In Syrien, wo er mit seiner Familie ein winziges Haus bewohnte, arbeitete er als Tagelöhner. Jetzt leben sie zu fünft auf 15 Quadratmetern.
Die meisten Flüchtlinge gehen in Nachbarländer
In Deutschland werde, wenn über die Belastung der Kommunen durch die Aufnahme von Flüchtlingen gesprochen werde, oft vergessen, dass drei Viertel aller Flüchtlinge weltweit in Nachbarländern aufgenommen würden, sagt Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze. Sie spricht mit einer jungen Familie in einem der Wohncontainer. Eigentlich muss ihre Delegation weiter, so sieht es das Programm vor. Doch Howeida al-Jakub kann die SPD-Politikerin überzeugen, sich in einem klimatisierten Container noch rasch die Handarbeiten anzuschauen, die sie und die anderen Frauen angefertigt haben: Bestickte Kissenbezüge, Taschen, Puppen mit Haaren aus Wollfäden.
Jordanien, das nach den Nahost-Kriegen von 1948 und 1967 Hunderttausende palästinensischer Flüchtlinge aufgenommen hatte, leidet unter Wasserknappheit und hat eine Arbeitslosenquote von mehr als 22 Prozent. Auch deshalb hat König Abdullah II. auf Spekulationen über eine mögliche Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus den Palästinensergebieten ablehnend reagiert. Auch dass die gewaltsamen Übergriffe radikaler jüdischer Siedler auf Palästinenser im Westjordanland nach dem Blutbad der Hamas in Israel am 7. Oktober zugenommen haben, beobachtet man auch daher im angrenzenden Jordanien mit großer Sorge.
Nur die Ärmsten der Armen
In Saatari leben nur die Ärmsten der Armen unter den Flüchtlingen. 81 Prozent der syrischen Flüchtlinge, die Jordanien aufgenommen hat, halten sich mit Jobs über Wasser. In der Hauptstadt sieht man an den Kreuzungen oft bettelnde Kinder.
Aufgrund der vielen Krisen weltweit sei das Geld, das für die Versorgung der Flüchtlinge in Jordanien bleibe, zuletzt immer weniger geworden, berichtet Roland Schönbauer vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Dadurch wachse die Verzweiflung und immer mehr Menschen versuchten, irgendwie nach Europa zu gelangen, oft mit Schleuserbooten über das Mittelmeer. Von Jordanien aus führe der Weg oft via Ägypten nach Libyen. Die jungen Menschen wüssten, dass sie auf dem Mittelmeer ihr Leben riskierten, deshalb sei es wichtig, dass sie nicht in eine Situation gerieten, wo sie denken »jetzt ist mir alles egal, ich riskiere es«.
Tarek al-Hawandah hat einen Bruder, der es von Syrien nach Großbritannien geschafft hat. Dort gehe es ihm deutlich besser als ihm selbst hier im Flüchtlingslager, sagt er. Doch das mit dem Familiennachzug habe für den Bruder nicht so funktioniert wie erwartet. Seine Frau und die Kinder warteten nun schon mehr als drei Jahre auf eine Möglichkeit, ihm zu folgen.
Pro Monat gehen etwa 350 Menschen aus Saatari zurück nach Syrien, sagt der UNHCR-Sprecher. Was aus ihnen wird, erfährt man selten. Für Al-Hawandah ist das keine Option, sagt er. »Mein Haus ist zerstört, ich müsste zur Armee und eine Prothese für meine Frau würde es dort auch nicht geben.«
© dpa-infocom, dpa:231106-99-842141/3