Die Bundesregierung sieht 33 Jahre nach der deutschen Vereinigung große Fortschritte beim Zusammenwachsen des Landes, aber auch weiteren Handlungsbedarf. »Strukturelle Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland konnten abgebaut werden, teilweise sind sie verschwunden«, heißt es in dem veröffentlichten Bericht zum Stand der Deutschen Einheit.
»Dennoch bewerten viele Ost- und Westdeutsche die Lage des Landes unterschiedlich.« Brüche und Konflikte würden Regierung und Bürger noch lange beschäftigen.
Starke Annäherung
Der regelmäßig vorgelegte Bericht ist eine Bestandsaufnahme mit zahlreichen Statistiken nicht nur zu Wirtschaftskraft oder Löhnen, sondern auch zu den Lebensverhältnissen. Alle wichtigen Punkte haben sich seit der Vereinigung der damaligen BRD mit der DDR am 3. Oktober 1990 stark angenähert.
Dazu zählt zum Beispiel die Lebenserwartung, die 1990 im Osten noch zwei bis drei Jahre niedriger lag als im Westen. Bei Frauen sei der Unterschied seit den 2000er Jahren kaum noch sichtbar, heißt es in dem vom Ostbeauftragten Carsten Schneider präsentierten Bericht. Bei Männern bleibe jedoch eine Lücke.
Auch sei die Lebenserwartung während der Corona-Pandemie im Osten stärker zurückgegangen als im Westen, so dass Unterschiede teils wieder gewachsen seien.
Eine Kluft bleibt trotz Angleichung auch bei Wirtschaftskraft und Löhnen. So lag das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner 2022 in Ostdeutschland bei 79 Prozent des Wertes im Westen. Der durchschnittliche Jahresbruttolohn im Osten betrug im Jahr 2022 mit 34.841 Euro etwa 86 Prozent des Westniveaus.
Schneider wollte neben dem üblichen Ost-West-Vergleich diesmal auch gemeinsame Trends herausarbeiten - etwa das Stadt-Land-Gefälle in beiden Landesteilen. Die Herausforderungen und Bedürfnisse auf dem Lande im Osten seien oft den ländlichen Räumen im Westen näher als den Großstädten im Osten, hält der Bericht fest.
Bartsch: Ost-West-Unterschiede wie einbetoniert
Die Linke verlangt mehr Anstrengungen für bessere Löhne und Lebensbedingungen in Ostdeutschland. »Die Unterschiede zwischen Ost und West sind wie einbetoniert«, kritisierte Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch vor der Veröffentlichung des Berichts zum Stand der Deutschen Einheit. »Es bewegt sich viel zu wenig. Die Ampel tut objektiv alles dafür, dass Wut und Unzufriedenheit im Osten anwachsen.«
Bartsch nannte Schneiders Bericht »ein bitteres Zwischenzeugnis für die Arbeit der Bundesregierung« und vergab die Note »mangelhaft«. Die Ostdeutschland-Politik der Ampel-Koalition sei nicht besser als die der Vorgängerregierung. Schneider müsse mehr Druck auf die Bundesregierung und den Kanzler ausüben, meinte Bartsch.
Tiefensee: Ost-West-Angleichung dauert noch 10 bis 20 Jahre
Die wirtschaftliche Angleichung von Ost- und Westdeutschland wird aus Sicht des thüringischen Wirtschaftsministers Wolfgang Tiefensee noch weitere Jahrzehnte dauern. »Wir brauchen noch bestimmt 10, 20 Jahre, bis die Verhältnisse wirklich so angeglichen sind, dass wir von einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse reden können«, sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk.
Bisher sei der Aufbau Ost eine »einmalige Erfolgsstory«, betonte Tiefensee, früher Oberbürgermeister von Leipzig und Bundesverkehrsminister. Aber: »Es ist noch eine Menge zu tun.«
Er nannte die oft niedrigen Renten und Löhne in Ostdeutschland und mögliche Altersarmut, aber auch die schwächeren Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die kleinteilige Wirtschaft und die Abwanderung. »Alles das muss zielgenau angegangen werden«, sagte Tiefensee.
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