Nach dem Rücktritt von Regierungschef Mario Draghi und der angekündigten Neuwahl sind Italiens Parteien sofort in den Wahlkampfmodus übergegangen.
Der Chef der konservativen Forza Italia, der frühere Premierminister Silvio Berlusconi, warf Draghi vor, keine Lust mehr gehabt zu haben. Seine Partei habe ihm angeboten, einen Ausweg aus der Regierungskrise zu suchen, doch der Ex-Chef der Europäischen Zentralbank habe sich nicht davon abbringen lassen. »Und wissen Sie warum? Weil er es, sagen wir, leid war«, sagte der 85-Jährige im Interview des »Corriere della Sera«. Die Neuwahl war am Donnerstag für den 25. September angekündigt worden.
Matteo Salvinis rechte Partei Lega blickte derweil siegessicher auf die bevorstehende Abstimmung. Der frühere Innenminister machte sich am Freitag für eine bessere Kontrolle der Einwanderung stark. Die populistische Fünf-Sterne-Bewegung wiederum will sich nun als Fortschrittspartei neu aufstellen. Das basiere auf einem Programm, das anders als das der Rechten sei. Es enthalte nur wenige Punkte wie einen Mindestlohn und den ökologischen Wandel, erklärte Sterne-Politiker Carlo Sibilia auf Twitter.
Umfragen sieht rechtsextreme Partei vorne
Nach aktuellen Umfragen könnte Italien ein Rechtsruck drohen. Momentan hat die rechtsextreme Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) die Nase vorn. Zusammen mit der Lega und der Forza Italia könnte es unter Umständen für eine Mehrheit im Parlament reichen. Die drittgrößte Volkswirtschaft in Europa würde dann von einer nicht gerade EU-freundlichen Regierung gelenkt. Bis die Nachfolge jedoch feststeht, amtiert Draghis Kabinett weiter und wird wohl versuchen, fällige Reformen voranzutreiben.
Die politische Krise in Italien hatte sich am Mittwoch deutlich zugespitzt. Draghi berichtete am Mittwoch im Senat - der kleineren der beiden Parlamentskammern - über die politische Situation. So wollte es Staatschef Sergio Mattarella, der ein Rücktrittsgesuch des 74-Jährigen in der vorigen Woche abgelehnt hatte. Dann kam es zur Vertrauensabstimmung. Draghis Regierungsparteien Forza Italia, Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung gaben keine Stimme ab und sprachen dem parteilosen Banker damit nicht das von ihm geforderte Vertrauen aus.
Am Donnerstag gab Draghi in der größeren Abgeordnetenkammer bekannt, erneut zurücktreten zu wollen. Präsident Mattarella akzeptierte das Angebot diesmal und leitete die vorgezogene Wahl ein. »Wir haben keine Schuld daran, was passiert ist«, sagte Berlusconi dem »Corriere«. Draghi hätte aus seiner Sicht nicht zurücktreten müssen, denn Forza Italia habe bei einer Vertrauensabstimmung im Senat nicht gegen ihn gestimmt, sondern sich der Stimme enthalten. Im Parlament wechselten erste Politiker aus Unmut über das Verhalten ihrer Parteien die Seiten. Aus Berlusconis Forza Italia traten mit zwei Ministerinnen und einem Minister bislang drei Spitzenpolitiker aus.
Interview im »Corriere della Sera« (Italienisch)
Beitrag Mariastella Gelmini (Italienisch)
Sammlung von Tweets zur Regierungskrise (Italienisch)
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