Israels rechts-religiöse Regierung treibt ihre umstrittenen Pläne zum Umbau der Justiz weiter voran und heizt damit die Proteste im Land massiv an. In der Nacht billigte das Parlament nach stundenlangen Debatten einen Gesetzentwurf der Justizreform in der ersten von drei Lesungen. Wenige Stunden später strömten Zehntausende wütende Israelis zu einem »Tag der Störung« auf die Straßen. Ihr Ziel: Das Land lahmlegen.
Mit Fackeln, Flaggen und Protestschildern zogen sie lautstark durch Städte wie Tel Aviv, Jerusalem und Haifa. Die Polizei setzte landesweit Wasserwerfer und Beamte auf Pferden ein, um die Mengen auseinanderzutreiben. Dutzende Menschen wurden teils gewaltsam festgenommen, wie auf Videos zu sehen war. Vereinzelt kam es zu heftigen Konfrontationen. Mehrere Demonstranten sowie ein Polizist wurden Medien zufolge verletzt. Am Nachmittag versammelten sich mehr als 10.000 Menschen am internationalen Flughafen Ben Gurion. Am Abend zogen anschließend Zehntausende ins Zentrum der Küstenstadt Tel Aviv. In der Hauptstadt Jerusalem demonstrierten laut Medienberichten Tausende Israelis unter anderem vor dem Parlamentsgebäude.
Vorhaben spaltet die Gesellschaft
Der jüngste Gesetzentwurf ist nur ein Teil des umfassenden Vorhabens. Er sieht ein Ende der sogenannten Angemessenheitsklausel vor. Damit kann das Höchste Gericht Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister künftig nicht mehr als »unangemessen« bewerten. In der Vergangenheit hatte das Gericht von der Klausel regelmäßig Gebrauch gemacht.
Anfang des Jahres etwa hatte es die Ernennung des Vorsitzenden der Schas-Partei, Arie Deri, zum Innenminister wegen dessen krimineller Vergangenheit als »unangemessen« eingestuft. Daraufhin musste Netanjahu seinen Vertrauten entlassen. Beobachter befürchten, dass ein Ende der Klausel Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung hochrangiger Posten begünstigen könnte.
Sorge vor härterem Vorgehen der Polizei
Die Proteste wurden überschattet von der Sorge vor einem härteren Vorgehen durch die Polizei gegen die Demonstrierenden. Mehrere Minister hatten dies mehrfach gefordert. Bildungsminister Joav Kisch sprach von »Terrorismus, dem man sich nicht beugen darf«.
Vergangene Woche war der Polizeichef von Tel Aviv zurückgetreten, weil er sich weigerte, härter durchzugreifen. »Ich bezahle den Preis dafür, einen Bürgerkrieg vermeiden zu wollen«, sagte er danach. Medienberichten zufolge deutet sich seither eine Tendenz zu mehr Festnahmen und Verletzten an.
Rufe nach Deeskalation
Israels Präsident Izchak Herzog rief indes alle Parteien zur Deeskalation und zum Dialog auf. »Wir befinden uns am Höhepunkt einer tiefen, besorgniserregenden Krise.« Familien würden auseinandergerissen, Nachbarn und Freunde zu Rivalen und Feinden.
Der Vorsitzende des Dachverbands der Gewerkschaften (Histadrut) forderte von Netanjahu, das »wahnsinnige Chaos« zu beenden. »Wenn die Situation ein Extrem erreicht und alle anderen Wege ausgeschöpft sind, werden wir eingreifen und unsere Macht nutzen«, drohte Arnon Bar-David in Tel Aviv.
Die Histadrut mit rund 800 000 Mitgliedern hatte Ende März wegen einer kurzzeitlichen Entlassung von Verteidigungsminister Joav Galant durch Netanjahu zu einem Generalstreik aufgerufen. Galant hatte zuvor das Vorgehen beim Umbau der Justiz öffentlich kritisiert. Netanjahu setzte damals das Vorhaben aus, Galants Entlassung wurde später rückgängig gemacht.
Kein Ende in Sicht
Monatelange Gespräche über einen Kompromiss unter Vermittlung von Herzog zwischen Regierung und Opposition blieben anschließend jedoch erfolglos. Sie wurden nach einem Streit mit der Koalition von der Opposition vor rund drei Wochen beendet. Die Oppositionsführer Jair Lapid und Benny Gantz zeigten sich zuletzt zwar wieder gesprächsbereit. Die Voraussetzung: Ein erneuter Stopp der Reform. Medienberichten zufolge erteilte Netanjahu dem jedoch eine Absage.
Ein Kernstück der Reform - eine Änderung bei der Richterbesetzung - will die Regierung Medienberichten zufolge bereits in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda setzen. Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir schrieb nach der Abstimmung dazu auf Twitter: »Wir haben begonnen«.
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