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Israel: Hunderttausende demonstrieren gegen Justizreform

Die Justizreform in Israel schreitet trotz heftiger Proteste großer Teile der Bevölkerung voran. Der Konflikt wird zunehmend härter ausgetragen. Es besteht große Sorge um die Zukunft der Demokratie.

Massenprotest in Tel Aviv
Allein in Tel Aviv gingen rund 160.000 Menschen auf die Straße. Foto: Tsafrir Abayov
Allein in Tel Aviv gingen rund 160.000 Menschen auf die Straße.
Foto: Tsafrir Abayov

Rund eine Viertelmillion Menschen sind in mehreren Städten Israels als Protest gegen die umstrittene Justizreform auf die Straße gegangen. In der Küstenmetropole Tel Aviv kam es den neunten Samstagabend in Folge zu einer Großkundgebung. Nach Medienberichten nahmen daran rund 160.000 Menschen teil. Es sei nach Polizeischätzungen die größte Demonstration seit Beginn der Proteste gewesen, schrieb die Zeitung »Haaretz« am Sonntag.

Rund 200 Demonstranten durchbrachen nach Polizeiangaben in Tel Aviv eine Sperre und blockierten die zentrale Verbindungsstraße nach Jerusalem. Es sei ein Wasserwerfer eingesetzt worden. Laut Medienberichten kam es zu Festnahmen. Bei einem Protest in Tel Aviv am Mittwoch war es bereits zu heftigen Konfrontationen gekommen, mehrere Demonstranten erlitten Verletzungen. Es gab Beschwerden über übertriebene Polizeigewalt.

Erste Phase bereits April abgeschlossen?

Die Justizreform schreitet trotz heftiger Proteste großer Teile der Bevölkerung immer weiter voran. Nach Medienberichten könnte die erste Phase im Schnellverfahren bis April abgesegnet werden. Nach Plänen der rechts-religiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu soll es dem Parlament künftig möglich sein, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Außerdem sollen Politiker bei der Ernennung von Richtern mehr Einfluss erhalten.

Das Gesetzesvorhaben könnte dem Regierungschef auch in einem Korruptionsprozess in die Hände spielen, der bereits seit längerer Zeit gegen ihn läuft. Netanjahu hatte am Mittwoch für Empörung gesorgt, als er einen Vergleich zwischen den Demonstranten gegen die Reform und gewalttätigen Siedlern zog, die nach einem Anschlag in der palästinensischen Stadt Huwara schwere Zerstörungen angerichtet hatten.

Kritiker sehen durch die Reform die Gewaltenteilung in Gefahr. Sie warnen, dass sich Israel in eine Diktatur verwandeln könnte. Die Regierung argumentiert dagegen, das Höchste Gericht übe derzeit zuviel politischen Einfluss aus.

Unterdrückung von Frauen befürchtet

Bei den Demonstrationen gegen die Reform sind immer wieder Frauen in langen roten Mänteln und weißen Hauben zu sehen, die sich als Figuren aus der Fernsehserie »The Handmaid's Tale« verkleidet haben. Das erstmals 1985 veröffentlichte Buch »Der Report der Magd« von Margaret Atwood ist eine dystopische Geschichte über eine Diktatur, in der vor allem Frauen unterdrückt werden. Die Demonstrantinnen drücken mit der Verkleidung ihre Angst davor aus, Israel könnte im Zuge der Schwächung der Justiz politisch in eine solche Richtung gehen.

Polizeiminister Itamar Ben-Gvir und andere Regierungsvertreter verunglimpften die Demonstranten als »Anarchisten«. Netanjahus Sohn Jair beschimpfte sie sogar als »Terroristen«, nachdem es in Tel Aviv Proteste vor einem Friseursalon gegeben hatte, in dem seine Mutter Sara sich die Haare färben ließ.

Dabei ist auffällig, wie stark die Demonstranten bei ihren Protesten klassische staatliche Symbole Israels verwenden, etwa die blau-weiße Nationalflagge. Am Samstagabend sangen die Demonstranten in Tel Aviv auch gemeinsam die israelische Nationalhymne »Hatikva« - die Hoffnung. Darin wird die Hoffnung der Juden beschworen, »ein freies Volk in unserem Land« zu sein. Viele der Demonstranten gehören zu der Bevölkerungsgruppe, die in Israel oft als »Salz der Erde« beschrieben wird - Piloten, Ärzte, IT-Unternehmer.

Widerstand auch im Militär

Auch im israelischen Militär regt sich Widerstand gegen die Justizreform. 37 der 40 Kampfpiloten des Jagdgeschwaders 69 hätten sich geweigert, ihr Reservetraining anzutreten, berichteten israelische Medien am Sonntag. Sie wollten stattdessen diese Woche vor Regierungseinrichtungen gegen die Reform protestieren. Auch Reservisten anderer Einheiten drohten, den Dienst zu verweigern, sollte der Vorstoß umgesetzt werden.

Harte Kritik an Netanjahu gab es auch von Veteranen der Elite-Einheit Sajeret Matkal, in der auch der heute 73-Jährige gedient hatte. In einem offenen Brief schrieben die Veteranen, Netanjahus Bruder Jonatan habe 1976 bei einem Rettungseinsatz der Einheit auf dem Flughafen Entebbe in Uganda bewusst sein eigenes Leben für den Staat und das Volk Israels geopfert. Das Team hatte damals israelische Passagiere eines entführen Air-France-Flugzeugs gerettet. »Es ist traurig, aber Du, Bibi (Spitzname Netanjahus), opferst bewusst und mit offenen Augen den Staat und das Volk Israels für Deine eigenen Interessen«, hieß es in dem Brief.

© dpa-infocom, dpa:230305-99-836934/5