Vor einer möglichen Bodenoffensive im Gazastreifen hat Israel die Grenzorte am Rande des Palästinensergebiets fast vollständig evakuiert. Man habe fast alle Einwohner der Grenzorte in sicherere Gebiete gebracht, sagte der israelische Militärsprecher Daniel Hagari am Dienstag. »Es gibt einige wenige Menschen, die bleiben wollten, oder die in den Orten gebraucht werden« sagte er.
Die Grenze zum Gazastreifen sei wieder gesichert. Er sprach von einer »eisernen Mauer« mit Schutz durch Panzer und Luftwaffe. Jeder Palästinenser, der sich der Sperranlage mit Israel nähere, werde erschossen.
»Wir konzentrieren uns jetzt auf unsere Offensive im Gazastreifen«, sagte Armeesprächer Richard Hecht. Die Armee hatte binnen 48 Stunden rund 300.000 Reservisten mobilisiert - die größte Mobilisierung in der Geschichte des Landes. An der Grenze richtete das Militär seinen Angaben zufolge auch eine »Infrastruktur für künftige Operationen« ein.
Derweil bombardierte die israelische Armee nach eigenen Angaben in der Nacht mehr als 200 Terrorziele. Unter anderem seien ein Waffenlager der Palästinenserorganisation Hamas und Einrichtungen der militanten Palästinensergruppe Islamischer Dschihad angegriffen worden.
Deutschland, die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien versicherten dem angegriffenen Land gemeinsam ihre Solidarität. Zusammen würden »unsere unerschütterliche und vereinte Unterstützung« für Israel zum Ausdruck gebracht »und die Hamas und ihre schrecklichen Terrorakte unmissverständlich« verurteilt, hieß es in einer in der Nacht veröffentlichten Mitteilung der Bundesregierung.
150 israelische Geiseln verschleppt
Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb auf X (ehemals Twitter): »Unsere 5 Länder werden sicherstellen, dass Israel sich und seine Bürger gegen die abscheulichen Angriffe verteidigen kann.« Die Hamas drohte unterdessen, für jeden von Israel ausgeführten Angriff eine zivile Geisel hinzurichten, wie ein Sprecher sagte. Sie hatte rund 150 israelische Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Darunter sind auch Bürger mehrerer westlicher Staaten, darunter eine Deutsche.
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, äußerte Entsetzen über Berichte, wonach militante Palästinenser entführte israelische Geiseln im Gazastreifen misshandeln. Einige Menschen seien wie Trophäen zur Schau gestellt worden, sagte eine Sprecherin des UN-Menschenrechtsbüros in Genf. »Ich rufe die bewaffneten palästinensischen Gruppen auf, alle Zivilisten, die gefangen genommen wurden, sofort und bedingungslos freizulassen«, teilte Türk mit. »Geiseln nehmen ist nach dem internationalen Völkerrecht verboten.«
Israels Armee nahm eigenen Angaben zufolge Hunderte Hamas-Mitglieder in Gefangenschaft. Die von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestufte Hamas teilte dem arabischen Sender Al-Dschasira mit, die Gruppe sei offen für Vermittlungen. Schon zuvor hatte die islamistische Organisation einen Gefangenenaustausch sowie die Freilassung von 36 inhaftierten Palästinenserinnen in Israel für die Übergabe von älteren entführten Israelinnen gefordert.
Beim am Wochenende begonnenen Angriff der Hamas-Terroristen wurden mindestens 900 Menschen getötet und 2600 Menschen verletzt. Unter den Toten befänden sich auch mindestens elf amerikanische Staatsbürger, erklärte US-Präsident Joe Biden auf der Plattform X.
Die Terroristen waren in israelische Orte eingedrungen und erschossen Männer, Frauen und Kinder und verschleppten andere in den Gazastreifen. Bei den massiven israelischen Gegenschlägen wurden im Gazastreifen nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums mindestens 687 Menschen getötet und mehr als 3800 verletzt. Unbestätigten Medienberichten zufolge sollen sich die Leichen von rund 1500 palästinensischen Terroristen auf israelischem Gebiet befinden. Derzeit dringen keine Terroristen mehr in Israel ein, wie es unter Berufung auf einen israelischen Militärsprecher hieß.
Für die rund zwei Millionen überwiegend armen Bewohner des äußerst dicht besiedelten Gazastreifens dürfte sich die Lage mit der kompletten Abriegelung durch Israel nun weiter verschlechtern. Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant sagte: »Es wird keinen Strom, keine Lebensmittel und keinen Treibstoff geben.« Deutschland, die EU und andere Staaten teilten mit, sie setzten Hilfen für die palästinensische Bevölkerung angesichts des Hamas-Terrors zunächst aus. Die deutschen Programme würden umfassend und mit offenem Ausgang überprüft, sagte eine Sprecherin des Entwicklungsministeriums in Berlin.
© dpa-infocom, dpa:231010-99-507356/10