Israels Verteidigungsminister Joav Galant hat vor seiner Abreise in die USA bekräftigt, sein Land sei »auf jeden Einsatz vorbereitet, der erforderlich sein könnte, im Gazastreifen, im Libanon und in anderen Gebieten«. Es wird befürchtet, dass ein offener Krieg zwischen Israel und dem Libanon sich zu einem regionalen Konflikt ausweiten könnte, in den auch die USA als wichtigster Verbündeter Israels hineingezogen würden.
Angesichts der wachsenden Sorgen vor einer Eskalation des Konflikts reist Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in dieser Woche zu Gesprächen nach Israel und in den Libanon.
Bericht: USA garantieren Israel Hilfe im Kriegsfall
Galant reist auf Einladung seines Amtskollegen Lloyd Austin in die Vereinigten Staaten. Er wollte neben Austin auch US-Außenminister Antony Blinken treffen. »Unsere Beziehungen mit den USA sind wichtiger denn je. Unsere Treffen mit US-Repräsentanten sind entscheidend in diesem Krieg«, teilte Galant nach Angaben seines Büros mit.
Der US-Sender CNN hatte berichtet, ranghohe US-Repräsentanten hätten Mitgliedern einer israelischen Delegation versichert, dass die USA Israel volle Rückendeckung geben würden, sollte ein größerer Krieg mit der Hisbollah ausbrechen.
Seit mehr als acht Monaten beschießen sich Israel und die Hisbollah ständig. Zuletzt nahm die Intensität der Gefechte deutlich zu. Die Hisbollah griff am Sonntag mehrere Ziele in Israel an, darunter nach Medienberichten im Bereich einer Einrichtung des israelischen Rüstungsunternehmens Rafael im Norden des Landes. Die Raketenabwehr konnte die Drohne demnach abfangen.
Netanjahu wiederholt Vorwürfe gegen US-Regierung
Galants US-Reise erfolgt, nachdem Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu mit einem Video, in dem er die US-Regierung wegen einer zurückgehaltenen Waffenlieferung mit harschen Worten angegriffen hatte, für eine erneute Krise in den Beziehungen zur US-Regierung von Präsident Joe Biden gesorgt hatte.
Netanjahu bekräftigte seine Vorwürfe bei der wöchentlichen Kabinettssitzung. Vor etwa vier Monaten habe es »einen dramatischen Rückgang der Waffenlieferungen aus den USA nach Israel« gegeben, sagte er. Nachdem die Lage sich monatelang nicht verändert habe, sei er damit an die Öffentlichkeit gegangen.
Massenproteste in Israel gegen Netanjahu
Zehntausende Israelis forderten am Samstagabend bei landesweiten Protesten ein Ende der Regierung Netanjahus und die Freilassung der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln. »Lebendig, lebendig - und nicht in Leichensäcken«, skandierten Demonstranten in Tel Aviv.
Die Organisatoren sprachen von rund 150.000 Teilnehmern. Es sei die größte Demonstration in Tel Aviv seit dem Terrorüberfall der islamistischen Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel gewesen. Auch in Jerusalem, Haifa und anderen Orten gab es Massenproteste gegen die Führung von Netanjahu.
Juval Diskin, ehemaliger Leiter des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, bezeichnete Netanjahu bei der Kundgebung in Tel Aviv als »den schlimmsten und am meisten gescheiterten Ministerpräsidenten in der Geschichte des Staates«. Diskin warf der Regierung ein verfehltes Kriegsmanagement, »die Lüge vom «totalen Sieg», die totale Flucht vor der Verantwortung« und die »Zerstörung unserer strategischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten« vor. Netanjahus Regierung verpasse »jede Gelegenheit zur Rückführung unserer entführten Brüder und Schwestern«.
Das »Wall Street Journal« hatte jüngst berichtet, dass die Zahl der noch lebenden Entführten bei nur etwa 50 liegen könnte. Offiziell befinden sich noch rund 120 Geiseln in Gaza.
Zunehmende Polizeigewalt gegen Demonstranten
Bei den Massenprotesten gegen Netanjahus Regierung in Tel Aviv kam es zu Rangeleien mit der Polizei, mehrere Personen seien festgenommen worden. Polizeiminister ist der rechtsextreme Politiker Itamar Ben-Gvir. Berittene Beamte hätten versucht, mit ihren Pferden einige der Demonstranten auseinanderzutreiben. Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Polizist eine Fernsehjournalistin mit Gewalt zur Seite stößt.
Die Gewalt der Polizei bei den Demonstrationen habe »alle Grenzen überschritten«, wetterte der neue Vorsitzende der oppositionellen Arbeitspartei, Jair Golan, auf der Plattform X. Die Polizei dürfe nicht »zu einem Werkzeug in den Händen der korrupten und gescheiterten Regierung« werden, schrieb er.
Seit Monaten laufen Bemühungen der Vermittler USA, Katar und Ägypten, Israel zu einer Waffenruhe und die Hamas zur Freilassung der Verschleppten im Austausch gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen zu bewegen - bisher ohne Erfolg. Netanjahu und Blinken werfen der Hamas eine unnachgiebige Haltung vor und machen sie für die Stagnation bei den indirekten Verhandlungen verantwortlich. Die Hamas wiederum sieht Israel in der Pflicht. Die Hauptforderungen der Islamisten sind ein sofortiger Waffenstillstand sowie ein vollständiger Rückzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen.
Hamas: Mindestens 42 Tote bei israelischen Angriffen im Gazastreifen
Bei zwei israelischen Luftangriffen im Gazastreifen wurden am Samstag nach Angaben der islamistischen Terrororganisation Hamas mindestens 42 Menschen getötet. Es seien Wohnhäuser getroffen worden, hieß es. Israels Armeesender berichtete, Ziel eines der Angriffe in dem Flüchtlingslager Al-Schati westlich von Gaza-Stadt sei Raed Saad gewesen, ein ranghoher Kommandeur des militärischen Arms der Hamas. Es blieb jedoch auch am Sonntag unklar, ob dieser wirklich getötet wurde.
USA ziehen Flugzeugträger »Eisenhower« aus Rotem Meer ab
Nach einem mehrmonatigen Einsatz als Reaktion auf den Hamas-Angriff gegen Israel haben die USA den Flugzeugträger »Dwight D. Eisenhower« aus dem Roten Meer abgezogen. Das Schiff und der dazugehörige Verband befänden sich auf dem Rückweg in die USA, teilte das Regionalkommando Centcom mit. Ersetzt werde die »Eisenhower« durch den Flugzeugträger »Theodore Roosevelt« und dessen Verband, der in der kommenden Woche in der Region ankommen soll.
Der Einsatz erfolgt im Rahmen der multinationalen Sicherheitsinitiative »Operation Prosperity Guardian«. Sie soll die Sicherheit und die freie Schifffahrt im Roten Meer und Golf von Aden sicherstellen. Dort verläuft eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten für den Welthandel. In den vergangenen Monaten hat die Huthi-Miliz im Jemen dort immer wieder zivile Frachtschiffe attackiert. Die Miliz agiert nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der Hamas in Gaza.
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