»Es tut mir leid, es tut mir wirklich leid«, sagt Jennifer W. Die junge Frau kämpft am Montag vor dem Oberlandesgericht (OLG) München mit den Tränen. Sie nutzt das letzte Wort, das ihr als Angeklagter zusteht, um sich sehr wortreich und minutenlang zu erklären. »Ich weiß, dass ich das absolut nicht gutmachen kann und dass man die Zeit nicht zurückdrehen kann.«
Vor dem OLG neigt sich der Prozess gegen die inzwischen 32-Jährige wegen des grausamen Todes eines kleinen jesidischen Mädchens im Irak dem Ende entgegen. Die Bundesanwaltschaft fordert eine deutlich höhere Haftstrafe für die IS-Rückkehrerin. Bundesanwalt Jochen Weingarten spricht sich am Montag vor dem Oberlandesgericht (OLG) München für eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten aus. Das sind viereinhalb Jahre mehr als das, was das OLG im Oktober 2021 verhängte.
Das hatte die junge Frau aus Lohne in Niedersachsen damals zu zehn Jahren Haft verurteilt - unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge in einem minderschweren Fall. Sie hatte vor Gericht eingeräumt, dabei zugesehen haben, wie ein von ihr und ihrem Ehemann versklavtes jesidisches Mädchen von dem Mann angekettet in praller Mittagssonne starb.
Neue Verhandlung, weitere Geständnisse
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bezweifelte, dass es sich um einen minderschweren Fall handelte und verwies den Fall zu einer neuen Verhandlung über das Strafmaß an einen anderen Senat des OLG zurück. In der neuen Verhandlung gab die Angeklagte außerdem zu, der ebenfalls versklavten Mutter des Mädchens eine Waffe an den Kopf gehalten zu haben, weil sie wollte, dass sie aufhört, um ihr getötetes Kind zu weinen.
Hier liege »sicher kein minderschwerer Fall vor«, sagt Weingarten in seinem Plädoyer, dem sich auch die Nebenklage anschließt, ohne selbst einen konkreten Strafantrag zu stellen. Sie habe die »Sklaverei proaktiv ausgestaltet«, die Frau und ihre kleine Tochter überwacht. »Sie hat die Frondienste selber veranlasst«, sagt der Bundesanwalt.
Und sie habe - aus Angst, ihr Ehemann könne sie anschreien oder gar schubsen - dem kleinen Mädchen nicht geholfen, obwohl ihr das durchaus zuzumuten gewesen wäre. »Sie hat gewusst, dass das Kind leiden wird«, heißt es in dem Plädoyer. »Handlungstreibend ist egoistische Bequemlichkeit.«
Grausame Brutalität
Es handle sich um »einen außergewöhnlichen Fall«, sagt Rechtsanwalt Wolfgang Bendler, der die Mutter des getöteten Mädchens vor Gericht vertritt. Es gehe um Völkermord und »grausame Brutalität gegen ein wehrloses Kind«. »Verzeihen kann sie nicht«, sagt Bendler und zitiert die Mutter: »Sie haben mein Kind vor meinen Augen getötet. Ich werde das nicht akzeptieren.«
Die Angeklagte sagt: »Es kommt nicht so rüber, dass meine Reue wirklich ehrlich ist«, Sie schaffe es nicht, das in Worte zu fassen, sagt W., die in ihrem ersten Verfahren vor dem OLG weitgehend geschwiegen hatte, in ihrem letzten Wort und schluchzt dabei. Sie wolle der Frau, die von der Angeklagten und ihrem Mann, einem IS-Anhänger, wochenlang als Sklavin gehalten wurde, gerne finanzielle Unterstützung anbieten - »sobald ich das kann«.
Sie wünsche der Frau, dass sie sich nun in Deutschland sicher fühlt. »Ich wünsch mir einfach für ihre Zukunft, dass sie es schafft mit Therapien zumindest teilweise ein normales Leben zu führen«, sagte die Angeklagte. »Ich glaub zwar nicht, dass das möglich ist, aber ich wünsche es ihr von Herzen, dass sie es irgendwie schafft mit ihrem Sohn neu anzufangen.«
Angeblich aus Angst vor Strafe
Sie habe sich »falsch verhalten im vorigen Verfahren«, sagt die 32-Jährige, die selbst Mutter einer Tochter ist, nun. »Ich wollte es einfach nicht wahrhaben.« Sie habe Angst gehabt vor der Strafe, aber nun wolle sie zu dem stehen, was sie getan habe. Es sei »wahrscheinlich das erste Mal in meinem Leben, dass ich überhaupt mal Verantwortung übernehme, und es tut mir leid, dass es so spät kommt«.
Sie betont aber auch, dass sie aus Angst vor ihrem gewalttätigen Ehemann dem Kind damals nicht half - und dass es ihr in Haft sehr schlecht gehe und sie angefeindet werde. Sie frage sich, »was mein Leben eigentlich für einen Sinn hat, weil alle mich hassen«. »Natürlich muss ich eine Strafe bekommen, das verstehe ich ja auch. Aber ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll.«
Ihr Anwalt fordert in seinem Plädoyer, das Gericht solle bei den ursprünglich verhängten zehn Jahren Haft bleiben. Das Urteil soll am Dienstag kommender Woche fallen.
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