Nach anhaltenden Demonstrationen im Iran hat die politische Führung unerwartet Maßnahmen angekündigt. Dem Generalstaatsanwalt zufolge soll die Sittenpolizei aufgelöst worden sein, wie iranische Medienberichteten.
Der Tod einer Frau nach einer Festnahme durch die Sittenpolizei war der Auslöser der blutigen Massenproteste, die seit mehr als zwei Monaten im Land andauern. Der Innenminister teilte mit, man werde einen Ausschuss einsetzen, der die Gründe für die Proteste klären solle - allerdings ohne Beteiligung der Demonstranten. Kritiker der politischen Führung reagierten verhalten auf die Ankündigungen.
Präsident Ebrahim Raisi traf sich Medienberichten zufolge zudem am Sonntag mit mehreren Ministern zu einem Krisengipfel. Auf der Agenda des nicht-öffentlichen Treffens im Parlament in Teheran stünden die jüngsten Entwicklungen im Land, berichtete die Agentur Isna.
Irans Sittenpolizei, die sogenannte »Gascht-e Erschad« (Moralstreife), setzte bisher als Sondereinheit der Polizei die islamischen Kleidungsvorschriften durch. Auch wenn es nach der Islamischen Revolution 1979 Gruppen mit ähnlichen Aufgaben gab, wurde die Einheit erst unter der Präsidentschaft des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad (2005-2013) gegründet. Während sie unter dem Ex-Präsidenten Hassan Rohani (2013-2021) nicht aktiv waren, traten sie mit Raisi wieder in Erscheinung.
Fast überall präsent
Ihre Kleinbusse mit meist vier bis sechs männlichen und weiblichen Beamten waren auf fast allen Plätzen anzutreffen. Vor allem junge Frauen, deren Kopftuch und Outfit den Beamten zufolge nicht den islamischen Regeln entsprachen, wurden aufgefordert, ihr Äußeres zu korrigieren. Immer mehr und vor allem Frauen der jüngeren Generation jedoch wiesen ihre Warnungen zurück oder ignorierten diese.
Vor allem im Sommer begannen die Sittenwächter, Frauen und Männer, die sich ihren Anweisungen widersetzten, zu verhaften, um Exempel zu statuieren. Mitte September nahmen die islamischen Sittenwächter die 22-jährige Mahsa Amini in Haft, weil unter ihrem Kopftuch ein paar Haarsträhnen hervorgetreten sein sollen. Amini starb wenige Tage später im Gewahrsam der Sittenpolizei. Seitdem protestieren im Iran Menschen gegen das System und dessen Gesetze und Vorschriften.
Nach Beginn der Proteste waren noch einige Tage Sittenwächter auf den Straßen, doch nachdem sie mehrmals von den Menschen angepöbelt und auch angegriffen wurden, verschwanden sie aus den Stadtbildern.
»Die Sittenpolizei wurde aufgelöst, aber die Justizbehörde wird sich weiterhin mit dieser gesellschaftlichen Herausforderung auseinandersetzen«, zitierte die Tageszeitung »Shargh« den Generalstaatsanwalt Mohammed-Dschafar Montaseri. Weitere Details zu den Umständen und der Umsetzung der Auflösung der Sittenpolizei gab es nicht.
Reaktionen auf die verkündete Auflösung
Kritiker zeigten sich von Montaseris Worten nicht beeindruckt. Das Problem sei nicht die Sittenpolizei, sondern der Kopftuchzwang, schrieb ein iranischer Aktivist auf Twitter. »Frauen müssen überall ohne Kopftuch verkehren können«, forderte er. Und dies sei »nur der erste Schritt.« Dennoch würde Beobachtern zufolge die Auflösung der Sittenpolizei ein Teilerfolg für die Frauenbewegung sein.
Worüber genau auf dem Krisengipfel am Sonntag gesprochen werden sollte, war zunächst nicht bekannt. Im Vorfeld gab es Spekulationen, es könnte um Forderungen der Demonstranten gehen. Zu diesen gehören unter anderem die Revision der iranischen Verfassung und die Aufhebung des Kopftuchzwangs, aber auch Neuwahlen oder ein Referendum zum Aufbau des politischen Systems des Landes. Beobachter allerdings hatten keine großen Erwartungen an das Treffen.
Raisi betont immer wieder, dass der Iran zwar gegenüber Kritik tolerant sei, nicht aber gegenüber vom Ausland gesteuerten und von deren Söldnern ausgeführten Ausschreitungen, wie er die Proteste beschreibt. Am angekündigten Untersuchungsausschuss sollen weder Demonstranten oder Systemkritiker noch andere politische Parteien teilnehmen, erklärte Innenminister Ahmad Wahidi laut Nachrichtenagentur Ilna.
Nur Kosmetik?
Die Protestierenden hätten keine Vertreter, »außerdem hatten wir es mit Krawallmachern und Unruhestiftern und nicht Demonstranten zu tun«, sagte Wahidi demnach zu den Gründen für den Ausschluss der Protest-Vertreter. Dem Minister zufolge gehe es in dem Untersuchungsausschuss darum, »die Wurzeln der Proteste zu erkunden und daher werden nur relevante Behörden und unabhängige Juristen an den Diskussionen im Ausschuss teilnehmen«, hieß es weiter. Kritiker bezeichneten den Vorschlag als »absurd«.
Beobachter sehen in den Ankündigungen vom Sonntag keine grundlegenden Zugeständnisse an die Demonstranten, sondern kosmetische Maßnahmen, um die kritische Lage im Land zu beruhigen. Ab Montag sind landesweit weitere Demonstrationen - und laut Oppositionskreisen - auch Streiks geplant. Bei den Protesten sind nach Angaben von Menschenrechtlern zufolge bislang 470 Demonstranten ums Leben gekommen.
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