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Iran und Deutschland bestellen Botschafter ein

Im Iran protestieren Zehntausende auf den Straßen, aus den Kurdengebieten werden Ausschreitungen gemeldet. Zwischen Teheran und Berlin gibt es diplomatische Scharmützel.

Proteste im Iran
Demonstranten blockieren eine Kreuzung in Teheran. Foto: Uncredited
Demonstranten blockieren eine Kreuzung in Teheran.
Foto: Uncredited

Angesichts der anhaltenden Demonstrationen in vielen iranischen Städten hat sich der Ton zwischen dem Iran und Deutschland weiter verschärft. Nach der Ankündigung eines härteren Vorgehens durch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bestellten beide Länder am Donnerstag gegenseitig ihre Botschafter ein - eine scharfe Form des diplomatischen Protests. Dies verlautete am Abend aus dem Auswärtigen Amt. Unterdessen versuchten Demonstranten im Nordwesten des Irans nach verschiedenen Berichten, die Gebäude von staatlichen Behörden zu besetzen.

Die staatliche iranische Nachrichtenagentur Irna hatte zunächst berichtet, der deutsche Botschafter Hans-Udo Muzel sei einbestellt worden. Demnach wirft der Iran Deutschland vor, die seit Wochen dauernden systemkritischen Proteste zu unterstützen. Gleichzeitig machte das Außenministerium in Teheran europäische Länder auch für eine Unterstützung terroristischer Handlungen verantwortlich. Aus dem Auswärtigen Amt wurde die Einbestellung am Abend bestätigt. Zugleich wurde bekannt, dass der iranische Botschafter in Berlin ebenfalls zum Gespräch gebeten wurde.

Baerbock: Kein »Weiter so«

Am Mittwoch hatte Baerbock angekündigt, den Kurs gegen Teheran wegen des harten Vorgehens der Behörden gegen die dortige Protestbewegung zu verschärfen. Es könne kein "Weiter so" in den bilateralen Beziehungen" geben. Über die auf EU-Ebene beschlossenen Sanktionen hinaus sollen demnach zusätzliche nationale Einreisebeschränkungen verhängt werden. Die ohnehin eingeschränkten Wirtschaftskontakte sollen weiter reduziert werden, auch mit Blick auf noch bestehende Geschäftsbeziehungen iranischer Banken.

Auslöser der systemkritischen Massenproteste war der Tod der 22 Jahre alten iranischen Kurdin Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Die Frau starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Seit ihrem Tod demonstrieren landesweit Tausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem.

Schüsse in der Stadt

Auf Videos, die in sozialen Medien kursierten, waren Szenen zu sehen, die aus der kurdischen Stadt Mahabad stammen sollen. Unklar war zunächst, ob die Demonstranten - wie behauptet - auch das Büro des Gouverneurs besetzen konnten. Zudem wurde über Schüsse in der Stadt berichtet. Die Umstände waren unklar. Die Videos ließen sich zunächst nicht verifizieren.

Die Menschenrechtsorganisation Hengaw mit Sitz in Oslo, die Kontakte in die Region unterhält, berichtete über Zusammenstöße mit Sicherheitskräften. Dabei soll in Mahabad mindestens ein Demonstrant getötet worden sein.

Mindesten 13 Tote bei Terroranschlag

Bei einem Terroranschlag in der südiranischen Millionenstadt Schiras wurden am Mittwoch nach Angaben staatlicher Medien mindestens 13 Menschen getötet. In der Stadt sollen an der schiitischen Heiligstätte Schah Tscheragh zudem Dutzende weitere Menschen verletzt worden sein, berichtete das Staatsfernsehen.

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte die Attacke auf einem Telegram-Kanal für sich. Immer wieder verüben die sunnitischen Dschihadisten etwa in Afghanistan Angriffe auf schiitische Muslime, die sie als Abtrünnige des Islam verachten. Im Iran sind solche Anschläge sehr ungewöhnlich. Präsident Ebrahim Raisi verurteilte den Anschlag und kündigte eine konsequente Reaktion an. Religionsführer Ali Chamenei schwor Rache.

Stabschef macht Demonstranten mitverantwortlich

Der Stabschef der iranischen Streitkräfte, Mohammad Bagheri, machte nach dem Attentat Teilnehmer von Protesten mitverantwortlich. »Sie sind mitschuldig an diesem großen Verbrechen«, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Bagheri. Er drohte: »Die ausländischen und einheimischen Drahtzieher und Verursacher dieses schrecklichen Verbrechens werden bald von Sicherheitskräften und dem Geheimdienst überfallen.«

UN-Experte beschuldigt Irans Präsident

Ein UN-Beauftragter hat dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi eine Mitschuld an Hunderten getöteten Demonstrantinnen und Demonstranten in dem Land gegeben. Raisi selbst habe die Sicherheitskräfte bei einer Reihe von Gelegenheiten zu Gewalt gegen Zivilistinnen und Zivilisten »angestiftet«, sagte Javaid Rehman, UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechtssituation im Iran am Donnerstag in New York. Unter anderem habe sein Dekret zur Einhaltung des Hijab-Gesetzes »der Sittenpolizei die Lizenz gegeben, es energischer durchzusetzen.«

UN-Experte Rehman sprach von mehr als 250 Getöteten seit Beginn der Proteste - darunter mindestens 27 Kinder. Dabei sei die Dunkelziffer hoch: »Ich habe keinen Zweifel daran, dass es in Wirklichkeit weitaus mehr Opfer und Todesfälle geben wird, als ich gerade gesagt habe.« Rehman forderte die internationale Gemeinschaft dazu auf, die Fälle systematisch zu untersuchen, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.

Gleichzeitig gab er sich überzeugt, dass sich die Demonstrationen nicht niederschlagen lassen werden: »Die iranischen Behörden, so brutal und repressiv sie auch sind, können die jungen Menschen nicht aufhalten. Sie werden diese Bewegung nicht aufhalten können.«

© dpa-infocom, dpa:221027-99-287738/5