Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat ihre Spitzenkandidatur für die SPD bei der hessischen Landtagswahl im Herbst angekündigt. »Ja, ich kandidiere«, schrieb sie ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Ministerium in einem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur vorlag. Ihr Ministeramt wolle sie vorerst behalten, sagte sie auch dem »Spiegel«. Auch im Fall einer Wahlniederlage in Hessen wolle sie im Bundeskabinett bleiben, stellte sie in dem Mitarbeiterbrief klar.
Sie habe in schwierigen Zeiten die Verantwortung für das Bundesinnenministerium übernommen, schrieb Faeser. »Diese Verantwortung gebietet es mir, meine Aufgaben auch weiterhin ebenso klar und ernsthaft zu erfüllen wie bisher.« Sie werde ihr Amt »auch weiterhin mit voller Kraft und Leidenschaft ausfüllen«, sicherte sie zu. Die Landtagswahl ist am 8. Oktober.
»Eine große Herzenssache«
»Hessen ist meine Heimat. In Hessen anzutreten ist für mich eine große Herzenssache«, sagte Faeser in Berlin. »Genauso wie ich die erste Frau im Amt der Bundesinnenministerin bin, so möchte ich die erste Frau an der Spitze der hessischen Landesregierung werden. Ich trete an, um zu gewinnen.« Nach 25 Jahren CDU-Regierung brauche Hessen frischen Wind, sagte Faeser.
»Wir wollen gute Arbeitsbedingungen und gerechte Löhne. Wir wollen die besten Startchancen für alle Kinder, ein bezahlbares Leben von den Mieten bis zum ÖPNV, konsequenten Klimaschutz und Respekt und Sicherheit für alle Menschen, ganz gleich wo sie herkommen oder wie viel sie verdienen«, sagte die hessische SPD-Landesvorsitzende.
Sie werde aus Verantwortung für Deutschland Bundesinnenministerin bleiben, erklärte die 52-Jährige. Dafür habe sie die volle Rückendeckung des Bundeskanzlers. Es sei eine demokratische Selbstverständlichkeit, dass Menschen, die Ämter innehaben, bei Wahlen anträten. »Ich handhabe das genauso wie Olaf Scholz und Armin Laschet im Bundestagswahlkampf, wie Angela Merkel in vielen Wahlkämpfen zuvor und wie alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, die in diesem Jahr für Wahlen kandidieren«, sagte Faeser.
Für einen langen Wahlkampf seien die Zeiten ohnehin zu ernst, schrieb Faeser mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Zudem wolle sie weiter innenpolitische Reformen umsetzen, wie im Koalitionsvertrag angekündigt.
Offen ist, wer Faeser im Amt nachfolgen würde, falls die SPD die Wahl in Hessen gewinnen sollte. Der frühere niedersächsische Innenminister Boris Pistorius war eine Zeit lang als potenzieller Nachrücker gehandelt worden. Der SPD-Politiker steht aber inzwischen an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Da es schon bei der Ernennung von Pistorius Kritik gab, weil dem Kabinett dadurch mehr Minister als Ministerinnen angehören, dürfte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dann entweder in der Partei auf die Suche nach einer erfahrenen Frau gehen oder eine größere Kabinettsumbildung anstoßen.
Scholz: Kandidatur kein Problem für Ministeramt
Scholz betonte nach der Verkündung der Spitzenkandidatur, dass er dadurch keine Beeinträchtigung von Faesers Arbeit als Innenministerin erwarte. »Von Nancy Faeser, von der ich weiß, dass es eine sehr, sehr pflichtbewusste Frau ist, kann ich sagen: Die wird jeden Tag alles tun für die Aufgabe, die sie hat«, sagte er in einer Fragerunde mit Bürgern im hessischen Marburg. »Ich finde das ist eine hochprofessionelle, tolle Ministerin, die großartige Arbeit leistet.«
In Hessen sind die Sozialdemokraten seit 1999 in der Opposition. Die Christdemokraten gehen mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Boris Rhein ins Rennen. Für die seit 2014 mitregierenden Grünen kandidiert Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. An diesem Freitag ist Faeser in Friedewald beim Hessen-Gipfel der SPD.
Kritische Stimmen
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), sagte: »Faeser wird jetzt für Monate Wahlkampf in Hessen betreiben und das Innenministerium in einer der schwierigsten Zeiten als Nebenjob führen.« Damit setze sie ihre Karrierewünsche über die Verantwortung für die innere Sicherheit.
»In der aktuellen Krisenlage - Cyberbedrohung, Migrationskrise, Extremismus- und Terrorgefahren - braucht Deutschland eine Vollzeit-Innenministerin«, forderte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU). Wenn Faeser ihre Aufgabe wirklich ernst nehmen würde, hätte sie auf die Spitzenkandidatur verzichtet.
Kritische Stimmen kamen nicht nur aus der Opposition. »In solchen Zeiten darf man politisch nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen«, sagte der Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, Konstantin von Notz, dem Nachrichtenportal »t-online«. Er mahnte: »Die sich nun abzeichnende, monatelange Doppelbelastung darf keinesfalls zu Lasten der Inneren Sicherheit des Landes gehen.« Es gebe zahlreiche drängende innenpolitische Gesetzesvorhaben.
Auch die Polizeigewerkschaft sieht Faesers Pläne skeptisch. »Wir haben wegen des Ukraine-Krieges und der Migration eine politisch sehr schwierige Situation«, sagte Andreas Roßkopf, bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zuständig für die Bundespolizei, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Das Bundesinnenministerium sei zudem sehr anspruchsvoll. »Man ist damit eigentlich voll ausgelastet.«
Die Partei- und Fraktionschefin der Bundes-AfD, Alice Weidel, forderte den sofortigen Rücktritt von Faeser als Ministerin. »Dieses Amt ist nicht dazu gedacht, es als Wahlkampfplattform zu missbrauchen«, sagte sie »t-online«.
Die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, wies die Kritik an Faesers Doppelrolle zurück. Sie sagte: »Es ist doch in einer Demokratie ganz normal, dass Politiker auch in Zeiten des Wahlkampfes Ämter innehaben.« Insofern rate sie zu »etwas mehr Gelassenheit«.
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