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In der Ukraine ist seit 100 Tagen Krieg

Russland bekräftigt auch 100 Tage nach Kriegsbeginn und ungeachtet eines weiteren EU-Sanktionspakets seine Absichten in der Ukraine. Die UN warnen vor massiven globalen Auswirkungen des Krieges - es droht eine Hungerkatastrophe. Die Entwicklungen im Überblick:

In Schutt und Asche
Eine ukrainische Flagge liegt nach einem Raketeneinschlag in Charkiw in den Trümmern. Foto: Carol Guzy
Eine ukrainische Flagge liegt nach einem Raketeneinschlag in Charkiw in den Trümmern.
Foto: Carol Guzy

Auch 100 Tage nach Russlands Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar tobt der Krieg in dem Land unvermindert weiter. Der Kreml kündigte am Freitag eine Fortsetzung seiner »militärischen Spezialoperation« bis zum Erreichen aller Ziele an.

Das russische Militär meldete weitere Angriffe und die Tötung von Hunderten ukrainischen Soldaten. Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk forderte bei einem Besuch in Berlin indes Tempo bei Waffenlieferungen. Die 27 EU-Staaten beschlossen das sechste Sanktionspaket gegen Russland, das unter anderem ein weitgehendes Öl-Embargo vorsieht.

Laut der Vereinten Nationen hat der Krieg massive globale Auswirkungen. Etwa 1,4 Milliarden Menschen könnten von Nahrungsmittelknappheit betroffen sein, wenn Exporte von Getreide aus der Ukraine und Dünger aus Russland weiter ausblieben, sagte der UN-Krisenkoordinator für die Ukraine, Amin Awad, am Freitag bei einer Online-Pressekonferenz der UN. Es sei deshalb unbedingt notwendig, dass die Handelsrouten über das Schwarze Meer nicht länger blockiert bleiben.

Russlands Präsident Wladimir Putin wies bei einem Spitzengespräch mit der Afrikanischen Union eine Verantwortung Moskaus für die Getreideknappheit auf dem Weltmarkt zurück.

Stefantschuk mahnt Tempo bei Waffenlieferungen

»Warten und Zögern kostet Menschenleben. Ein Tag kostet um die 100 Leben der Soldaten und 500 und mehr Verwundete«, sagte Ukraines Parlamentspräsident Stefantschuk am Freitag der Deutschen Presse-Agentur nach einem Gespräch mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Berliner Kanzleramt. Er forderte auch die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern und Marder-Schützenpanzern aus Deutschland.

Stefantschuk kann sich zudem vorstellen, dass Staatschef Wolodymyr Selenskyj Deutschland besucht, wenn sich das Kriegsgeschehen positiv für die Ukraine entwickelt. »Wenn der Sieg naht, dann denke ich, wird er (Selenskyj) schon Besuche in verschiedenen Ländern machen und zu einem offiziellen Besuch nach Deutschland kommen«, sagte er laut offizieller Übersetzung.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfing Stefantschuk. Die Begegnung am Mittag im Schloss Bellevue war nach dpa-Informationen das erste persönliche Zusammentreffen des Bundespräsidenten mit einem ukrainischen Politiker, seitdem politische Irritationen zwischen Berlin und Kiew ausgeräumt worden waren.

Weiteres EU-Sanktionspaket gegen Russland beschlossen

Mit dem am Freitag beschlossenen sechsten Sanktionspaket der EU wird unter anderem die größte russische Bank, die Sberbank, aus dem Finanzkommunikationsnetzwerk Swift ausgeschlossen und es werden mehrere russische Nachrichtensender in der EU verboten. Nach dem formellen Beschluss dürften die Sanktionen noch am Freitag im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden. Dann sind sie in Kraft. Der wirtschaftlich besonders relevante Boykott gegen Öllieferungen aus Russland zielt darauf ab, im kommenden Jahr auf dem Seeweg kein Öl mehr in die EU zu lassen. Ungarn setzte durch, dass auf Sanktionen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill verzichtet wird.

Kreml nach 100 Tagen Krieg: Alle Ziele werden erfüllt

Der Kreml betonte am Freitag, er werde die von ihm so bezeichneten »militärischen Spezialoperation« in der Ukraine bis zum Erreichen aller Ziele fortsetzen. Es seien bereits einige Ergebnisse erzielt worden, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Als ein Ziel gilt die komplette Kontrolle über die ukrainischen Gebiete Luhansk und Donezk. Nach Einschätzung britischer Geheimdienste kontrolliert Russland mittlerweile mehr als 90 Prozent der Luhansk-Region. Es sei wahrscheinlich, dass Moskau dort in den kommenden zwei Wochen vollständig die Kontrolle übernehme, hieß es in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums.

Russland setzte seine Angriffe nach eigenen Angaben auch in der Nacht fort. »Insgesamt sind durch Schläge der Luftwaffe mehr als 360 Nationalisten sowie 49 Waffensysteme und Militärfahrzeuge vernichtet worden, darunter eine Funkstation für die Luftraumüberwachung in Slowjansk in der Donezker Volksrepublik«, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Im Raum Slowjansk befindet sich das Hauptquartier der ukrainischen Streitkräfte im Donbass. Angaben aus den Kriegsgebieten konnten nicht mittels unabhängiger Quellen überprüft werden.

Das ukrainische Militär hält nach eigenen Angaben weiter Stellungen in der schwer umkämpften Großstadt Sjewjerodonezk, dem Verwaltungszentrum der Region Luhansk im Osten der Ukraine. Nach der russischen Einnahme der Hafenstadt Mariupol im Südosten des Landes warf der vertriebene Bürgermeister Wadym Boitschenko Moskau eine Geiselnahme der dort verbliebenen Menschen vor. Es seien noch etwa 100.000 Einwohner in Mariupol. »Sie werden dort festgehalten von den russischen Truppen und praktisch als menschliche Schutzschilde benutzt«, sagte Boitschenko in Kiew.

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko zeigte sich indes siegessicher. Russland führe einen »barbarischen Krieg zur Vernichtung der Ukraine und der Ukrainer«, sagte er in einem Selfie-Video, das er in seinem Telegram-Kanal veröffentlichte. 100 Tage Krieg seien voller blutiger Schlachten, Verluste und Todesfälle.

Eine Kommission der UN wird nächste Woche Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine aufnehmen. Die Menschenrechtsexperten werden vom 7. bis zum 16. Juni unter anderem Lwiw, Kiew, Charkiw und Sumy besuchen, um Überlebende, Zeugen und Vertriebene zu treffen, wie die Vereinten Nationen in Genf am Freitag ankündigten.

Putin weist Verantwortung für Getreideknappheit zurück

Russland steht weiterhin international in der Kritik, den Export von Getreide aus den ukrainischen Häfen im Schwarzen Meer zu verhindern. Putin sieht Russland aber nicht für die Blockade verantwortlich. Die Krise habe schon vor dem Krieg in der Ukraine begonnen, den Putin nach seiner Sprachregelung eine militärische Spezialoperation nannte. Nicht Russland verhindere einen Export von Weizen aus der Ukraine, sagte er im russischen Fernsehen. Die Ukraine solle die Minen vor ihren Häfen an der Schwarzmeer-Küste entfernen. Die russische Armee werde dies nicht für Angriffe ausnutzen, versprach er. Russland könne auch die von ihm kontrollierten Häfen Mariupol und Berjansk am Asowschen Meer zur Verfügung stellen, sagte Putin. Er traf in Sotschi den senegalesischen Staatschef Macky Sall, der auch Präsident der Afrikanischen Union ist.

Die Getreideblockade ist weltweit spürbar, in Afrika droht bereits eine massive Hungerkatastrophe. Der zentralafrikanische Tschad rief aufgrund mangelnder Getreidelieferungen einen Ernährungsnotstand aus. Die Lebensmittelsituation habe sich seit Jahresanfang extrem verschlechtert, internationale humanitäre Hilfe sei dringend notwendig, hatte die Militärregierung mitgeteilt.

© dpa-infocom, dpa:220603-99-531000/12