Im Prozess um einen mutmaßlichen Corona-Impfschaden hat das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg Zweifel daran erkennen lassen, ob der Hersteller Astrazeneca ausreichend über Nebenwirkungen informiert hat. Der Zivilprozess gehört zu den ersten gegen einen Corona-Impfstoffhersteller in Deutschland. Der Senat gehe derzeit davon aus, dass die Klägerin nicht mit dem Impfstoff von Astrazeneca geimpft worden wäre, wenn das Risiko einer Darmvenenthrombose in der Fachinformation des Herstellers dargestellt gewesen wäre, teilte das Gericht am Montag mit. Das Gericht möchte nun zunächst ein Gutachten einholen. Mit diesem soll die Frage geklärt werden, »ob eine Darstellung in der Fachinformation nach dem damaligen wissenschaftlichen Stand geboten war.«
Eine 33 Jahre alte Frau aus Oberfranken klagt gegen den Hersteller auf Schadenersatz. Sie hatte sich im März 2021 mit dem Covid-19-Vakzin Vaxzevria des britisch-schwedischen Unternehmens impfen lassen und danach eine sogenannte Darmvenenthrombose erlitten. Sie kam in ein Koma und letztlich musste ihr ein Teil des Darms entfernt werden. Der Anwalt der Frau, Volker Loeschner, bezeichnete die Entscheidung des Gerichts am Montag als Etappensieg. Von der Entscheidung gehe zudem eine Signalwirkung für andere Verfahren aus, dass Gerichte nicht ohne Gutachten über diese Thematik entscheiden könnten.
Anwalt spricht von Etappensieg
Das Landgericht Hof hatte die Klage der Frau zuvor abgewiesen, da es weder einen Produktfehler noch einen Informationsfehler im Zusammenhang mit dem Impfstoff feststellen konnte. Dagegen legte die Frau Berufung ein. Von Astrazeneca fordert sie mindestens 250.000 Euro Schmerzensgeld sowie 17.200 Euro für einen Verdienstausfall und bis zu 600.000 Euro für künftige Beeinträchtigungen. Die Anwälte von Astrazeneca schlossen einen Vergleich mit der Klägerin bislang aus und verwiesen dabei auf die Entscheidung des Landgerichts.
Das Gericht stellte am Montag zugleich klar, dass es derzeit keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Haftung wegen »unvertretbarer schädlicher Wirkungen« sehe. Dazu hätte es demnach nach der Zulassung des Impfstoffs neue Erkenntnisse geben müssen, die einer Zulassung entgegengestanden hätten. Die von der Klägerin angeführten Nebenwirkungen seien jedoch schon bei der Zulassung bekannt gewesen und berücksichtigt worden, hieß es.
Im Frühjahr 2021 priorisiert geimpft
Die 33-Jährige hatte vor ihrer schweren Erkrankung in der IT-Abteilung der Diakonie gearbeitet und wurde im Frühjahr 2021 priorisiert geimpft. Im Nachhinein nehme sie es so wahr, dass zumindest unterschwellig Druck ausgeübt worden sei, die Impfung auch wahrzunehmen, hatte die Frau zu Prozessbeginn Anfang Juli gesagt. Mit dem Wissen von heute hätte sie sich nicht mit dem Corona-Impfstoff impfen lassen.
Am Tag nach der Impfung der Klägerin seien erste Berichte über Thrombosen nach einer Impfung mit dem Stoff von Astrazeneca bekannt geworden, erläuterte das Gericht zum Prozessbeginn. Am 19. März 2021 wurden Impfungen mit dem Impfstoff deshalb zeitweise ausgesetzt. Später empfahl die Ständige Impfkommission (Stiko) den Stoff in Deutschland nur noch für Menschen über 60 Jahren.
Das sagt Astrazeneca
Vor dem Prozess hatte eine Sprecherin von Astrazeneca mitgeteilt: »Unser Mitgefühl gilt denjenigen, die gesundheitliche Beschwerden gemeldet haben.« Die Patientensicherheit habe höchste Priorität. Zudem hätten die Aufsichtsbehörden strenge Standards, um die sichere Anwendung aller Arzneimittel einschließlich Impfstoffen zu gewährleisten. »Arzneimittelbehörden auf der ganzen Welt haben bestätigt, dass die Vorteile einer Impfung mit unserem Covid-19-Impfstoff Vaxzevria die Risiken der extrem seltenen potenziellen Nebenwirkungen überwiegen.«
Für die Sicherheit von Impfstoffen ist in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut zuständig. Laut diesem sind in der EU mehrere Impfstoffe gegen das Coronavirus zugelassen. Die Wirksamkeit dieser ist wissenschaftlich erwiesen.
An Gerichten in Deutschland sind zahlreiche Klagen auf Schadenersatz gegen Hersteller von Corona-Impfstoffen wegen möglicher Impfschäden anhängig. Eine rechtskräftige Entscheidung wurde bisher nicht bekannt, auch bundesweit nicht.
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