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Humanitäres Aufnahmeprogramm für gefährdete Afghanen

Seit die Taliban in Afghanistan wieder an der Macht sind, ist das Leben für viele Menschen in dem Land noch gefährlicher geworden. Die Bundesregierung will ihnen nun über ein neues Programm helfen.

Nancy Faeser
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf einer Pressekonferenz im Innenministerium. Foto: Wolfgang Kumm
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf einer Pressekonferenz im Innenministerium.
Foto: Wolfgang Kumm

Besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen können künftig durch ein neues Bundesaufnahmeprogramm Schutz in Deutschland finden. Über das Programm sollen pro Monat ab sofort ungefähr 1000 Menschen einreisen, wie Innen- und Außenministerium am Montag in Berlin mitteilten. Dies entspreche der bisherigen Größenordnung in den vergangenen Monaten. Das Vorhaben hatten SPD, Grüne und FDP bereits im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Aufnahme soll voraussichtlich bis zur nächsten Bundestagswahl im September 2025 laufen.

Insbesondere seit der Machtergreifung der militant-islamischen Taliban im August 2021 müssen frühere Mitarbeiter ausländischer Streitkräfte und Hilfsorganisationen, so genannte Ortskräfte, sowie Menschenrechtsaktivisten mit Verfolgungen rechnen. Fast 26 000 Ortskräfte und besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen sowie deren Angehörige haben nach offiziellen Angaben bisher Aufnahme hierzulande gefunden. Aufnahmezusagen haben demnach bisher etwa 38 100 Afghanen bekommen - ungefähr zwei Drittel davon sind bereits eingereist.

Profitieren sollen afghanische Staatsangehörige in Afghanistan, die sich für Frauen- und Menschenrechte eingesetzt haben oder wegen ihrer Tätigkeit in Justiz, Politik, Medien, Bildung, Kultur, Sport oder Wissenschaft besonders gefährdet sind. Auch Menschen, die wegen ihres Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, ihrer Religion oder wegen besonderer Umstände des Einzelfalles verfolgt werden.

Kapazitäten fest im Blick

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte, Deutschland habe im EU-Vergleich mit Abstand die meisten Ortskräfte und besonders gefährdeten Afghanen aufgenommen. Zur Größenordnung der künftig geplanten Aufnahmen sagte sie: »Wir sehen die große Belastung der Kommunen durch die hohe Anzahl Geflüchteter, die wir in diesem Jahr bereits aufgenommen haben. Die Aufnahme- und Integrationsfähigkeit haben wir fest im Blick.«

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) betonte, man stehe vor einer Mammutaufgabe. »Zu erklären, dass wir Menschen aufnehmen, ist das eine – dafür zu sorgen, dass sie dann auch sicher aus Afghanistan heraus nach Deutschland kommen können, das andere. Es wird eine gemeinsame Kraftanstrengung, dass wir die Ziele auch erreichen, die wir uns gesteckt haben.« Sie versprach: »Wir werden nicht lockerlassen.«

Bei der Konzeption des Aufnahmeprogramms hatte die Bundesregierung mit mehreren Verbänden und Nichtregierungsorganisationen zusammengearbeitet. Da die deutschen Vertretungen in Afghanistan geschlossen sind, stellt die Sicherheitsüberprüfung der Menschen, die von dem Programm profitieren sollen, eine Herausforderung dar. Auch die in ähnlichen Fällen übliche Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sei nicht möglich, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. Deshalb sollen unter anderem zivilgesellschaftliche Organisationen Menschen für die Aufnahme vorschlagen. Die Entscheidung trifft dann die Bundesregierung. Eine weitere Schwierigkeit ist für manche die Ausreise aus Afghanistan. Denn nur Menschen, die sich aktuell in Afghanistan aufhalten, sollen aufgenommen werden.

Kritik von der CSU: »Fatales Signal«

Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), kritisierte das Programm. Sie sagte Deutschland erfülle seine Zusagen gegenüber denen, die sich für den deutschen Staat in Gefahr gebracht hätten und nach einer Gefährdungsanalyse akut bedroht seien. »Aber bei diesem Aufnahmeprogramm geht es um Personen, die wie Millionen andere Menschen auf der Welt auch bedroht sind.« In der aktuell höchst angespannten Migrationslage sei dies ein »fatales Signal« der Ampel-Regierung. Ihr Parteikollege, Bayerns Innenminister Joachim Hermann, der aktuell Vorsitzender der Innenministerkonferenz ist, sagte: »Der Bund betreibt unter dem Deckmantel der Humanität eine Migrationspolitik zu Lasten der Länder, Landkreise, Städte und Gemeinden.«

Dass die Außenministerin den Schutz von Frauen und Mädchen besonders in den Blick nehme, sei nachvollziehbar, kommentierte Pro Asyl. Die Organisation wies allerdings darauf hin: »Im Falle von Racheaktionen durch das Taliban-Regime ist zu berücksichtigen, dass überwiegend männliche Familienangehörige in dessen Visier geraten.«

Die ersten Aufnahmezusagen sollen dem Sprecher zufolge in den nächsten Wochen erteilt werden. Aber auch bis das neue Programm in vollem Umfang läuft, sollten weiter Menschen nach Deutschland kommen können.

Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) nannte Faesers Vorgehen in einer Mitteilung »Heute hü und morgen hott«. Die Innenministerin habe sich gerade erst klar für eine Begrenzung der Flüchtlingsaufnahme ausgesprochen und kündige nun ein neues Aufnahmeprogramm an.

Der Grünen-Politiker Julian Pahlke sagte: »Auch wenn jede einzelne Person zählt, die aufgenommen wird, hätte ich mir einen größeren Umfang gewünscht, der nicht in der Gesamtzahl begrenzt ist.« Der Bundestagsabgeordnete forderte: »Es braucht eine Erweiterung des Programms auch für gefährdete Menschen, die bereits in die Nachbarstaaten geflohen sind.«

Die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Clara Bünger, nannte das Programm bürokratisch und unambitioniert. »Für viele Menschen, die in Afghanistan um ihr Leben und ihre Sicherheit bangen, wird es so absehbar noch Monate oder gar Jahre dauern, bis sie eine Aufnahmezusage für Deutschland bekommen können.« Menschen stürben, während sie auf ihre Evakuierung warteten.

Bundesregierung zum Aufnahmeprogramm Afghanistan

© dpa-infocom, dpa:221017-99-156814/4