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Haldenwang: In AfD größerer Einfluss von Verfassungsfeinden

Die AfD-Europawahlversammlung hat es gezeigt: Der Ton ist radikaler geworden. Der Verfassungsschutz-Chef bilanziert, in der AfD gebe es »starke verfassungsfeindliche Strömungen«, deren Einfluss wachse.

Thomas Haldenwang
Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Foto: Christoph Soeder/DPA
Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Foto: Christoph Soeder/DPA

Nach der Europawahlversammlung der AfD sind sowohl der Verfassungsschutz als auch politische Beobachter überzeugt, dass die Zeit der ideologischen Flügelkämpfe innerhalb der Partei vorbei ist. Vertreter des ehemaligen gemäßigteren Lagers hätten bei der Aufstellung an diesem Wochenende so gut wie keine Rolle mehr gespielt, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, der Deutschen Presse-Agentur.

»Vielmehr äußerten diverse Wahlbewerber rechtsextremistische Verschwörungstheorien, wie beispielsweise die vom sogenannten «Großen Austausch».« Er fügte am Sonntagabend hinzu: »Die bisherige Europawahlversammlung der AfD, die wir als Verdachtsfall bearbeiten, belegt einmal mehr unsere Einschätzung, dass innerhalb der Partei starke verfassungsfeindliche Strömungen bestehen, deren Einfluss weiter zunimmt.«

Der Politikwissenschaftler Hajo Funke bilanzierte: »Die AfD hat sich immer weiter radikalisiert, und in seiner Radikalität passt der zum Spitzenkandidaten gewählte Maximilian Krah zum Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke.« Er vermute, dass Höcke auf einen »exekutiven Durchmarsch« bei der Landtagswahl in Thüringen 2024 spekuliere. Damit würde er seine ohnehin schon starke Position in der AfD noch weiter absichern und dann womöglich auch die Parteispitze anstreben.

Erste Kandidaten für Europawahl aufgestellt

Die AfD hatte am Wochenende in Magdeburg ihre ersten 15 Kandidaten für die Europawahl gewählt. Spitzenkandidat ist der sächsische Europaabgeordnete Krah. Die AfD ist gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für eine Aufhebung der gegen Russland verhängten Sanktionen. In Magdeburg sprachen sich mehrere Kandidaten für einen Austritt Deutschlands aus der EU aus. Weitere Kandidaten sollen von diesem Freitag an bestimmt werden.

Auf die Zukunft der Partei angesprochen, antwortete Funke: »Sie wird sich moderat geben, aber der Kern der Partei ist klar rechtsextrem.« Diesen falschen moderaten Eindruck zu erzeugen, sei aktuell vor allem Aufgabe der Co-Parteivorsitzenden, Alice Weidel und Tino Chrupalla, sagte Funke, der bis zu seiner Emeritierung Professor für Politische Wissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin war.

Haldenwang sagte der dpa: »Zwar sind die komplette Wahlbewerberliste und auch das Wahlprogramm für die Europawahl noch nicht final abgestimmt. Doch bereits jetzt zeigt sich, dass Personen, die in der Vergangenheit mit Positionen aufgefallen sind, die nicht mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind, der AfD-Delegation im kommenden Europäischen Parlament angehören werden.«

Von Europa zurück zum Nationalstaat

Das Programm der AfD für die Europawahl am 9. Juni 2024 soll erst nach der Listenaufstellung beschlossen werden. Möglicherweise könnte es erst bei einer zusätzlichen Versammlung diskutiert werden, die spätestens im Januar stattfinden müsste. Erst dann wird feststehen, ob die AfD diesmal mit der Forderung antritt, die Europäische Union radikal zu reformieren, so dass wieder mehr Entscheidungen national getroffen werden. Es könnte sich aber auch das »Dexit«-Lager durchsetzen, das einen Austritt Deutschlands aus der EU befürwortet. Ein weiterer Streitpunkt dürfte die Haltung zur Nato sein. Je nachdem wie die Debatte ausgeht, könnte es nach Einschätzung von Beobachtern weitere Parteiaustritte einzelner Mandatsträger geben.

Doch auch vor der Programmdebatte zeigt sich aus Sicht der stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion, Andrea Lindholz, an vielen Äußerungen führender Funktionäre und an der Wahl der Kandidaten, »dass sich die radikalen Kräfte weiter durchsetzen«. Die CSU-Innenpolitikerin sagte: »Wer aus der EU austreten will, den Klimawandel leugnet, sich klar auf die Seite Russlands stellt und mit verfassungsfeindlichen Äußerungen noch stärker in den Blick des Verfassungsschutzes gerät, der ist eine Gefahr für unser Land, unsere Demokratie und unseren Wirtschaftsstandort.« Deshalb sei »eine klare tatsächliche und inhaltliche Abgrenzung« zur AfD unabdingbar.

Thüringens CDU-Chef für »optimistisches Zukunftsbild«

Thüringens CDU-Chef Mario Voigt sagte im RTL/ntv-»Frühstart«: »Die wollen den Leuten immer einreden, dass wir jetzt kurz vor dem Weltuntergang sind.« Sowohl die Grünen als auch »in anderer Art und Weise die AfD« seien »Angstparteien«. So funktioniere aber eine Gesellschaft nicht. »Wir müssen ein optimistisches Zukunftsbild zeichnen.« Für die CDU gebe es dabei die Chance, deutlich zu machen, dass man keine ideologische Energiepolitik wolle. »Aber wir ignorieren auch nicht die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt.« Voigt machte klar, dass es vorkommen könne, dass die AfD für CDU-Anträge stimme. Er sagte: »Damit muss man lernen umzugehen. Da braucht es eine gewisse Form der Gelassenheit und Pragmatismus. Aber immer auch Klarheit: Wir wollen mit denen keine Koalition.«

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die AfD im März 2021 als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Diese Einstufung, die den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln erlaubt, hatte das Kölner Verwaltungsgericht im März 2022 bestätigt. Die AfD legte Berufung ein. Das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster ist noch nicht abgeschlossen.

Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, sagte: »In der AfD gehört ein rechtsextremer Zungenschlag zum guten Ton. Politiker wie Björn Höcke, die den Faschismus aus jeder Pore verströmen, sind die entscheidenden Strippenzieher der Partei.« Wenn der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz darauf aufmerksam mache, lege er zu Recht den Finger in die Wunde.

Kuhle gab jedoch zu bedenken: »Gleichzeitig heizt ein gewisser Alarmismus gegenüber der AfD die Umfragewerte für die Partei weiter an.« Denn neben überzeugten Rechtsextremisten in der Anhängerschaft gebe es auch einen wachsenden Teil der Gesellschaft, für die die öffentliche Empörung über die AfD ein Ventil sei, »um die eigenen Verunsicherungen und Überforderung angesichts der massiven Krisen und Veränderungen zu kompensieren«. Diese Entwicklung zu beenden, sei eine Aufgabe für die demokratischen Parteien in Regierung und Opposition.

© dpa-infocom, dpa:230730-99-616247/9