Im lichtdurchfluteten »Yoga Pavillon« auf Schloss Elmau ist etwas anders an diesem Montagmorgen. Über dem recht kleinen runden Tisch, an dem die Mitglieder der G7 führender westlicher Wirtschaftsmächte tagen, hat das Protokoll einen Bildschirm aufhängen lassen.
Es ist der Platz für einen besonderen Gast, der sich aus einem sehr nachvollziehbaren Grund nicht auf den Weg in die Alpenidylle machen konnte: In seinem Land herrscht seit vier Monaten und drei Tagen Krieg. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj möchte weder die Zivilbevölkerung im Stich lassen, noch seine Truppen in ihrem Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer.
Gegen 10 Uhr erscheint er in gewohnter Weise auf dem Bildschirm: Militär-T-Shirt, eingerahmt zwischen ukrainischen Fahnen und mit versteinertem Gesicht. Selenskyj hat in den letzten Monaten kaum eine Zusammenkunft seiner westlichen Verbündeten ausgelassen, um sich mit seinen Berichten von der Front, aber vor allem mit seinen Forderungen nach Waffen und anderer Unterstützung an sie zu wenden.
Die meisten G7-Chefs waren schon in Kiew
Von denen, die da an dem Tisch sitzen, haben sich die meisten schon selbst ein Bild von der Lage im Kriegsgebiet gemacht. Der britische Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen waren seit Kriegsbeginn schon zwei Mal in Kiew. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fuhr erst vor wenigen Tagen zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi in die ukrainische Hauptstadt - auch in Vorbereitung auf die Gipfel von G7, Nato und EU.
In Kiew sprach sich das Europa-Trio dafür aus, dass die Ukraine Beitrittskandidat für die Europäische Union wird. Das Thema ist inzwischen abgehakt. Selenskyj bedankte sich dafür in der G7-Runde noch einmal. »Die Ukraine hat die Unterstützung der Staaten der «großen Sieben» gespürt«, sagt er nach Angaben seines Büros.
Jetzt geht es für ihn darum, dass der Westen in seiner militärischen Unterstützung nicht nachlässt. In der Sitzung richtet er nach Angaben aus Teilnehmerkreisen an jedes G7-Mitglied eine persönliche Botschaft und nennt als sein Ziel, den Krieg bis Ende des Jahres zu beenden - vor dem harten Winter. Zudem fordert er erneut uneingeschränkte finanzielle und militärische Unterstützung für sein Land – konkret auch, um den Russen alle seit Februar eroberten Gebiete wieder abzunehmen.
Scholz: »Vereint an der Seite der Ukraine«
Schon vor der Sitzung macht Selenskyj klar, was die Ukraine benötigt: »Wir brauchen eine schlagkräftige Luftverteidigung – modern, voll wirksam«, sagt er in der Nacht zum Montag in einer Videoansprache. Jede Verzögerung von Waffenlieferungen an die Ukraine sei eine Einladung an Russland, weiter zuzuschlagen. Die G7-Länder verfügten gemeinsam über genug Potenzial, »die russische Aggression gegen die Ukraine und Europa zu stoppen«.
Solidarität mit der Ukraine zählt zu den Hauptbotschaften dieses Gipfels. Deswegen beeilt sich Kanzler Scholz als G7-Vorsitzender nach den Beratungen auch, weitere Hilfe zuzusagen. »Als G7 stehen wir vereint an der Seite der Ukraine und werden unsere Unterstützung fortsetzen«, twittert Scholz. »Dafür werden wir alle schwierige, aber notwendige Entscheidungen treffen.« In einer gemeinsamen Erklärung der G7 heißt es später: »Wir werden weiterhin finanzielle, humanitäre, militärische und diplomatische Unterstützung leisten und stehen an der Seite der Ukraine so lange wie nötig.«
USA wollen wohl Raketenabwehrsystem liefern
Die USA wollen schon sehr bald mehr tun. Nach einem Medienbericht ist die Lieferung eines modernen Boden-Luft-Raketenabwehrsystem geplant, das Ziele in einer Entfernung von mehr als 100 Meilen (rund 160 Kilometer) treffen könne. Vermutlich würden die USA in dieser Woche noch weitere militärische Unterstützung ankündigen, darunter zusätzliche Artilleriemunition und Radargeräte.
Scholz wird dagegen nicht konkret - zumindest was weitere Waffenlieferungen angeht. Er verweist auf die bereits zugesagten und gelieferten Waffen wie die Panzerhaubitze 2000, ein modernes Artilleriegeschütz aus den Beständen der Bundeswehr. »Deutschland liefert sehr viele Waffen, das wird auch überall anerkannt«, sagt Scholz dem ZDF.
»Marshall-Plan« auf den Weg gebracht
Der Kanzler und die G7 bringen ein weiteres Projekt auf den Weg: Wiederaufbauhilfe vor allem für die Zeit nach dem Krieg. Sie seien »bereit, einen internationalen Wiederaufbauplan zu unterstützen«, der von der Ukraine in enger Abstimmung mit bilateralen und multilateralen Partnern ausgearbeitet werde, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Scholz hat für das langfristig angelegte Vorhaben einen griffigen Namen parat. Ein »Marshall-Plan« für die Ukraine solle entstehen, sagte er schon vor dem Gipfel - nach dem Vorbild des Milliarden-Programms, mit dem die USA europäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine halfen.
Selenskyj: »Raketen auf ein Einkaufszentrum«
Selenskyj wurde schon kurz nach seinem Gipfel-Besuch wieder in die bittere Kriegsrealität gerissen. Diesmal wurde die zentralukrainische Stadt Krementschuk getroffen. »Die Besatzer haben mit Raketen auf ein Einkaufszentrum geschossen, in dem mehr als Tausend Zivilisten waren«, schrieb Selenskyj.
In einem Video, das Selenskyj verbreitete, war das brennende Gebäude mit dicken dunklen Rauchwolken zu sehen. Dem stellvertretenden Leiter des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, zufolge sind mindestens zwei Menschen getötet worden. Weitere 20 seien verletzt worden.
Infos der Bundesregierung zur Gruppe der G7-Staaten
Internetseite der deutschen Präsidentschaft
Informationen der bayerischen Polizei
Informationen des Bündnisses Stop G7 Elmau
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