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Gesetzliche Vorgaben für Sterbehilfe vorerst gescheitert

Drei Jahre nach einem wegweisenden Urteil ging es um eine schwierige ethische Frage: Welche Regeln soll der Staat suizidwilligen Menschen und Ärzten setzen? Zwei Vorschläge dazu lagen vor - und fielen durch.

Bundestag
Abgeordnete mit Stimmkarten in der namentlichen Abstimmung zur Suizidhilfe. Foto: Michael Kappeler/DPA
Abgeordnete mit Stimmkarten in der namentlichen Abstimmung zur Suizidhilfe.
Foto: Michael Kappeler/DPA

Für Angebote zur Sterbehilfe in Deutschland gibt es vorerst keinen gesetzlichen Rahmen mit Vorgaben zu Wartezeiten und verpflichtenden Beratungen. Im Bundestag verfehlten zwei Vorschläge dazu am Donnerstag eine Mehrheit.

Das Parlament forderte angesichts von jährlich rund 9000 Suiziden aber einen Ausbau von Angeboten zur Vorbeugung. Hintergrund der Initiativen zweier Abgeordnetengruppen war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ein Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe im Strafgesetzbuch 2020 gekippt hatte - weil es das Recht auf selbstbestimmtes Sterben verletzte. Dabei hat geschäftsmäßig nichts mit Geld zu tun, sondern meint auf Wiederholung angelegt. Regulierungsmöglichkeiten nutzte der Bundestag nun nicht.

In einer sachlich geführten Debatte hatten beide Abgeordnetengruppen um Unterstützung für ihre Vorschläge geworben. Die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr sagte, es gebe so viele Menschen, die sich Sicherheit wünschten, selbstbestimmt gehen zu dürfen, wenn für sie der richtige Zeitpunkt gekommen sei. Dabei dürfe man »nicht schon wieder mit dem Strafrecht drohen«. Lars Castellucci (SPD) sagte für die andere Gruppe, es gelte, begleiteten Suizid zu ermöglichen, aber nicht zu fördern. Wer dies organisiert anbiete und sich nicht an ein Schutzkonzept halte, mache sich dem Entwurf zufolge daher strafbar.

Mehrheit für gemeinsam getragenen Antrag

Für die striktere Regelung der Gruppe um Castellucci und Ansgar Heveling (CDU) stimmten 304 Abgeordnete, mit Nein votierten 363 und 23 enthielten sich. Der andere Entwurf der Gruppe um Helling-Plahr und Renate Künast (Grüne) bekam dann 287 Ja-Stimmen, es gab aber 375 Nein-Stimmen und 20 Enthaltungen. Mit großer Mehrheit angenommen wurde am Ende ein von beiden Gruppen getragener Antrag für einen Ausbau der Suizid-Vorbeugung. Dafür stimmten 688 Abgeordnete, es gab eine Nein-Stimme und vier Enthaltungen. Gefordert wird unter anderem ein bundesweiter Präventionsdienst, der Menschen mit Suizidgedanken und Angehörigen rund um die Uhr online und mit einer einheitlichen Telefonnummer Kontakt zu geschulten Ansprechpartnern ermöglicht.

Beide abgelehnten Gesetzentwürfe sollten Voraussetzungen für eine Suizidhilfe nur für Volljährige festschreiben - auf unterschiedliche Weise. Der Vorschlag der Gruppe Castellucci/Heveling sah dazu ein grundsätzliches Verbot mit Sanktionen im Strafgesetzbuch vor, aber zugleich geregelte Ausnahmen. So sollte festgestellt werden müssen, dass die betroffene Person keine »die autonome Entscheidungsfindung beeinträchtigende psychische Erkrankung« hat und das Sterbeverlangen »freiwilliger, ernsthafter und dauerhafter Natur ist«. Eingeschätzt werden sollte dies von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bei zwei Terminen im Abstand von drei Monaten.

Der Entwurf der Gruppe Künast/Helling-Plahr sah vor: »Jeder, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte, hat das Recht, hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen.« Ärzte und Ärztinnen dürften dann tödliche Arzneimittel dafür verschreiben - aber unter Bedingungen außerhalb des Strafrechts. So sollten solche Mittel frühestens drei Wochen und höchstens zwölf Wochen nach einer vorgegebenen ergebnisoffenen Beratung verordnet werden dürfen.

Lauterbach bedauert »gewisse Rechtsunsicherheit«

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bedauerte, dass keiner der Anträge eine Mehrheit fand. Die jetzige Situation hinterlasse »natürlich eine gewisse Rechtsunsicherheit«. So werde es nun auch auf das eine oder andere Gerichtsurteil ankommen, wie der Rahmen für Suizid-Hilfe auszulegen sei. Lauterbach begrüßte einen vom Bundestag geforderten Suizid-Präventionsplan, an dem schon gearbeitet werde.

Der FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser, der zur Gruppe Castellucci gehörte, sagte, man werde mit etwas Abstand beraten, ob und wie ein neuer Anlauf unternommen werden könnte. Nach der »Nicht-Entscheidung des Bundestags« finde assistierter Suizid leider weiter in einem unregulierten Zustand statt. Die Linke-Abgeordnete Petra Sitte, die zur anderen Gruppe gehörte, bedauerte ebenfalls, dass die Suizidhilfe nun in einem »rechtlichen und medizinischen Graubereich« verbleibe. Sie werde aber weiter stattfinden. Gut sei, dass Suizidhilfe nicht wieder in den Bereich des Strafrechts gestellt worden sei.

Vor ethischem Dilemma bewahrt?

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte es, dass sich der Bundestag gegen beide Entwürfe entschied. »So wird Deutschland vor einem ethischen Dilemma bewahrt«, sagte Vorstand Eugen Brysch. Die Bundesärztekammer nannte es richtig, dass in der dicht gedrängten letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause keine Entscheidung gefallen sei. »Nun haben wir Zeit für die noch nicht ausreichend geführte gesamtgesellschaftliche Debatte«, sagte Präsident Klaus Reinhardt. Als ersten Schritt brauche es ein Gesetz zur Vorbeugung von Suiziden.

Unabhängig von den gescheiterten Initiativen bestehen rechtliche Regeln. So ist Ärztinnen und Ärzten eine »Tötung auf Verlangen« auch auf ausdrücklichen und ernstlichen Wunsch hin verboten, wie es in einer grundsätzlichen Erläuterung der Bundesärztekammer heißt. Indes könnten in bestimmten Situationen »Behandlungsbegrenzungen« geboten sein. So solle ein »offensichtlicher Sterbevorgang« nicht durch Therapien künstlich in die Länge gezogen werden. Zudem dürfe ein Sterben durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer Behandlung ermöglicht werden, wenn dies dem Patientenwillen entspreche.

© dpa-infocom, dpa:230705-99-299329/13