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Gekommen um zu bleiben: Ein Jahr Giorgia Meloni

Als Giorgia Meloni in Italien die Wahl gewann, waren die Sorgen groß, dass das EU-Gründungsmitglied weit nach rechts rücken könnte. Heute sind die Partner recht zufrieden. Aber Meloni will mehr.

Ein Jahr Giorgia Meloni
Ein Jahr ist es her, dass Giorgia Meloni in Italien die Wahl zu Italiens Ministerpräsidentin gewann. Foto: Oliver Weiken/DPA
Ein Jahr ist es her, dass Giorgia Meloni in Italien die Wahl zu Italiens Ministerpräsidentin gewann.
Foto: Oliver Weiken/DPA

Giorgia Meloni im Bundeskanzleramt, im Weißen Haus, vor den Vereinten Nationen: Italiens Ministerpräsidentin ist in der internationalen Politik binnen weniger Monate zu einer festen Größe geworden. Welch Unterschied zum September vor einem Jahr:

Als sie mit ihrer Ultrarechts-Partei Fratelli d'Italia die Wahl gewann, stellte sich halb Europa die Frage, wie nun mit ihr umzugehen sei. Das hat sich erledigt. Meloni macht international bella figura: Beim Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa gab es sogar Wangenküsschen.

Zuhause in Rom, in der Koalition mit zwei weiteren Rechtsparteien, ist die 46-Jährige unbestritten die Nummer eins. Nach zwölf Monaten stimmen auch die Umfragewerte noch - keineswegs eine Selbstverständlichkeit, schon gar nicht in Italien.

Die Fratelli d'Italia (Brüder Italiens, benannt nach der ersten Zeile der Nationalhymne, mit Wurzeln in der postfaschistischen Bewegung) liegen aktuell um die 28 Prozent, zwei Punkte über dem Wahlergebnis. Melonis persönliche Sympathiewerte sind noch höher.

Meloni klagt über »24 Stunden Achterbahn«

Italiens erste Frau an der Regierungsspitze ist gekommen, um zu bleiben. In der Zeitschrift »Chi« klagte die Mutter einer siebenjährigen Tochter zwar darüber, dass ihre Tage jetzt aus »24 Stunden Achterbahn« bestünden.

»Manchmal wünschst Du Dir auszusteigen, einen Moment innezuhalten und ins normale Leben zurückzukehren. Aber das kommt Dir nur für ein paar Augenblicke in den Sinn und ist dann gleich wieder weg.«

Die jetzige Legislaturperiode dauert noch vier Jahre. Solange halten es italienische Regierungschefs eigentlich nie aus. Der Rechtsnationalistin traut man das zu. Den staatlichen Fernsehsender RAI hat sie weitgehend auf Linie gebracht.

Manche spötteln schon über »Tele-Meloni«. Vom Privatfernsehen ist wenig zu befürchten. Viele Sender gehören der Familie von Silvio Berlusconi, der bis zu seinem Tod vor dreieinhalb Monaten als Chef der Forza Italia mitregierte.

Galionsfigur von Europas »neuer Rechter«?

Auch der andere Koalitionspartner, die Lega von Verkehrsminister Matteo Salvini, bereitet bislang keine wesentlichen Probleme. Die Opposition - jetzt ebenfalls mit einer Frau, der Sozialdemokratin Elly Schlein - ist noch sehr mit sich selbst beschäftigt.

Die meisten richten sich deshalb darauf ein, dass Meloni tatsächlich länger bleibt. Manche mutmaßen gar, dass sie europaweit zur Galionsfigur einer »neuen Rechten« werden könnte. Solche Prognosen, auch das zeigt die Erfahrung, können sich als trügerisch erweisen.

Einige sind durchaus der Meinung, dass Italien ein heißer Herbst bevorstehen könnte. Nicht wegen der Außenpolitik. Hier verfolgt Meloni einen sehr pragmatischen Kurs. Die schrillen Töne aus dem Wahlkampf, als sie die EU für so gut wie alles Schlechte verantwortlich machte, sind verschwunden.

Das hängt auch mit dem schlechten Zustand der Staatsfinanzen zusammen: Die knapp 200 Milliarden Euro, die das EU-Gründungsmitglied zur Bewältigung der Corona-Folgen versprochen bekam, braucht Meloni unbedingt.

Im Ukraine-Krieg steht sie verlässlich an der Seite der westlichen Partner gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Gegenüber Peking hat sich der Kurs geändert, auch das im Einklang mit den Partnern: Derzeit ist Meloni bemüht, aus dem chinesischen Projekt einer »Neuen Seidenstraße« auszusteigen, wo Italien bislang als einzige große westliche Industrienation dabei ist.

Mit Wahlversprechen im Verzug

Dass die Stimmung kippen könnte, hängt mit anderen Fragen zusammen - insbesondere mit dem Thema Migration. Im Wahlkampf hatte Meloni versprochen, die »Invasion aus Afrika« zu beenden.

Passiert ist das Gegenteil: Seit Anfang Januar kamen mehr als 130.000 Migranten übers Mittelmeer nach Italien - doppelt so viele wie um diese Zeit vor einem Jahr. Auf der Insel Lampedusa waren es an einem einzigen Septembertag mehr als 5000.

Die Zeitung »La Repubblica« titelte heute »Das schwarze Jahr«. Mit der Migrationspolitik sei Meloni auf ganzer Linie gescheitert. Die Regierungschefin selbst gab in der RAI zu: »Die Ergebnisse sind nicht die, die wir erhofft haben.« Nun hat sie den Ton wieder verschärft. Die mögliche Abschiebehaft gegen Migranten wurde aufs zulässige EU-Maximum von 18 Monaten verlängert. Zudem sollen weitere Abschiebezentren gebaut werden. Vor den Vereinten Nationen forderte sie, Menschenhändlern den »globalen Krieg« zu erklären.

Aber auch mit anderen Wahlversprechen ist Meloni im Verzug. Italiens Wirtschaft ist im zweiten Quartal geschrumpft. Hinzu kommt die hohe Inflation. Immer noch gibt es keinen Mindestlohn. Kritik handelte sie sich zudem ein, weil fast 170.000 Empfänger von »Bürgergeld« per Handy-Nachricht darüber informiert wurden, dass die Sozialhilfe gestrichen werde.

Die Gewerkschaften nennen das eine »soziale Bombe«. Auch das sehr traditionelle Familienbild der Fratelli d'Italia gefällt vielen nicht. Meloni lebt übrigens ohne Trauschein mit dem TV-Journalisten Andrea Giambruno zusammen.

© dpa-infocom, dpa:230924-99-312205/5