Die inhaftierte Frauenrechtsaktivistin Narges Mohammadi aus dem Iran wird in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. 20 Jahre nach der Auszeichnung ihrer Landsfrau Schirin Ebadi bekommt Mohammadi den prestigeträchtigen Preis »für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle«. Das gab das norwegische Nobelkomitee am Freitag in Oslo bekannt. Mohammadi ist die 19. Frau, die mit dem Friedensnobelpreis geehrt wird, und die zweite aus dem Iran.
Schon seit ihrer Zeit als Studentin vor rund drei Jahrzehnten habe Mohammadi ein Leben mit einem »kalkulierten Risiko« geführt, sagte die Vorsitzende des Nobelkomitees, Berit Reiss-Andersen, bei der Preisbekanntgabe. Ihr mutiger Kampf sei mit enormen persönlichen Kosten einhergegangen, insgesamt 13 Mal sei sie festgenommen und 5 Mal verurteilt worden. Die Strafen beliefen sich zusammengenommen auf 31 Jahre Gefängnis und 154 Peitschenhiebe. »Während ich spreche, ist Frau Mohammadi immer noch im Gefängnis«, resümierte die Norwegerin.
Reiss-Andersen machte deutlich, dass der Nobelpreis auch die gesamte Bewegung würdige, die unter dem Slogan »Frau, Leben, Freiheit« Hunderttausende Menschen im Protest auf die iranischen Straßen gebracht hat. »Dieser Preis ist in erster Linie eine Anerkennung der sehr wichtigen Arbeit einer ganzen Bewegung im Iran mit ihrer unangefochtenen Anführerin Narges Mohammadi«, sagte Reiss-Andersen.
Freilassung gefordert
Mohammadi zählt zu den bekanntesten Menschenrechtsaktivistinnen im Iran. Aktuell verbüßt die 51-Jährige eine langjährige Haftstrafe im berüchtigten Ewin-Gefängnis in Teheran. Ende 2022, während der landesweiten Aufstände gegen Irans Machtapparat, brachte Mohammadi einen Bericht ans Licht, der mutmaßliche Folter an Dutzenden Frauen im Hochsicherheitsgefängnis aufdeckte.
Aus der Haft heraus schaffte sie es immer wieder, Interviews für internationale Medien zu geben oder Briefe zu veröffentlichen. »Je mehr von uns sie einsperren, desto stärker werden wir«, war ihre Botschaft in einem Gastbeitrag in der »New York Times«, der zum ersten Jahrestag des Todes der jungen iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini im September veröffentlicht wurde.
Statement aus der Haft
Auch diesmal schien sie es zu schaffen, trotz ihrer Inhaftierung mit der Außenwelt zu kommunizieren. »Ich werde nie aufhören, für die Verwirklichung von Demokratie, Freiheit und Gleichheit zu kämpfen«, zitierte die »New York Times« aus einem Statement. Sie werde weiter »gegen die unerbittliche Diskriminierung, Tyrannei und geschlechtsspezifische Unterdrückung durch die repressive religiöse Regierung kämpfen, bis die Frauen befreit sind«.
Es war unklar, ob die Erklärung von Mohammadi selbst stammte oder von ihrer Familie veröffentlicht wurde. Offen blieb auch, ob und wie sie die Nachricht von ihrer Auszeichnung erhalten hat: Der norwegische Rundfunksender NRK berichtete, Mohammadi habe noch nicht außer Landes telefonieren dürfen, die Neuigkeit aber »auf eine Weise« im Gefängnis überbracht bekommen.
Tod Aminis war Auslöser der Aufstände im Iran
Die Aufstände im Iran waren im September 2022 durch den Tod von Amini ausgelöst worden. Islamische Sittenwächter hatten die damals 22-Jährige wegen eines angeblich nicht richtig getragenen Kopftuchs festgenommen. Was genau danach geschah, ist bis heute ungeklärt - letztlich fiel Amini ins Koma und starb in einem Krankenhaus. Vor allem junge Menschen gingen in der Folge gegen die repressive Politik der islamischen Führung auf die Straße. Die Proteste wurden gewaltsam niederschlagen, sieben Männer hingerichtet. Als Zeichen des stillen Protests ignorieren bis heute viele Frauen die Kopftuchpflicht.
Nun wirft der prestigeträchtigste politische Preis der Erde neues Schlaglicht auf die Lage der Frauen im Iran. Die Vereinten Nationen forderten nach der Nobelpreis-Bekanntgabe die Freilassung von Mohammadi und aller inhaftierten Menschenrechtsverteidiger im Iran. UN-Generalsekretär Antonio Guterres betonte: »Dieser Friedensnobelpreis ist eine Hommage an alle Frauen, die unter Einsatz ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit und sogar ihres Lebens für ihre Rechte kämpfen.« Aus aller Welt wurde Mohammadi gratuliert. »Trotz aller persönlicher Entbehrungen und Ihrer eigenen Inhaftierung erheben Sie weiterhin Ihre Stimme gegen die Unterdrückung der Frauen«, würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Irans Regierung nannte die Auszeichnung Mohammadis ein »parteiisches und politisch motiviertes Vorgehen«, das mit »anti-iranischer« Politik einiger europäischer Länder im Einklang stehe.
Auch im Vorjahr ging der Preis ins Gefängnis
Schon im Vorjahr war mit dem Belarussen Ales Bjaljazki ein in Haft sitzender Vorkämpfer für die Menschenrechte unter den Preisträgern gewesen. Er hatte den Friedensnobelpreis damals gemeinsam mit den Menschenrechtsorganisationen Memorial aus Russland und Center for Civil Liberties aus der Ukraine erhalten. Mohammadi und Bjaljazki hätten gemeinsam, dass sie für grundlegende Menschenrechte kämpften und dafür alles verloren hätten, sagte Reiss-Andersen. »Sie sind isoliert von Familie, Freunden, dem Rest der Welt. Die Kosten für sie persönlich können wir uns kaum vorstellen«, sagte sie.
Die Nobelpreise gehen auf das Testament des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896) zurück. Sie sind in diesem Jahr mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund 950.000 Euro) pro Kategorie dotiert und damit mit einer Million Kronen mehr als in den Vorjahren. Feierlich überreicht werden sie traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Nobel. Fraglich ist, ob die iranische Führung Mohammadi dafür nach Oslo reisen lässt oder ihr Stuhl bei der Preisverleihung leer bleiben wird. »Wenn die iranischen Behörden die richtige Entscheidung treffen, dann werden sie sie freilassen, damit sie diese Ehre empfangen kann«, sagte Reiss-Andersen.
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