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Flüchtlingsgipfel in wenigen Wochen

Vielerorts fehlen bezahlbarer Wohnraum, Kitaplätze und Lehrkräfte für Deutsch-Kurse. Die Flüchtlingsversorgung ist für die Kommunen eine große Herausforderung. Muss sich Scholz deshalb selbst einschalten?

Flüchtlinge in Notunterkunft
Bundesinnenministerin Nancy Faeser plant einen Flüchtlingsgipfel. Foto: Felix Kästle
Bundesinnenministerin Nancy Faeser plant einen Flüchtlingsgipfel.
Foto: Felix Kästle

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will Ende Februar oder Anfang März einen neuen Flüchtlingsgipfel organisieren. Denn inzwischen klagen immer mehr Kommunen über Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Integration von Schutzsuchenden. Das Treffen mit den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und der Innenministerkonferenz solle innerhalb der nächsten zwei bis drei Wochen stattfinden, sagte der Sprecher ihres Ministeriums, Maximilian Kall, in Berlin. Ob das ausreicht, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Die Ankündigung dieses Treffens sei »sicher nicht falsch, aber es reicht nicht«, sagte der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour nach einer Sitzung des Bundesvorstandes seiner Partei in Berlin. Denn auf allen Ebenen herrsche ein hoher »Handlungsdruck«. Die Bundesinnenministerin müsse sich um eine bessere Verteilung der Schutzsuchenden innerhalb Deutschlands kümmern und um ein größeres Angebot an Deutsch-Kursen. Ein drittes Problemfeld sei der fehlende Wohnraum.

Kommunen fordern Unterstützung des Bundeskanzlers

Der Deutsche Landkreistag will, dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) selbst um die Begrenzung von irregulärer Migration und die Probleme bei der Versorgung von Flüchtlingen kümmert. Präsident Reinhard Sager mahnt: »Es fehlt an Wohnungen, an Kitaplätzen, an Lehrern für Schulen und Sprachkurse. Auch deshalb vergrößern sich die gesellschaftlichen Spannungen.« In dieser Lage bräuchten die Landkreise politische Unterstützung aus dem Kanzleramt. Nur Scholz habe die »übergreifende Kompetenz in allen uns berührenden Fragen«.

Einen Flüchtlingsgipfel bei der Bundesinnenministerin hatte es zuletzt im Oktober vergangenen Jahres gegeben. Damals hatte Faeser weitere Bundesimmobilien für die Unterbringung von Geflüchteten angeboten. Ihr Sprecher sagte nun, der Bund habe insgesamt Unterkünfte für 67.877 Menschen zur Verfügung gestellt. Davon würden etwa 64 Prozent genutzt.

Union will »größeren Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt«

Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), forderte im ZDF-»Morgenmagazin« ebenfalls »einen größeren Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt«. Viele Kommunen hätten keine Kapazitäten mehr, um weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Die CSU-Politikerin forderte, Anreize zu beseitigen, die für einen zusätzlichen Flüchtlingsstrom sorgten. Der Sprecher des Bundesinnenministeriums betonte, dass sich Faeser zur Frage der Versorgung der Flüchtlinge laufend mit dem Bundeskanzler abstimme.

Die Abgeordnete Clara Bünger (Linke) meint, wichtig sei, dass die Kommunen Unterstützung erhielten, egal ob das Treffen im Kanzleramt oder bei Faeser stattfinde. Bünger regte an, »das starre Verteil- und Unterbringungssystem für Asylsuchende infrage zu stellen«. Anstatt sich strikt an einem Kapazitätsschlüssel der Länder zu orientieren, wie es bisher Praxis sei, müsse nach den sozialen Netzwerken und Bedarfen der ankommenden Menschen gefragt werden.

Mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine

In Deutschland hatten im vergangenen Jahr 217.774 Menschen erstmals Asyl beantragt - so viele wie seit 2016 nicht mehr. Die meisten dieser Asylbewerber stammten aus Syrien, Afghanistan, der Türkei, aus dem Irak und aus Georgien. Deutschland hat seit Beginn des russischen Angriffskrieges vor knapp einem Jahr zudem mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, die keinen Asylantrag stellen müssen.

Über Finanzhilfe des Bundes an die Länder war bei einer Ministerpräsidentenkonferenz Anfang November entschieden worden. Der Bund stellte damals zusätzliche 1,5 Milliarden Euro für die Versorgung von Geflüchteten unter anderem aus der Ukraine im Jahr 2022 bereit. Zuvor waren bereits zwei Milliarden Euro speziell für die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zugesagt worden. Für 2023 wurde vereinbart, dass der Bund 1,5 Milliarden Euro für die Ukraine-Flüchtlinge zahlt. Für Schutzsuchende aus anderen Ländern wurde eine jährliche Pauschale von 1,25 Milliarden Euro angekündigt.

Den Kommunen helfe es nicht, auf pauschale Bundeszahlungen an die Länder verwiesen zu werden, merkte Sager vom Landkreistag an. Er forderte »eine wirkungsvolle und direkte Unterstützung der Kommunen seitens des Bundes«. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), sieht hier vor allem die Landesregierungen in der Pflicht. Sie sagte: »Ich erwarte, dass die Länder die massive Unterstützung vom Bund eins zu eins an die Kommunen weitergegeben.«

Europäische Lösung bei unerlaubten Einreisen unrealistisch

Die finanziellen Fragen sind für die Städte und Gemeinden zwar sehr wichtig. Mehr Engagement erwarten die kommunalen Spitzenverbände von der Bundesregierung aber auch bei der Reduzierung der Zahl der unerlaubten Einreisen. Zudem werden Fortschritte bei der Unterstützung der Länder bei der Rückführung von ausreisepflichtigen Ausländern angemahnt.

An diesem Freitag empfängt Faeser die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Doch auf eine kurzfristige europäische Lösung zu hoffen, ist hier wohl unrealistisch. Denn in der Frage der Finanzierung von Grenzzäunen mit EU-Mitteln sind die Mitgliedstaaten uneins. Deutschland gehört zu denjenigen, die dagegen sind. Genauso ist es bei der Frage, ob man Herkunftsstaaten, die bei der Rücknahme ihre Staatsbürger nicht richtig kooperieren, über die EU-Visapolitik unter Druck setzen sollte. Meinungsverschiedenheiten gibt es aktuell auch, was den Umgang mit Schiffen von Seenotrettern angeht, die italienische Häfen ansteuern. »Wir wollen legale Fluchtwege nach Deutschland. Wir wollen, dass die gefährlichen Fluchtrouten über das Mittelmeer aufhören«, sagte Faeser am Rande einer Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion.

© dpa-infocom, dpa:230205-99-484892/7