Sie kommen aus Somalia, dem Jemen, Syrien und der Türkei: Migranten, die über Russland anreisen und Asyl in Finnland beantragen. Die erforderlichen Einreisepapiere haben sie nicht dabei, dafür aber meist Fahrräder.
Ihre Zahl hat nach finnischen Angaben in jüngster Zeit stark zugenommen. Kurz vor der angekündigten Schließung von vier Grenzübergängen zu Russland hat der finnische Grenzschutz dort Dutzende weitere Asylbewerber registriert. Bis 18.00 Uhr (Ortszeit) hätten sich 96 Menschen gemeldet, teilte der Grenzschutz in Südostfinnland am Freitag auf der Plattform X, ehemals Twitter, mit. Am gesamten Vortag seien es in der Gegend 26 Asylbewerber gewesen.
Berichte von Geflüchteten
Die finnische Regierung wirft Russland vor, anders als früher üblich Menschen trotz fehlender Dokumente nach Finnland reisen zu lassen. Ministerpräsident Petteri Orpo kritisierte am Dienstag, russische Grenzschützer hätten die Leute sogar bis an die Grenze gebracht. Präsident Sauli Niinistö sagte, er habe schon früher darauf hingewiesen, dass Finnland wegen seines Nato-Beitritts mit sogenannten Bosheiten Russlands rechnen müsse.
Asylbewerber bestätigten Orpos Vorwürfe. Die russische Polizei habe ihn gefragt, ob er nach Finnland wolle und angeboten, ihm zu helfen, sagte ein Asylbewerber der finnischen Nachrichtenagentur STT. Er habe sich erst nicht getraut, die Wahrheit zu sagen. »Wir hatten Angst«, berichtete der Mann, der nur seinen Vornamen Can nannte.
Er sei aus der Türkei mit einem Freund nach St. Petersburg geflogen, weil ein Visum dafür schnell zu bekommen sei. Ein russisches Armeefahrzeug habe ihn zu einer Art Polizeistation zwischen Wyborg und der finnischen Grenze gebracht. Dort habe man ihn angewiesen, ein Taxi zu nehmen.
Can sagte, das sei aber kein gewöhnliches Taxi gewesen, sondern eines, dass auch Fahrräder transportiert habe. Die hätten sie dann kaufen müssen. Der Chauffeur habe sie bis kurz vor die Grenze gebracht und ihm hinterhergebrüllt: »Ihr werdet erwartet.« Offenbar habe der Fahrer eine Absprache mit den Behörden gehabt, vermutete er.
Im Aufnahmezentrum Joutseno berichteten vier Asylbewerber aus dem Irak der Zeitung »Helsingin Sanomat«, sie hätten 100 bis 400 Dollar für ein Fahrrad bezahlen müssen, je nachdem wie viel Geld sie dabei hatten. Die Räder seien am Straßenrand von einem Anhänger verkauft worden. Fünf Menschen aus Somalia sagten der Zeitung am Grenzübergang Nuijamaa: »Die russischen Grenzbehörden erlauben es nicht, zu Fuß zu gehen, man muss ein Fahrrad haben.«
Finnland will Grenzen schließen
Die Situation an der finnisch-russischen Grenze hat sich auch in sozialen Medien herumgesprochen. Der öffentlich-rechtliche Sender YLE und »Helsingin Sanomat« berichten, bei Facebook und Tiktok werde auf Arabisch für sichere Reisen über Russland ins EU-Mitgliedsland Finnland geworben.
»Russland hat die Ostgrenze Finnlands für die Einwanderung geöffnet. Jeder sollte seinen Freunden sagen, dass diese Route einen Versuch wert ist«, hieß es in einem Video, das auf Tiktok zusammen mit einer Karte der finnisch-russischen Grenzübergänge veröffentlicht wurde.
Russland kritisierte den Schritt. Er sei »Ausdruck der neuen Trennlinien in Europa, die keine Fragen lösen, sondern - im Gegenteil - nur neue problematische Fragen schaffen«, sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa der Tageszeitung »Iswestija«.
Ähnliche Situation in Estland
Am Donnerstag berichtete auch Estland von Migranten an der russischen Grenze ohne gültige Papiere. Innenminister Lauri Läänemets sagte, die acht Somalier seien zurückgeschickt worden. Er sprach von einem »hybriden Angriff«. Nach Angaben der Kontrollstelle in Narva gab es in der Nacht zu Freitag keine neuen Einreiseversuche. Läänemets betonte im Fernsehen, Estland sei auf alles vorbereitet und bei Bedarf auch bereit, Grenzpunkte zu schließen.
In Finnland meldete der Grenzschutz kurz nach Bekanntgabe der Grenzschließung, am weit im Norden gelegenen Grenzübergang Vartius seien 18 Menschen ohne die notwendigen Papiere eingetroffen, die nach ersten Informationen aus dem Jemen, Syrien und Somalia stammen. Sie seien die ersten gewesen, die 2023 in dieser Gegend einen Asylantrag gestellt hätten.
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