Der Weltsicherheitsrat hat eine Gaza-Resolution mit der Forderung nach tagelangen Feuerpausen angenommen. Nach langem Ringen einigte sich das mächtigste UN-Gremium in New York auf den gemeinsamen Beschluss.
Die USA verzichteten auf ein Veto und enthielten sich, genauso wie Russland und Großbritannien. 12 der insgesamt 15 Ratsmitglieder stimmten für den Text. Israel erteilte der Forderung nach längeren Feuerpausen angesichts der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln umgehend eine Absage.
Resolutionen des Sicherheitsrats sind völkerrechtlich bindend und können so eine internationale Wirkmacht entfalten. Rechtlich sind alle UN-Mitgliedstaaten dazu angehalten, die Beschlüsse des mächtigsten UN-Gremiums zu befolgen. Ansonsten kann der Rat Sanktionen verhängen oder theoretisch sogar militärisch eingreifen. Im Falle des Nahost-Konflikts ist dies wegen des Vetorechts vor allem der USA jedoch nicht realistisch.
Israel wird namentlich im gesamten Dokument nicht genannt
Die von Ratsmitglied Malta eingebrachte Resolution verlangt unter anderem »dringende und ausgedehnte humanitäre Pausen und Korridore im gesamten Gazastreifen für eine ausreichende Anzahl von Tagen«, um im Einklang mit dem Völkerrecht humanitäre Hilfe zu gewährleisten. Es ist dabei aber nicht die Rede von einem formalen Waffenstillstand. Der Text fokussiert dabei stark auf das Leid der palästinensischen Minderjährigen. Ausgedrückt wird die »tiefe Besorgnis über die humanitäre Lage im Gazastreifen und ihre schwerwiegenden Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, insbesondere die unverhältnismäßigen Auswirkungen auf Kinder«.
Alle Konfliktparteien werden zur Einhaltung des Völkerrechts angehalten, eine »Zwangsumsiedlung der Zivilbevölkerung« werde abgelehnt, lebensnotwendige Dienste dürften den Menschen im Gazastreifen nicht vorenthalten werden. Diese Positionen sind Diplomaten zufolge im Hinblick auf das Vorgehen Israels in der Region zu verstehen - namentlich wird das Land jedoch im gesamten Dokument nicht genannt. Die islamistische Hamas erwähnt der Text nur in der Forderung, die in den Gazastreifen verschleppten israelischen Geiseln freizulassen.
Reaktion von Israels Außenministerium
Israels Außenministerium teilte in einer Reaktion auf die Resolution mit, man lehne längere humanitäre Feuerpausen ab, solange 239 Geiseln in der Gewalt der islamistischen Hamas seien. »Israel ruft den Weltsicherheitsrat und die internationale Gemeinschaft dazu auf, entschlossen die Freilassung aller israelischen Geiseln zu fordern, wie es die Resolution festlegt«, hieß es in der Stellungnahme. »Israel erwartet vom Weltsicherheitsrat, die Hamas eindeutig zu verurteilen und sich zu der Notwendigkeit zu äußern, im Gazastreifen eine neue Sicherheitslage zu schaffen.«
Es war bis kurz vor der Abstimmung fraglich, ob die USA als engster Verbündeter Israels die Annahme der Resolution tolerieren könnten. Im Oktober hatte Washington sein Veto für einen Entwurf unter anderem deswegen eingelegt, weil dieser das Recht auf Selbstverteidigung Israels nicht betonte. Der nun angenommene Beschluss geht darauf ebenfalls nicht ein, auch gibt es keine Verurteilung des Hamas-Massakers vom 7. Oktober mit rund 1200 Toten. Die USA haben wie China, Russland, Frankreich und Großbritannien ein Vetorecht. Zudem hat der Rat zehn auf zwei Jahre gewählte Mitgliedstaaten. Eine Resolution braucht mindestens 9 der 15 Stimmen, dabei darf es kein Veto geben.
US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield kritisierte nach dem Votum, dass »einige Mitglieder des Rates« noch immer nicht bereit seien, den Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober zu verurteilen. Sie erinnerte ihren Verbündeten Israel jedoch auch daran, dass alle Kriegsparteien das Völkerrecht einhalten müssten: »Die Maßnahmen der Hamas verringern nicht die Verantwortung Israels, unschuldige Menschen in Gaza zu schützen.« Großbritannien betonte, dass es wegen der fehlenden Verurteilung des Terrors nicht für den Vorschlag habe stimmen können.
Rolle der USA
UN-Experte Richard Gowan von der Denkfabrik Crisis Group erklärte, US-Botschafterin Thomas-Greenfield scheine gegenüber Washington klargemacht zu haben, »dass die USA nach wochenlanger Blockade von Fortschritten irgendeine Art von Aktion im Rat zulassen müssen.« Dabei hätten die Vereinigten Staaten darauf geachtet, die Forderung nach einem formalen Waffenstillstand in dem Text zu vermeiden.
»Letztendlich haben die USA also ihr Hauptziel erreicht, den Rat auf humanitäre Maßnahmen zu konzentrieren und nicht eine vollständige Beendigung des Krieges zu fordern«, so Gowan. Russland war in der Sitzung am Mittwoch damit gescheitert, die Forderung nach einem endgültigen Stopp der Kampfhandlungen und nach einem Waffenstillstand in den Entwurf zu integrieren.
Die Botschafterin der bei dem Konflikt sehr aktiven Vereinigten Arabischen Emirate sprach angesichts der Einigung auf die Resolution von einem ersten überfälligen Schritt: »Die VAE sind jedoch weiterhin entschlossen, auf einen dauerhaften humanitären Waffenstillstand hinzuarbeiten. Dieses dringende Ziel dürfen wir nicht aus den Augen verlieren«, sagte Lana Zaki Nusseibih.
Der Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Louis Charbonneau, schrieb auf X (vormals Twitter), die Resolution sollte »ein Weckruf für die israelischen Behörden sein, dass die weltweite Besorgnis, sogar unter ihren Verbündeten, groß ist«. Endlich hätten die USA aufgehört, den Sicherheitsrat zum Thema Israel und Palästina »zu lähmen, so dass diese Resolution zur Notlage der Kinder in Gaza vorankommen konnte«.
Auf dem Weltsicherheitsrat lag immenser Druck, nach Wochen der Verhandlungen um eine gemeinsame Position zu handeln. Bis zum Mittwoch waren Entwürfe unter anderem aber an den Vetos der USA auf der einen Seite sowie Russlands und Chinas auf der anderen Seite gescheitert. Eine deutlich Israel-kritischere Resolution hatte die UN-Vollversammlung mit seinen 193 Mitgliedern Ende Oktober mit großer Mehrheit beschlossen. Deutschland hatte sich damals enthalten. Dieser Beschluss war völkerrechtlich nicht bindend.
© dpa-infocom, dpa:231115-99-958396/7