Nach der bundesweiten Razzia gegen die Letzte Generation hat sich FDP-Bundesvize Johannes Vogel für mehr politische Debatte über den Klimaschutz ausgesprochen. Jede Aktion der Umweltaktivisten führe dazu, »dass eine wütende Bürgerin und ein wütender Bürger mehr in diesem Land entsteht und Menschen gegen das Ziel Klimaschutz aufgebracht werden«, sagte Vogel im ARD-»Morgenmagazin«. Das leiste dem Anliegen einen Bärendienst.
Wichtiger ist es aus Sicht des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der FDP-Fraktion, mehr über die wirksamsten Maßnahmen zu reden, um in 22 Jahren klimaneutral zu sein. Polizei und Staatsanwaltschaft waren am Mittwoch mit einer bundesweiten Razzia gegen die Klimaschutzgruppe vorgegangen. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.
CDU-Chef Friedrich Merz lehnte im »RTL/ntv-Frühstart« am Donnerstag ein Treffen mit den Aktivisten ab: »Nein, das werde ich sicherlich nicht tun. Und das Beispiel von Herrn Wissing zeigt mir, dass das völlig sinnlos ist«, sagte Merz. »Das sind Straftäter und keine Gesprächspartner«, betonte der CDU-Politiker. Es sei richtig, dass Polizei und Staatsanwaltschaft konsequent gegen die Klimaschutzgruppe vorgehen und diejenigen, die sie finanzieren, schrieb er auf Twitter.
Kühnert sieht Letzte Generation »auf dem Holzweg«
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert bezweifelt, dass die Aktionen der Letzten Generation den Klimaschutz in Deutschland entscheidend voranbringen. Nach vielen Monaten dieser Aktionsform hätten sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für energischeren, radikaleren Klimaschutz »eher nicht verbessert«. »Und wenn das die Analyse ist, dann sollte man sich, glaube ich, die Frage stellen, ob man nicht vielleicht auf dem Holzweg mit den Aktionsformen unterwegs ist«, sagte Kühnert im Podimo-Podcast »Stand der Dinge«, der von der Deutschen Presse-Agentur produziert wird.
Er nehme Menschen sehr ernst, die für eine Sache in vollem Bewusstsein Regeln brächen und Konsequenzen in Kauf nähmen. Aber er rate dazu, nach vielen Monaten des Aktivismus »einfach mal einen Kassensturz« zu machen und zu schauen, was sich in der Gesellschaft verändert habe, sagte der 33-Jährige. Die Frage sei, ob Leute mit durchschnittlichem Einkommen und Wohnsituation jetzt anders auf ihr Auto, ihr Haus, ihren Konsum blickten und zu Veränderungen bereit seien. »Und das kann ich einfach nicht erkennen.«
Die bundesweite Razzia gegen die Letzte Generation spiele für seine Bewertung keine größere Rolle, sagte Kühnert. Ob es sich um eine kriminelle Vereinigung handele, könne er nicht bewerten.
Rund 170 Beamte hatten bei der Razzia am Mittwochmorgen 15 Wohnungen und Geschäftsräume der Klimaschutzgruppe in sieben Bundesländern durchsucht, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das bayerische Landeskriminalamt mitteilten. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.
Kriminelle Vereinigung oder legitimer Protest?
Unter Juristen ist umstritten, ob die Letzte Generation nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs als kriminelle Vereinigung eingestuft werden kann. Eine gerichtliche Feststellung dazu gibt es noch nicht. Verschiedene Staatsanwaltschaften ermitteln aber in diese Richtung. Andere wiederum sehen bisher keinen Anfangsverdacht.
Laut Gesetz muss »der Zweck oder die Tätigkeit« einer kriminellen Vereinigung auf die Begehung von Straftaten gerichtet sein. Nicht angewendet werden kann die Vorschrift, »wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist«.
Dass die Klimaaktivisten Straftaten begehen, ist in vielen Fällen gerichtlich festgestellt worden. Die Blockade des Autoverkehrs wurde inzwischen von mehreren Gerichten als Nötigung eingestuft, auch Haftstrafen ohne Bewährung wurden verhängt. Andere Gerichte sahen das nicht so.
Sind die Sitzblockaden politische Kundgebungen?
Die Aktivisten weisen darauf hin, dass ihr eigentliches Ziel ist, öffentlich Aufmerksamkeit für die Klimakrise zu erregen. Demnach könnten die Sitzblockaden als spontane politische Kundgebungen angesehen werden, die unter die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit fällt.
Dennoch nehmen Aktivisten der Letzten Generation bewusst in Kauf, dass ihre Aktionen als strafbar eingestuft werden können - etwa als Nötigung, Sachbeschädigung oder gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr. Der Strafrechtsprofessor Thomas Fischer kommt in einer Analyse bei »Legal Tribune Online« sogar zu dem Schluss, die Begehung »möglichst spektakulärer Straftaten« präge das Erscheinungsbild der Organisation geradezu. Entscheidungsstruktur und Logistik der Gruppe seien auf strafbare Aktionen ausgerichtet.
Außerdem ist zu bedenken, dass auch schwerwiegendere Straftaten als Anklebe-Aktionen auf Straßen oder an Kunstwerken beziehungsweise Farbbeutel-Attacken im Raum stehen, etwa versuchte Sabotageaktionen an einer Öl-Pipeline von Italien nach Bayern sowie auf dem Gelände der Raffinerie in Schwedt. Vor diesem Hintergrund könnte sich der Vorwurf, die Gruppe sei eine kriminelle Vereinigung, möglicherweise leichter vertreten lassen.
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