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Faktencheck: Behauptungen zu EU-Naturschutzgesetz fragwürdig

Mit dem Naturschutzgesetz will die EU-Kommission etwas für die Ökosysteme tun. Vor allem die Christdemokraten wettern gegen diese Pläne - doch die Behauptungen führen teils in die Irre. Ein Faktencheck.

Natur
Morgenröte im baden-württembergischen Riedlingen. Foto: Thomas Warnack/DPA
Morgenröte im baden-württembergischen Riedlingen.
Foto: Thomas Warnack/DPA

Moore renaturieren, Wälder aufforsten und Städte begrünen: Die EU will etwas für die Umwelt und gegen den Klimawandel und das Artensterben unternehmen. Für das »Gesetz zur Wiederherstellung der Natur« gab es jüngst im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments keine Mehrheit, heute soll das ganze Plenum darüber diskutieren. Weil etwa die Bedürfnisse von Bauern dabei aus Sicht einer Reihe von Abgeordneten zu wenig berücksichtigt wurden, machten vor allem die Christdemokraten der EVP-Fraktion Stimmung dagegen. Drei ihrer Behauptungen im Faktencheck.

Behauptung: Bauern würden gezwungen, zehn Prozent ihres Agrarlandes aufzugeben, heißt es von der Fraktion.

Bewertung: Irreführend.

Fakten: Die Christdemokraten beziehen sich dabei auf eine Passage im Gesetzentwurf, in der es heißt: Bis 2030 sollten mindestens zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche »mit Landschaftselementen mit großer biologischer Vielfalt« gestaltet werden. Dies wurde in der rechtlich unverbindlichen EU-Biodiversitätsstrategie bereits 2020 festgehalten, die im Jahr darauf vom EU-Parlament mit 515 Ja- zu 90 Nein-Stimmen bei 86 Enthaltungen angenommen wurde. Dafür stimmten damals auch Dutzende EVP-Politiker.

Zwar ist vorgesehen, dass diese Landschaftselemente nicht produktiv landwirtschaftlich genutzt werden dürfen, aber es gibt Ausnahmen: So können »produktive Bäume« wie etwa Obstbäume laut Gesetzentwurf in bestimmten Fällen als solche Landschaftselemente mit großer biologischer Vielfalt angesehen werden. Auch der Anbau etwa von Brombeeren wäre als Element einer Hecke auf diesen Flächen gestattet. Bäume und Beeren dürften aber nicht gedüngt oder mit Pestiziden behandelt und bei der Ernte müsse Rücksicht auf Tiere genommen werden, heißt es. Zudem könnten auch Brachflächen diese Anforderungen erfüllen.

Es geht also nicht darum, diese Flächen komplett aufzugeben. Bei der im englischen Post von der EVP gewählten Wortwahl »abandon«, was in der Regel mit »verlassen« oder »aufgeben« übersetzt wird, handelt es sich demnach um eine überspitzte Formulierung. Unklar ist zudem, wie verbindlich die Vorgabe ist und ob EU-Staaten, die dieser nicht nachkommen, tatsächlich dafür bestraft werden könnten.

Behauptung: Der Gesetzesentwurf würde »unsere Ernährungssicherheit gefährden«, teilte die CDU-Abgeordnete Christine Schneider mit.

Bewertung: Unwahrscheinlich.

Fakten: Die EVP verweist auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in dem Zusammenhang unter anderem auf ein Positionspapier des Deutschen Bauernverbands (DBV). Demnach drohe der Verlust von mehr als einer Million Hektar landwirtschaftlicher Fläche. Insgesamt gibt es laut DBV in Deutschland rund 16,5 Millionen Hektar Agrarfläche. Die EVP befürchtet daher, dass es zu einer Teuerung bei Nahrungsmitteln kommt.

Doch es gibt keine begründeten Hinweise darauf, dass es in Europa wegen des Vorhabens nicht mehr genug Lebensmittel geben könnte. Die EVP präzisierte auf Nachfrage zudem, dass für sie die Bezahlbarkeit von gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln gerade auch für Haushalte mit niedrigem Einkommen ebenfalls unter den Begriff Ernährungssicherheit falle.

An dieser Argumentation gibt es Kritik: In einem von mehreren Tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschriebenen Brief heißt es, unter anderem sei die Wiederherstellung der Natur für die Aufrechterhaltung einer langfristigen Produktion und Verbesserung der Ernährungssicherheit von wesentlicher Bedeutung. Helge Bruelheide, Professor für Geobotanik an der Universität Halle, betonte jüngst: »Die größten Gefahren für die Ernährungssicherheit, sie alle gehen auf den Klimawandel zurück.«

Grundsätzlich haben viele Aspekte Einfluss auf Ernten und damit auf Preise von Lebensmitteln. So kann sich etwa eine nicht intakte Natur auch negativ auf Ernten auswirken. Dürren und Extremwetter, die im Zuge des Klimawandels öfter auftreten können und die durch das Gesetz abgemildert werden sollen, können Ernten in großen Teilen vernichten.

Behauptung: Es ergebe keinen Sinn, 100 Jahre alte Dörfer abzureißen, um Moore zu erschaffen, heißt es in einem Tweet der EVP-Fraktion.

Bewertung: So nicht vorgesehen.

Fakten: In dem umfassenden Naturschutzgesetz, das die EU-Kommission auf den Weg bringen will, ist auch vorgesehen, Moore wieder zu vernässen. Dabei geht es aber nicht darum, dass dafür Dörfer abgerissen werden müssen. Auf dpa-Anfrage bei der EVP-Fraktion heißt es über den Tweet vom März: Er beziehe sich »indirekt auf die sehr unklaren Passagen zur Wiedervernässung im Gesetz zur Wiederherstellung der Natur«. Zudem habe es sich um eine verkürzte und zugespitzte Darstellung gehandelt.

Die EVP präzisierte nun, die Kommission habe ihr bislang nicht beantwortet, wo die vorgesehene Wiedervernässung stattfinden solle. Es könne daher nicht völlig ausgeschlossen werden, dass im Einzelfall auch Dörfer abgerissen werden müssten.

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© dpa-infocom, dpa:230711-99-357267/2