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Faeser sichert afghanischen Ortskräften Beistand zu

Seit die Taliban in Afghanistan herrschen, sind Gewalt und Hunger an der Tagesordnung. Gefährdet sind auch Menschen, die für deutsche Stellen arbeiteten. Die Bundesregierung will ihnen Hoffnung machen.

Bundesinnenministerin Faeser
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bei einem Besuch der GSG 9 und der Bundespolizei-Fliegerstaffel. Foto: Rolf Vennenbernd
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bei einem Besuch der GSG 9 und der Bundespolizei-Fliegerstaffel.
Foto: Rolf Vennenbernd

Ein Jahr nach der Rückkehr der militant-islamistischen Taliban an die Macht hat die Bundesregierung allen einst für deutsche Stellen arbeitenden Ortskräften versichert, dass sie Afghanistan noch verlassen können. »Wir lassen die afghanischen Ortskräfte nicht zurück«, schrieb Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Sonntag auf Twitter.

Noch immer warten mehrere Tausend Menschen auf ihre Ausreise aus dem Land, in dem Gewalt und Hunger herrschen, grundlegende Rechte von Frauen eingeschränkt sind und Journalisten verfolgt und eingeschüchtert werden. Für den Jahrestag der Machtübernahme am Montag riefen die Taliban einen Feiertag aus - für sie symbolisiert er den »Sieg« über die USA und ihre Verbündete.

Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) beklagte die Leiden der Menschen seit dem Machtwechsel. »Seither hat sich die Herrschaft der Taliban wie ein dunkler Schleier über Afghanistan gelegt«, sagte die Grünen-Politikerin am Sonntag in Berlin über das vergangene Jahr seit der Machtübernahme. »Für Frauen und Mädchen bedeutet dies ein Leben wie im Gefängnis.« Die internationale Gemeinschaft habe nach Beendigung des Militäreinsatzes nun eine Verantwortung für die afghanische Zivilgesellschaft.

Die Taliban konnten vor einem Jahr ohne bedeutende Gegenwehr der afghanischen Streitkräfte das Land nach und nach unter ihre Kontrolle bringen. Vorangegangen war der Abzug der Nato-Truppen. Nach der Einnahme Kabuls am 15. August erfolgte ein internationaler militärischer Evakuierungseinsatz, an dem sich auch Deutschland beteiligte. Am Flughafen der Hauptstadt spielten sich dramatische Szenen ab, als viele Menschen das Land verlassen wollten.Menschen

Wie viele Menschen können noch ausreisen?

Bislang seien 15.759 afghanische Ortskräfte und Familienangehörige nach Deutschland geholt worden, sagte Faeser der »Bild am Sonntag«. Sie nannte keine genaue Zahl, für wie viele weitere die Ausreise noch geplant ist. Die Ortskräfte arbeiteten früher beispielsweise als zivile Helfer für die Bundeswehr oder als Dolmetscher.

Nach Angaben aus der vergangenen Woche sicherte Deutschland seit dem Abzug der Nato-Truppen insgesamt 23.614 Ortskräften und Angehörigen die Aufnahme zu. Betroffen sein dürften also noch mehr als 7800 Menschen. Die Ausreisen gehen derzeit aber langsamer voran als geplant. Die Bundesregierung macht dafür auch die militanten Islamisten verantwortlich, die die Ausreisen behinderten. Baerbock betonte, sie werde gemeinsam mit Faeser »in Kürze« ein Programm vorstellen, das sich auf die am meisten gefährdeten Menschen konzentrieren soll, vor allem Frauen und Mädchen. Außerdem werde die humanitäre Hilfe für Menschen in Afghanistan erneut aufgestockt.

Kein Land hat die De-facto-Regierung der Taliban bisher anerkannt. Die Taliban hätten es versäumt, ein inklusives politisches System zu errichten, und damit die Bestrebungen des afghanischen Volkes missachtet, sagte EU-Kommissionssprecherin Nabila Massrali. Sie beklagte schwere Verstöße gegen die Rechte von Frauen und Mädchen.

Frauen fordern mehr Rechte

In den vergangenen Tagen gingen in Afghanistan Frauen vermehrt auf die Straße, um die Einschränkungen ihrer Rechte auf Bildung, Arbeit und Bewegungsfreiheit anzuprangern. Mit Warnschüssen lösten die Taliban am Samstag einen friedlichen Protest von Dutzenden Frauen für Essen, Arbeit und Freiheit in Kabul auf. Auf Aufnahmen in sozialen Medien war zu sehen, wie Taliban Schüsse abgaben und Frauen körperlich angriffen.

Ebenfalls am Samstag wurden bei der Explosion einer an einem Motorrad befestigten Bombe im Westen Kabuls vier Menschen verletzt, darunter auch zwei Taliban, wie ein Sicherheitsbeamter dem Sender Tolo News sagte. Unklar war zunächst, wer für den Zwischenfall verantwortlich war. In dem Land verübt unter anderem das mit den Taliban verfeindete Terrornetzwerk Islamischer Staat immer wieder Anschläge.

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef beschreibt die Versorgung in dem Land als katastrophal und beklagt eine massive Unterfinanzierung der Hilfe für die Bevölkerung. »Über eine Million Kinder sind lebensgefährlich mangelernährt«, schrieb der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, im »Kölner Stadt-Anzeiger« (Samstag).

Faeser schließt Rückführungen aus

Mit Verweis auf die Lage im Land versicherte Faeser, dass es auf absehbare Zeit keine sogenannten Rückführungen dorthin geben werde. »Die Abschiebungen nach Afghanistan sind derzeit auf Eis gelegt - und das wird angesichts der aktuellen Situation dort sicher auch so bleiben müssen«, sagte sie der »Bild am Sonntag«.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl forderte die Bundesregierung auf, im Koalitionsvertrag festgehaltene Vorhaben wie die Reform des Ortskräfteverfahrens und ein humanitäres Aufnahmeprogramm umzusetzen. Auch müssten humanitäre Visa kontinuierlich erteilt und der Familiennachzug beschleunigt werden. »Jeder Tag des Wartens ist ein Tag in Lebensgefahr für die betroffenen Menschen«, warnte Geschäftsführer Günter Burkhardt. Faeser sagte im »BamS«-Interview, sie arbeite mit Außenministerin Baerbock an dem Aufnahmeprogramm.

Kine freie Presse

Unter der Taliban-Herrschaft leben Journalisten deutlich gefährlicher als schon zuvor. Am Samstag wurden etwa im Zuge der Frauenproteste ein afghanischer und drei ausländische Journalisten, darunter auch aus Deutschland, festgenommen. Nach mehr als vier Stunden seien sie wieder freigekommen, sagte ein Sprecher des Verbandes unabhängiger Journalisten in Afghanistan (AIJA) der Deutschen Presse-Agentur. Die Organisation Reporter ohne Grenzen beklagte, gut ein Drittel der bis zum 15. August 2021 rund 550 aktiven Medien im Land seien eingestellt worden. Die Zahl der Journalistinnen und Journalisten, die in den Medien arbeiteten, sei um mehr als die Hälfte auf rund 4750 gesunken - Frauen seien besonders betroffen.

© dpa-infocom, dpa:220814-99-382423/5