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Experten warnen vor genereller Aufhebung der Maskenpflicht

Soll die Maskenpflicht jetzt schon fallen, drinnen wie draußen? Gesundheitsminister Spahn ist für ein stufenweises Vorgehen, andere Politiker fordern die komplette Abschaffung. Experten sind skeptisch.

FFP2-Maske
Eine FFP2-Maske liegt auf einem Tisch. Foto: Daniel Karmann/dpa/Symbolbild
Eine FFP2-Maske liegt auf einem Tisch. Foto: Daniel Karmann/dpa/Symbolbild

BERLIN. Eine generelle Aufhebung der Maskenpflicht in Deutschland könnte nach Ansicht von Wissenschaftlern ein Wiederaufflammen der Pandemie nach sich ziehen.

»Wenn wir nach dem Wegfall der Testpflicht in vielen Situation nun auch noch die Maskenpflicht fallen lassen, sind wir im Grunde in einem ungestörten Leben wie vor der Pandemie«, sagte Eberhard Bodenschatz vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen am Montag der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Das Virus aber sei noch da und wesentlich infektiöser durch Mutationen. »Warum soll die Pandemie dann nicht wiederkommen?«.

Auch die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, Eva Grill, hält es vorerst für wichtig, zumindest drinnen weiterhin Maske zu tragen. »Masken sind ein einfacher und wirksamer Schutz, vor allem in Innenräumen«, so die Epidemiologin von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. »Es geht hier auch um den Schutz vor ansteckenderen neuen Varianten des Virus.«

Aerosolforscher Christof Asbach hält eine Entscheidung für die Abschaffung der Maskenpflicht im Freien für gut nachvollziehbar. In Innenräumen gehe es letztlich um die Frage, welches Risiko man akzeptieren möchte. »Die Wahrscheinlichkeit in Innenräumen auf einen Infizierten zu treffen, bleibt mit und ohne Maskenpflicht gleich«, sagte der Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung der dpa. »Das Risiko, sich anzustecken, ist ohne Maske natürlich höher.« Er plädiere auch an die Vernunft der Menschen, sich unabhängig von Vorgaben in kritischen Situationen zu schützen.

Nach der weitgehenden Aufhebung der Maskenpflicht in Dänemark von Montag an ist auch in Deutschland eine Diskussion über den Sinn des Mund-Nasen-Schutzes entbrannt. Zunächst könne die Maskenpflicht draußen grundsätzlich entfallen, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag) gesagt. In Regionen mit sehr niedriger Inzidenz und hoher Impfquote könne die Pflicht auch drinnen nach und nach entfallen. FDP und AfD hatten zuvor die komplette Aufhebung der Maskenpflicht gefordert.

Warnung vor Delta-Variante

Nach Ansicht des Göttinger Forschers Bodenschatz steigt mit dem Wegfall der Testpflicht die Gefahr, einem hoch ansteckenden asymptomatischen Virusträger zu begegnen und etwa in Innenräumen höheren Viruskonzentrationen ausgesetzt zu sein, weil viele Infizierte nicht mehr erkannt würden. Mit dem Anstieg der Impfquote steige die Zahl der Neuinfektionen vielleicht langsamer, aber auch mit Blick auf die sich ausbreitende Delta-Variante sei mit einem neuerlichen Anstieg zu rechnen. »Ich bin gespannt, was passiert.« Derzeit helfe das Wetter bei der Bekämpfung der Pandemie mit, weil bei der kühlen Luft am Morgen viel gelüftet werde. »Wenn es heiß wird, bleiben die Fenster oft zu. Das kann dann zum Problem werden, etwa auch in Schulen.«

Niedersachsen hatte schon vor einigen Wochen damit geliebäugelt, die Maskenpflicht im Einzelhandel in Regionen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz unter 35 fallenzulassen - und zog das Vorhaben nach breiter Kritik zurück. Aus Expertensicht war das auch gut so: »Frühestens, wenn wir Impfquoten von 70 bis 80 Prozent erreicht haben, könnte man darüber nachdenken«, hatte der Virologe Friedemann Weber von der Uni Gießen Ende Mai der Deutschen Presse-Agentur gesagt. Derzeit ist erst etwa ein Viertel der Bevölkerung vollständig geimpft.

»Wir haben immer noch eine Pandemie mit einem unklaren weiteren Verlauf unter anderem durch Virusvarianten«, warnte Weber im Mai. Der Aufwand, Maske zu tragen, sei gering - der Gewinn für die Pandemie-Bekämpfung aber groß. Nach einer Studie des Virologen Christian Drosten liegt das Maximum der Virus-Ausscheidung ein bis drei Tage vor Beginn der Symptome. Der Infizierte merkt also noch gar nicht, dass er krank ist und andere anstecken könnte. Eine Maske kann da viel ungewolltes Ungemach verhindern.

Höhere Gefahr in Innenräumen

Unumstritten ist unter Experten, dass die Ansteckungsgefahr in Innenräumen meist deutlich höher ist als an der frischen Luft. Daher sollte die Maskenpflicht nach Meinung von Gerhard Scheuch, dem früheren Präsidenten der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, zuerst bei Outdoor-Aktivitäten wie etwa Zoobesuchen aufgehoben werden, bevor man den Einzelhandel wie kleine Souvenirläden angeht.

Auch in großen Theatern und Museen, Freibädern, Schwimm- und Sporthallen sei das Ansteckungsrisiko nicht so hoch, weil dort sehr viel Raum und Luft seien. »Da reicht die Aerosolkonzentration kaum aus, um andere zu gefährden.« Doch auch dabei gibt es Tücken - denn selbst in vermeintlich Frischluft-durchfluteten Freibädern gibt es enge Umkleiden. »Da muss man schauen, dass die super belüftet sind.«

Gerade in kleinen, engen, unbelüfteten Räumen sei die Gefahr am höchsten, sagte Scheuch Ende Mai. Als weiteres Beispiel nannte er Aufzüge. »Hier sind oft nur zwei bis vier Kubikmeter Luft. Wenn Leute drin sind, noch weniger.« Schon während einer kurzen Fahrt könne man sich anstecken, auch wenn man alleine ist. »Die Wolke bleibt drin.« (dpa)

Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung zum Verständnis der Rolle von Aerosolpartikeln beim SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen